Oft und gern erzählt der populäre Literaturübersetzer, Vortragskünstler und Gelegenheitsschauspieler (Lindenstraße) Harry Rowohlt, dass ihn Hausmeister und Ordner gelegentlich nicht zu seinen eigenen Lesungen in den Saal lassen, weil sie ihn für einen Penner halten, der sich nur aufwärmen will.
Wer bislang geglaubt hat, dies sei eine gut erfundene Anekdote, der schaue in die Weihnachtsbeilage des Soester Anzeigers.
Unter der Überschrift „Weihnachten auf der Straße – 20.000 Wohnungslose in Deutschland“ berichtet die Lokalzeitung mit einer Auflage von immerhin 32.000 Exemplaren über die Lieblingsrandgruppe aller weihnachtlich Gestimmten: die Obdachlosen.
Zur Bebilderung des Themas glaubte die Redaktion ein passendes Foto gefunden zu haben. Es zeigt den uns wohlbekannten Vortragskünstler mit Parka und Schal beim abendlichen Rezitieren unter freiem Himmel vor einer als Adventskalender dekorierten Hausfassade. Es stammt aus der Lindenstraßen-Folge 995 mit dem Titel „Weihnachtsgeschichten“ vom 26.12.2004.
Die Bildunterschrift verrät, dass sich die Redakteure weder in der Szene der Literaturübersetzer auskennen noch die Lindenstraße schauen. Sie lautet:
„Dieser Wohnungslose liest am Heiligen Abend vor einem ,lebenden Adventskalender‘ aus der Weihnachtsgeschichte.“
Und hier die Originalszene aus der Lindenstraße:
- 2015-06-16: Literaturübersetzer Harry Rowohlt im Alter von 70 Jahren gestorben
- 2007-02-20: „… und leben kann man davon auch nicht.“ – Literaturübersetzer Harry Rowohlt im Interview
Richard Schneider