Evangelische Kirche präsentiert „Bibel in gerechter Sprache“ auf Frankfurter Buchmesse

Bibel in gerechter Sprache
Bild: Gütersloher Verlagshaus

„Da schuf Gott die Menschen als göttliches Bild, als Bild Gottes wurden sie geschaffen, männlich und weiblich hat er, hat sie, hat Gott sie geschaffen.“ So hört sich Genesis 1,27 in einer Bibelübersetzung an, die vor wenigen Tagen von der Evangelischen Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) auf der Frankfurter Buchmesse 2006 vorgestellt wurde.

Die Absicht zu Beginn des Übersetzungsprojekts war: Frauen sollten nicht länger bloß „mitgemeint“, sondern ausdrücklich angesprochen werden. Gott selbst sollte auch als weibliches Subjekt sprechen dürfen. Und die neutestamentlichen Feindseligkeiten gegenüber dem Judentum sollten „entschärft“ werden, wie gewaltsame Ausdrücke überhaupt.

Ist das Ergebnis gelungen oder hat sich die „politisch korrekte“ Fassung des meistverkauften Buchs der Welt zu weit von den Urtexten entfernt? Kirchenpräsident Prof. Dr. Dieter Steinacker erklärt:

Von Anfang an hat es Kritik an dem Projekt gegeben. Befürchtet wurde, dass die Bibel zeitgeistig umgeschrieben werde. Befürchtet wurde, dass die schöne Luther-Sprache verloren gehe. Viele Kritikerinnen und Kritiker treten dafür ein, dass der Bibeltext so erhalten bleibt, wie sie ihn kennen gelernt haben. Man darf aber nicht vergessen, wie komplex die Entstehungsgeschichte des so vertraut wirkenden Bibeltextes ist. Luthers Übersetzung wurde anhand wissenschaftlicher Erkenntnisse mehrfach fortentwickelt und wäre schon rein sprachlich heute an vielen Stellen gar nicht mehr verständlich. Oder wer wüsste heute noch, was Luther 1522 mit dem Wort „Gedinge“ meinte? Es meint so viel wie Wohnung oder Haus. Oder Schnur? Ein vergessenes Wort für Schwiegertochter. Luther selber war immer klar, dass eine Übersetzung nicht zeitlos richtig sein würde und dass eine Übersetzung immer auch eine Interpretation sein würde. […]

Die „Bibel in gerechter Sprache“ steht in dieser Tradition. Und sie ist schon jetzt ein Erfolg, denn sie entfacht Debatten um die Bibel. Wann hat es das zuletzt gegeben, dass die Bibel zum Gegenstand von Debatten in den Medien geworden ist?! Sie lässt Menschen aufhorchen und nach der Bibel greifen, die das schon lange nicht mehr getan haben. Sie erschließt die Texte, die vielen Kirchenleute vielleicht schon zu vertraut sind, neu. Genau das war ihr Ziel.

Pfarrerin Hanne Köhler, die als Leiterin des ambitionierten Übersetzungsprojekts fungierte, erklärt für den Herausgeberkreis:

Die Bibel in gerechter Sprache ist ein unabhängiges Basisprojekt mit Wurzeln in der Kirchentagsbewegung und keine Auftragsarbeit einer Institution, eines Bibelwerkes oder einer Stiftung. Ehrenamtlich haben über 50 Theologinnen und Theologen in fünf Jahren die Bibel vollständig neu übersetzt. Etwa 300 Gruppen und Einzelpersonen begleiteten die Arbeit der Exegetinnen und Exegeten, sie erprobten die vorläufigen Übersetzungen in der Praxis. 400.000 Euro Spenden wurden von über 1.200 Personen, Gruppen und kirchlichen Institutionen aufgebracht.

Profil und Provokation

Das Thema „Gerechtigkeit“ zieht sich als roter Faden durch die Bibel.

Alle Übersetzungen wollen dem Ausgangstext gerecht werden und eine verständliche Sprache anbieten. Das Profil der vorliegenden Übersetzung besteht darin, dass dem zentralen Thema in mehrfacher Hinsicht Rechnung getragen wird: Neben der traditionellen historisch-kritischen Exegese der Texte sind feministische und befreiungstheologische Diskurse sowie die Diskussionen um den christlichen Antijudaismus berücksichtigt worden.

Mitgewirkt haben 52 Theologinnen und Theologen – zehn Männer und 42 Frauen – u.a. die Kasseler Neutestamentlerin Prof. Dr. Luise Schottroff, der Marburger Alttestamentler Prof. Dr. Rainer Kessler, die Studienleiterin von Erev-Rav, Verein für biblische und politische Bildung, Dr. Klara Butting, die Münsteraner Professorin für Altes Testament und Theologische Frauenforschung Dr. Marie-Theres Wacker, der Bochumer Professor für Neues Testament und Judentumskunde Dr. Klaus Wengst, die theologische Referentin der Evangelischen Frauenarbeit in Deutschland Dr. Claudia Janssen und viele andere.

Sie sind sich darin einig: Die Bibel ist kein Museumsstück, sondern ein Buch des Lebens. Menschen in der ganzen Welt finden in der Bibel Kraft und Trost in schwierigen Situationen. Sie ist eine Quelle der Spiritualität, öffnet ein Fenster zu Gott und verbindet Menschen. Was die einen Leser und Leserinnen erfreut, mag für andere eine Provokation sein. Fremdes wird vertraut und Vertrautes wird herausfordernd fremd. Die vorliegende Übersetzung bringt Menschen über biblische Geschichten und deren Lesearten in den verschiedenen Übersetzungen miteinander ins Gespräch und eröffnet neue Zugänge zu alten Texten.

Ein Glossar im Anhang gibt Rechenschaft über das Grundverständnis und die Übersetzungsmöglichkeiten aller biblischen Zentralbegriffe.

Textgerechtigkeit – Lesevorschläge für den Namen Gottes

Textgerechtigkeit bedeutet: Aus den biblischen Originalsprachen, dem Hebräischen und Griechischen, wurde nach den jeweiligen aktuellen wissenschaftlichen Textausgaben in die deutsche Sprache übersetzt. Nicht übersetzbar ist jedoch der Eigenname Gottes, und dies wird in der Bibel in gerechter Sprache deutlich gemacht. Im Alten Testament (AT) wird der Eigenname mit den vier Konsonanten j-h-w-h (dem Tetragramm) geschrieben und nicht ausgesprochen. Um den Gottesnamen zu heiligen, wird etwas anderes gelesen. „Adonaj“ gehört zu den Worten, die an die Stelle des nicht ausgesprochenen Namens treten. In vielen Bibelübersetzungen wird „Adonaj“ mit „Herr“ wiedergegeben. Das Wort ist aber eine Gott allein vorbehaltene Herrschaftsbezeichnung und gerade nicht – wie Herr im Deutschen – eine höfliche Anrede für jeden Mann. In der Bibel in gerechter Sprache werden Lesevarianten des Gottesnamens vorgeschlagen, so z. B. neben dem auf den Deutschen Evangelischen Kirchentagen eingeübten „Adonaj“, und dem in jüdischen Übersetzungen gebräuchlichen „der Ewige“, auch „die Ewige“, „der Name“, „Gott“, „der Lebendige“, „Du“, „der Heilige“, „die Heilige“. Die Stellen, an denen in der Bibel der Eigenname Gottes gemeint ist, sind deutlich hervorgehoben.

Stichwort soziale Gerechtigkeit

Biblische Texte fordern Gerechtigkeit, stellen bisweilen die herrschende Ordnung auf den Kopf. Sie erzählen Geschichten von Menschen mit Gott, wie Gott sie im Kampf um Gerechtigkeit und Befreiung stärkt. „Blinde sehen, Gelähmte gehen umher, Leprakranke werden rein und taube Menschen können hören. Tote werden aufgeweckt, die Armen bringen die Freudenbotschaft“ (Lk 7,22, Mt11,5) steht nun in der Bibel in gerechter Sprache zu lesen statt, wie es oft übersetzt wird, „den Armen wird das Evangelium gepredigt“. Grammatik und literarischer Kontext sprechen für die neue Textversion und gegen die Vorannahme, dass arme Menschen vor allem Objekt und nicht Subjekte der neutestamentlichen Verkündigung sind.

Geschlechtergerechtigkeit

Die Übersetzung blendet keine Passagen aus: Wenn im ersten Brief an die Gemeinde in Korinth gefordert wird, dass Frauen in der Gemeinde schweigen sollen, dann bleibt das so stehen als ein Dokument der Zeitgeschichte früher Christenheit. An anderen Stellen gilt es genau hinzusehen, wer in den Texten gemeint ist. Im Hebräischen oder Griechischen stehen vielfach maskuline Begriffe, auch wenn neben Männern Frauen angesprochen sind. Hier würde eine Übersetzung in maskuline deutsche Begriffe in die Irre führen.

Diese Erkenntnis ist nicht neu, sondern auch in traditionellen Übersetzungen wird isch/Mann mit Mensch übersetzt, wenn es heißt (Ex 21,12): „Wer einen Menschen schlägt, dass er stirbt, der soll des Todes sterben.“ (Luther 1984) oder „Wer einen Menschen so schlägt, dass er stirbt, wird mit dem Tod bestraft.“ (Einheitsübersetzung). Es wäre nur wünschenswert, wenn diese Erkenntnis auch Auswirkungen auf andere Stellen hätte.

In der »Bibel in gerechter Sprache« wird durchgängig sichtbar gemacht, wo es nicht nur um Männer, sondern um beide Geschlechter geht. So begegnen im Wortlaut der neuen Übersetzung Apostelinnen, Diakoninnen, Prophetinnen und Pharisäerinnen. Es wird erkennbar, dass Frauen an den Geschehnissen aktiv beteiligt waren, von denen die biblischen Texte berichten, dass sie damals wie heute angesprochen und nicht nur mitgemeint sind. Die Anrede der versammelten Gemeinde, „adelphoi“, wird konsequent übersetzt mit „Geschwister“ statt mit „Brüder“.

Gerechtigkeit im Hinblick auf den christlich-jüdischen Dialog

Dies bedeutet, dass die Ergebnisse von Lernprozessen im Kontext des christlich-jüdischen Dialogs ernst genommen werden und in den Wortlaut der neuen Übersetzung einfließen, auch wenn sie mitunter als fremd erscheinen.

Das Matthäusevangelium (Mt 9,20) berichtet von einer kranken Frau, die sich durch die Berührung des „Saums“ von Jesu Gewand Heilung versprach, so die Lutherbibelrevision von 1984. Das nun verwendete Wort „Schaufaden“ stammt aus dem Sprachgebrauch des deutschen Judentums. Gemeint sind damit die vier Fäden am Gebetsschal, die an Gottes Weisung erinnern. Diese Übersetzung aus dem Griechischen macht den selbstverständlichen Bezug der Evangelien auf die jüdische Lebensweise von Jesus deutlich. Auch die Übersetzung der so genannten „Antithesen“ der Bergpredigt konstruiert einen Bruch mit der jüdischen Tradition. Bisherige Übersetzungen bieten an: „Ich aber sage euch“. Dieses „aber“ wurde im Sinne einer Wendung Jesu gegen die jüdische Tradition ausgelegt. Es handelt sich jedoch um eine von Rabbinen verwendete Formel, die sachgemäßer „Ich lege euch das heute so aus“ wiedergegeben wird. Sie leitet keine „Antithesen“, sondern „Kommentarworte“ zur Tora ein.

Engagierter Herausgabekreis – praxiserprobte Übersetzung

Herausgegeben wird die Bibel in gerechter Sprache von PD Dr. Ulrike Bail, Prof. Dr. Frank Crüsemann, Dr. Marlene Crüsemann, Pfarrer Erhard Domay, Prof. Dr. Jürgen Ebach, PD Dr. Claudia Janssen, Pfarrerin Hanne Köhler, Prof. Dr. Helga Kuhlmann, Prof. Dr. Martin Leutzsch und Prof. Dr. Luise Schottroff. Die Namen stehen für das Programm dieser Bibelübersetzung, hier verbinden sich exegetisches, sozialgeschichtliches und systematisch-theologisches Fachwissen, Engagement im christlich-jüdischen Dialog und Einsatz für die theologische Bildung auch der Gemeindeglieder. Die Übersetzungsarbeit der Exegetinnen und Exegeten war durch einen intensiven Austausch untereinander geprägt. Zudem gestaltete sich die Übersetzung auch als ein Prozess, an dem sich viele unterschiedliche Menschen beteiligten.

Stichwort Praxiserprobung: Mehr als zwei Jahre wurden die vorläufigen Übersetzungen von ca. 300 Gruppen und Einzelpersonen auf ihre Praxistauglichkeit „getestet“. Die vielfältigen Rückmeldungen flossen in die weitere Übersetzungsarbeit ein. Verantwortet wird Bibel in gerechter Sprache letztlich von den jeweiligen namentlich genannten Übersetzerinnen und Übersetzern. Sie wissen um die grundsätzliche Revisionsbedürftigkeit jeder, also auch dieser Bibelübersetzung.

Finanzierung: 400.000 Euro Spendenaufkommen

Finanziert wurden die Entstehungskosten für diese Bibelübersetzung und die Sachkosten der Projektstelle ausschließlich aus zweckgebundenen Spendenmitteln. Die Evangelische Kirche in Hessen und Nassau (EKHN) hat zur Koordination der Arbeit eine Projektstelle bei der Evangelischen Akademie Arnoldshain für fünf Jahre eingerichtet, und Pfarrerin Hanne Köhler für diese Aufgabe freigestellt.

An Spendenmitteln sind 400.000 Euro zusammengekommen, die von über 1.200 Personen, Gruppen und kirchlichen Institutionen aufgebracht wurden. Gefördert wurde das Projekt konfessionsübergreifend im deutschsprachigen Raum. Ein Teil der Fördernden wird im Anhang der Bibelausgabe und auf der Internetseite des Projektes (www.bibel-in-gerechter-sprache.de) namentlich genannt. Das Frauen-studien- und -bildungszentrum der EKD steht hier z. B. neben der katholischen Frauengemeinschaft Deutschlands, der Ökumenischen Frauenbewegung Zürich und der Frauenkommission der Diözese Linz; die Kirchenleitung der Rheinischen Kirche neben der methodistischen Bischöfin Rosemarie Wenner, dem Bischof der Altkatholischen Kirche Österreichs Bernhard Heitz, Bischöfin Dr. Margot Käßmann der Evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannover und der Reformbewegung „Wir sind Kirche“ in Deutschland und Österreich. Dazu kommen viele Frauen und Männer, die weniger im Rampenlicht der Öffentlichkeit stehen. Die Finanzierung spiegelt das breit gestreute öffentliche Interesse wider.

Prominenter Beirat

Von der konstituierenden Sitzung des Herausgabekreises bis zum Erscheinen der Bibel in gerechter Sprache vergingen fünf Jahre. Die Arbeit wurde begleitet durch einen Beirat, dessen Vorsitz Prof. Dr. Peter Steinacker übernahm, Kirchenpräsident der EKHN. Weitere Mitglieder sind unter anderem der jüdische Denker Prof. Dr. Micha Brumlik, sowie der derzeitige Präsident des Deutschen Evangelischen Kirchentages Dr. Reinhard Höppner, die aus dem „Wort zum Sonntag“ bekannte Pfarrerin Mechthild Werner, Bischöfin Bärbel Wartenberg-Potter aus der Nordelbischen Kirche und Friederike von Kirchbach, Pröpstin der Evangelischen Kirche Berlin-Brandenburg-schlesische Oberlausitz.

Bibliografische Angaben

  • Bibel in gerechter Sprache. Gütersloher Verlagshaus, 2006.
    2.400 Seiten, gebunden. 24,95 Euro (D), 25,60 Euro (A), 44,60 SFr, ISBN 3579055003.

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Weiterführender Link

[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilungen EKHN.]