WHO-Umfrage: Konferenzdolmetscher einer der stressigsten Berufe? Branchenkenner bezweifeln das

Nicole Kidman in "Die Dolmetscherin"
Nur ein Papagei mit Sprechgarnitur? Nicole Kidman in Die Dolmetscherin.

Jetpilot, Fluglotse und Konferenzdolmetscher sind laut einer nicht näher bezeichneten Umfrage der Weltgesundheitsorganisation WHO die Berufe mit der höchsten Stressbelastung. Das schreiben die Oberösterreichischen Nachrichten. Sie zitieren Andrea Jaidane von „ad hoc Dolmetscher & Übersetzungen“ in Linz: „Dolmetschen verlangt permanente Aufmerksamkeit. Man weiß nie, was als Nächstes kommt.“

Das Umfrageergebnis wird den Konferenzdolmetschern gefallen. Schon seit Jahrzehnten vergleichen sie sich gerne mit Jetpiloten. Mit Gefängnisaufsehern und Sozialarbeitern, die laut einer britischen Studie ebenfalls zu den Gestressten gehören, will die selbsternannte Elite der Sprachenbranche hingegen nichts zu tun haben. Nicht selten legen die sprechenden gegenüber den schreibenden Sprachmittlern eine gewisse Arroganz und Überheblichkeit an den Tag.

So sprechen Dolmetscher den Übersetzern gerne die Fähigkeit zum Dolmetschen ab – mit einer gewissen Berechtigung. Gerade das Simultandolmetschen erfordert eine spezielle Ausbildung und jahrelange Übung. Nicht ohne Grund werden Dolmetscher und Übersetzer zum Beispiel am FASK Germersheim in den letzten beiden Jahren des Studiums getrennt voneinander unterrichtet.

Es gilt jedoch auch der Umkehrschluss: Auch das Übersetzen erfordert eine spezielle Ausbildung und jahrelange Übung. Und so verwundert es, dass die meisten ausgebildeten Simultandolmetscher wie selbstverständlich für sich in Anspruch nehmen, übersetzen zu können.

Richard Schneider von Schneider Frankfurt Fachübersetzungen meint: „Dolmetschen und Übersetzen sind zwei grundverschiedene Tätigkeiten. Kollegen mit einem Diplom-Dolmetscher-Abschluss glauben oft, Alleskönner zu sein. Sie werden bei uns jedoch nur ungern als Übersetzer eingesetzt. Denn diese Leute übersetzen wie sie dolmetschen: schnell und schlampig. Als ein auf Qualität bedachtes Übersetzungsbüro können wir uns das nicht leisten.“

Schneider weiter: „Das Übersetzen – nicht das Dolmetschen – ist die Königsdisziplin unserer Branche. Alles, was wichtig ist, wird übersetzt. Alles, was unwichtig ist, wird verdolmetscht. Eigentlich ist erstaunlich, dass die qualitativ schlechtestmögliche Art und Weise, Bedeutungen aus einer Sprache in eine andere zu übertragen, nämlich die simultane Verdolmetschung, ein solches Sozialprestige genießt.

Ich wage auch zu bezweifeln, ob die stets nur kurzzeitige Stressbelastung bei einem Dolmetscher, der das Geschwafel von Politikern halbwegs treffend in die Zielsprache überträgt, insgesamt höher ist als bei einem Übersetzer.

Übersetzer stehen gleich mehrfach unter Druck: Alle Aufträge sind termingebunden und es wird erwartet, dass die Qualität stimmt. Der Text muss fachlich wie sprachlich einwandfrei und druckreif sein. Zur Sicherheit wird in unserem Büro nach dem Vier-Augen-Prinzip noch einmal alles von einem weiteren Mitarbeiter lektoriert und korrigiert. Der Aufwand, der bei Übersetzungen betrieben wird, ist also um ein Vielfaches höher als der Aufwand, der bei Konferenzen für eine Verdolmetschung erforderlich ist.

Sowohl branchenintern als auch erst recht in der breiten Öffentlichkeit wird die Leistung von Simultandolmetschern maßlos überschätzt und die von Fachübersetzern leider im gleichen Maße unterschätzt.“

[Text: Richard Schneider. Quelle: Oberösterreichische Nachrichten, 2007-03-19. Bild: UIP.]