Wirtschaftskrise und Übersetzungsmarkt

Die USA als Urheber der Krise wird es wohl übel erwischen. Wirtschaftsforscher gehen davon aus, dass die Vereinigten Staaten acht bis zehn Jahre benötigen werden, um ihre Wirtschaft wieder auf das Vorkrisenniveau hochzufahren.

Glaubt man den Prognosen, wird die Talsohle Europa mit einer Verzögerung von rund eineinhalb Jahren erreichen. Die Auswirkungen sollen nicht so stark sein und mit rund fünf Jahren nicht so lang anhalten wie in den USA. Dennoch handelt es sich auch in Europa um die stärkste Rezession seit 1945. Und Deutschland als Exportweltmeister ist in besonderem Maße von der Weltkonjunktur abhängig.

Welche Auswirkungen wird dies auf den Übersetzungsmarkt haben? Diese Frage wurde in den letzten Wochen in vielen Online-Foren der Branche diskutiert.

Bei vielen Einzelübersetzern ist von einer Krise derzeit nichts zu spüren. Im U-Forum schreibt Brigitta Lange: „Bei mir wird es von Jahr zu Jahr mehr. Dieses Jahr boomt das Geschäft ohne Ende.“ Ähnlich Steffen Walter auf ProZ: „Bei mir herrscht ‚business as usual‘, und zwar auf stetig höchstem Auslastungsniveau.“ Der auf Finanzübersetzungen spezialisierte Ralf Lemster erklärt, er habe zurzeit „noch mehr Arbeit“.

Janet Rubin in Australien hingegen schreibt auf ProZ, sie habe in der letzten Zeit etwas weniger Aufträge erhalten. Auch die Übersetzungsbüros, mit denen sie zusammenarbeite, gäben freimütig zu, dass die Auftragslage zurzeit „sehr ruhig“ sei. Aber vielleicht handele es sich dabei nur um das übliche Auf und Ab des Übersetzungsgeschäfts. David Parry erwartet einen gewissen Rückgang des Übersetzungsvolumens, den er schon bei der letzten Krise gespürt habe. Parry versucht, mit verstärkter Direktkundenakquise und einer intensiveren Kooperation mit Kollegen gegenzusteuern.

Hans-Jürgen Stellbrink weist im U-Forum darauf hin, dass sich die Wechselkursproblematik im internationalen Geschäft verschärfen dürfte, vor allem bei der Arbeit für britische und amerikanische Kunden. Bei einzelnen Direktkunden bestehe das Risiko eines Totalausfalls, vor allem bei Banken und Finanzdienstleistern, wenn diese insolvent sind, aufgespalten oder übernommen werden. „Eine Preisbewegung nach unten ist kaum zu erwarten, denn die Preise liegen schon heute oft unter den Selbstkosten“, so Stellbrink.

Robin Bonthrone weist auf ProZ darauf hin, dass in den nächsten Jahren wohl kein Spielraum für Preiserhöhungen besteht: „Nobody’s going to accept a price increase from a translator while they themselves are being expected to make concessions on pay and conditions.“ Andererseits werde es von Direktkunden aber auch kaum Forderungen nach Preissenkungen geben. Der Preisdruck gehe in erster Linie von den Übersetzungsbüros aus. Einzelübersetzern empfiehlt er, hart zu bleiben und die Preise nicht zu senken.

Richard Schneider meint: „Am wahrscheinlichsten ist, dass die aktuelle Krise heftiger, aber im Prinzip nicht anders ablaufen wird als die letzte Wirtschaftskrise, die 2000/2001 begann (Platzen der Internet-Blase, Anschläge vom 11. September). Das Übersetzungsvolumen wird nicht mehr zweistellig, sondern nur noch einstellig wachsen. Einige Branchen werden stärker als andere betroffen sein (Finanzen, Automobil), manche überhaupt nicht (Pharma). Zum absolut krisenfesten Segment gehört die Arbeit für Gerichte und die Polizei.“

Im Gegensatz zu vielen Zweckoptimisten geht Schneider davon aus, dass die Übersetzungsbranche die Krise durchaus zu spüren bekommt: „Wie beim letzten Mal werden etliche Nebenberufler und viele schlechte Übersetzer den Beruf an den Nagel hängen. Auch für Übersetzungsbüros, die stark expandieren und dieses Wachstum auf Pump finanzieren, könnte es brenzlig werden. Das gilt ebenso für ehrgeizige Web-basierte Projekte wie tolingo und TypeTime Translations. In Krisenzeiten ist es für Neueinsteiger oft schwieriger, die Durststrecke der ersten drei Jahre zu überstehen. Etablierte Anbieter dürften hingegen eher gestärkt aus der Krise hervorgehen.“

Auch Schneider geht davon aus, dass die Preise für Übersetzungen stagnieren werden. Der anhaltenden Schwäche von Dollar und Pfund kann er sogar Vorteile abgewinnen: „Englisch wird billiger.“