Muss ein deutscher Außenminister fließend Englisch sprechen? Die „Affäre“ Westerwelle

Guide Westerwelle
Guide Westerwelle im Jahr 2012. - Bild: Toms Norde (CC BY-SA 2.0)

Hohe Wellen schlug die Weigerung des FDP-Spitzenkandidaten und designierten Außenministers Guido Westerwelle, auf der ersten Pressekonferenz seiner Partei nach der gewonnenen Bundestagswahl 2009 eine Frage in englischer Sprache zuzulassen und zu beantworten.

Der nicht Deutsch sprechende BBC-Korrespondent James Coomarasamy hatte darum gebeten. Westerwelle lehnte den Wunsch lächelnd, aber sehr bestimmt ab.

Shitstorm im Internet und in den Medien

Daraufhin hagelte es in der Blogosphäre und der Presse teils hämische, teils entsetzte Kommentare. Tenor: Das sei peinlich und arrogant gewesen und außerdem müsse jemand, der Außenminister werden wolle, Englisch sprechen können. Die Kritiker verwiesen zudem auf ein drei Jahre altes auf YouTube kursierendes Filmchen, das Westerwelle ebenfalls auf einer Pressekonferenz zeigt. Dort versucht er, auf Englisch zu antworten und ringt oft sekundenlang um Worte (www.youtube.com/watch?v=lLYGPWQ0VjY).

Zu Westerwelles Sprachkenntnissen ist zu sagen: Das ist halt Schulenglisch. Außerdem hat er noch den Knoten im Kopf, der alle Fremdsprachenlerner, die sich nicht blamieren wollen, daran hindert, unverkrampft draufloszureden. Dieser Knoten platzt gewöhnlich bei einem mehrmonatigen oder gar mehrjährigen Auslandsaufenthalt in Schule, Studium oder Beruf. Eine Erfahrung, die Westerwelle fehlt.

Über seinen vergleichsweise leichten Akzent braucht er sich keine Gedanken zu machen. Dass dies keine Behinderung ist und sich sogar zum Markenzeichen entwickeln kann, zeigen Personen des öffentlichen Lebens wie Ruth Westheimer („Dr. Ruth“) und Arnold Schwarzenegger.

Dass Westerwelle seine sprachlichen Grenzen kennt, ist lobenswert. Als künftiger Minister kann er das Dolmetschen denen überlassen, die dafür ausgebildet wurden – den Dolmetschern des Auswärtigen Amts.

Muss ein Außenminister fließend Englisch sprechen können?

Die grundsätzliche Frage lautet, ob ein Außenminister die internationale Verkehrssprache Englisch fließend beherrschen muss. Klare Antwort: Nein – auch wenn es natürlich von Vorteil ist.

Es sei an Hans-Dietrich Genscher erinnert, der sich genau dieselben Vorwürfe anhören musste, als er 1974 für das Amt des Außenministers im Gespräch war. Er wurde damals gefragt, ob er außer Sächsisch noch eine andere Fremdsprache beherrsche.

Genscher reagierte damals allerdings schlagfertiger als Westerwelle: „Ich bewerbe mich um das Amt des Außenministers, nicht um das des Dolmetschers.“ Bekanntlich hat „Genschman“ dann achtzehn Jahre lang die Bundesrepublik würdig im Ausland vertreten und gilt als bester deutscher Außenminister seit Gustav Stresemann (1923 – 1929, Friedensnobelpreis 1926). „Mein Verhältnis zur englischen Sprache ähnelt dem zu meiner Frau: Ich liebe sie, aber ich beherrsche sie nicht“, sagte Genscher später einmal.

Im Rahmen der aktuellen Diskussion meldete sich der ehemalige Außenminister und heutige Ehrenvorsitzende der FDP ebenfalls zu Wort und wiederholte in einem Fernsehinterview seine Argumentation von 1974: Westerwelle wolle Außenminister werden – und nicht Dolmetscher.

Kann sich die BBC keine deutschsprachigen Korrespondenten mehr leisten?

James Coomarasamy
James Coomarasamy mit seiner für ihn dolmetschenden Begleitung. – Bild: Phoenix, Screenshot UEPO

Warum hatte die BBC ausgerechnet James Coomarasamy nach Berlin geschickt, einen in London geborenen Sohn tamilischer Einwanderer? Dieser spricht neben Englisch fließend Französisch sowie etwas Russisch und Polnisch, weil er aus diesen Ländern als Korrespondent bereits berichtet hat. Deutsch ist ihm aber fremd.

Manche hegten den Verdacht, er habe provozieren und dem Kandidaten absichtlich ein Fettnäpfchen vor die Füße stellen wollen.

Wahrscheinlicher ist, dass der Brite nicht die geringste Ahnung von dem schon seit Tagen kursierenden Video hatte, in dem Westerwelle Englisch radebricht. Deshalb begriff er auch nicht, dass der designierte Außenminister eine Falle witterte und partout nicht auf Englisch antworten wollte. Coomarasamy hatte auch nicht mitbekommen, dass seine Frage (wie sich die deutsche Außenpolitik unter Westerwelle verändern würde) von deutschen Journalisten schon längst gestellt und von Westerwelle beantwortet worden war.

Vermutlich sollte der Korrespondent lediglich einen englischsprachigen O-Ton einfangen, der dann in Großbritannien hätte gesendet werden können. Damit er sich überhaupt in Deutschland zurechtfand, hatte er eine als Dolmetscherin fungierende Frau an seiner Seite.

Der Cem hat’s drauf: Schwäbisch, Deutsch, Türkisch – und Englisch

Ausgerechnet die Vertreter der einzigen typisch deutschen Partei versuchten, sich mit einem überlegenen Lächeln als Kosmopoliten zu profilieren. So bat die Vorsitzende der grünen Bundestagsfraktion, Renate Künast, auf ihrer Pressekonferenz demonstrativ um Fragen in englischer Sprache. Schade nur, dass sich die internationale Presse nicht für sie interessierte.

Cem Özdemir
Cem Özdemir. – Bild: Pressebild Büro Cem Özdemir

Der Co-Vorsitzende der Partei Die Grünen, Cem Özdemir, nutzte die Englisch-Affäre, um in einem eilig produzierten YouTube-Video zu zeigen, dass er es besser kann als sein Amtskollege von der FDP. Unter der Überschrift „Message to the BBC – stay with us“ sagte Özdemir auf dem offiziellen YouTube-Kanal der Grünen:

Dear friends from the BBC, dear English speakers in- and outside Germany! I don’t know what you felt when you saw yesterday Guido Westerwelle not trying to speak English. Let me just assure you: Unfortunately this is going to be German foreign policy for the next four years. But don’t forget there was a Joschka Fischer. And don’t forget the next election will come 2013. And then we will be back. So please don’t leave us alone with those guys and don’t forget there are other Germans as well. See you guys, take care! [www.youtube.com/watch?v=JlZ-zjjinvs]

Die Textzeile unter dem Video lautet: „Guido Westerwelle hat als zukünftiger Außenminister seine Englischkentnisse bewiesen als er der BBC ein Statement auf Englisch verweigerte.“

Özdemir darf erst seit Kurzem im deutschen Politzirkus wieder mitspielen. Nach einem Skandälchen im Jahr 2002 über die unzulässige Verwendung dienstlich erworbener Bonus-Flugmeilen musste er sein Bundestagsmandat niederlegen und mehrere Jahre im Ausland Buße tun.

Diese verbrachte er zunächst als „Transatlantic Fellow“ des „German Marshall Fund of the United States“ an der University of Madison im US-Bundesstaat Wisconsin, wo er unter anderem Vorlesungen zur Rolle der Türkei in Europa hielt. 2004 bis 2009 war er Abgeordneter im Europäischen Parlament in Brüssel.

Özdemir hat also genau das, was Westerwelle fehlt: Auslandserfahrung. Es sei jedoch an ein Bonmot des österreichischen Schriftstellers Alexander Roda-Roda erinnert, der treffend bemerkte: „Wer viele Sprachen spricht, kann in vielen Sprachen Unsinn reden.“

Würde uns ein Außenminister Westerwelle im Ausland blamieren?

Die Befürchtung, Westerwelle werde mit seinen mangelnden Sprachkenntnissen Deutschland im Ausland blamieren, ist unbegründet, wie das Beispiel Genscher zeigt.

Eine solche Sorge wäre 1998 bei der Ernennung von Joseph „Joschka“ Fischer zum Außenminister eher angebracht gewesen. Der ehemalige Steinewerfer und Polizistenverprügler hat nicht einmal das Abitur in der Tasche. Sein höchster Bildungsabschluss ist bis heute der Taxischein. Aber bekanntlich hat auch Joschka seine Aufgabe mit Bravour gemeistert.

Fischers Englischkenntnisse sollen zu Beginn der Amtszeit auf einem ähnlichen Niveau gewesen sein wie die von Westerwelle heute. Schon wenig später konnte der begnadete Autodidakt und Vielleser, der sich an der Uni Frankfurt einst ohne Immatrikulation einfach in die Vorlesungen gesetzt hatte, die ihn interessierten, dann im Ausland seine Reden auch auf Englisch halten.

Nach seinem Ausscheiden aus der Politik reichten die Sprachkenntnisse des zweifachen Ehrendoktors gar für eine einjährige Gastprofessur in Princeton. Heute tingelt er als hoch bezahlter Vortragskünstler durch die Welt und hält seine Reden dabei vorzugsweise auf Englisch.

Außenminister von Ribbentrop sprach ausgezeichnetes Englisch

Ein sprachbegabter Außenminister mit hervorragenden Englisch- und Französischkenntnissen sowie jahrelanger Auslandserfahrung (vor allem in Kanada) war Joachim von Ribbentrop, der 1938 bis 1945 im Amt war.

Er endete nach den Nürnberger Kriegsverbrecherprozessen allerdings am Galgen, so dass sich die Erkenntnis aufdrängt, dass Fremdsprachenkenntnisse keine Garantie für eine gute Außenpolitik sind.

Die meisten Kanzler konnten es auch nicht besser

Die mangelnden Fremdsprachenkenntnisse von Helmut Kohl sind legendär und haben zur Entstehung zahlreicher Witze beigetragen („You can say you to me.“). Ähnliches gilt für Gerhard Schröder. Und Angela Merkel spricht besser Russisch als Englisch.

Als bester Englischsprecher der bundesdeutschen Kanzler gilt Helmut Schmidt.

Guido trägt’s mit Humor

Westerwelle ist seit 1994, als er Generalsekretär der FDP wurde, eine beliebte Zielscheibe der Kabarettisten und Hassobjekt der Linken. Offenbar verfügt er aber über genügend Humor und Selbstironie, um damit umgehen zu können.

Wenige Tage nach gesagter Pressekonferenz grüßte er auf dem Weg zur Präsidiumssitzung die Pressemeute demonstrativ mit „Bienvenue“ und „Welcome“. Die sich später anschließende Pressekonferenz leitete er mit den Worten ein: „Die Präsidiumssitzung fand ausschließlich in deutscher Sprache statt.“ Auf die nicht ernst gemeinte Frage eines Journalisten, ob er etwas auf Altgriechisch fragen dürfe, entgegnete der Parteivorsitzende: „Wenn Sie ihre Frage in Altgriechisch stellen, dann antworte ich Ihnen auf Latein.“ Anspielungen auf seine Sprachkenntnisse dürften sich wohl zu einem running gag entwickeln, vermutet Westerwelle.

Die etwas schroffe Antwort an den britischen Journalisten entschuldigte er mit Schlafmangel in der Wahlnacht. Er sei völlig übermüdet gewesen. Außerdem sei die Frage des Korrespondenten bereits vorher mehrfach beantwortet worden.

Neben all dem unsäglichen Gezeter im Internet gibt es zwei Presseartikel, die diesen Sturm im Wasserglas ausgewogen und treffend kommentieren:

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Richard Schneider