Dostojewski-Übersetzerin Swetlana Geier im Alter von 87 Jahren gestorben

Swetlana Geier
"Man übersetzt das nicht ungestraft", so Swetlana Geier in dem ihr gewidmeten Film wehmütig mit Blick auf die vor ihr auf dem Tisch liegenden "fünf Elefanten", die großen, epochalen Werke Dostojewskis.

Swetlana Geier ist am 7. November 2010 im Alter von 87 Jahren ihrem Haus in Freiburg-Günterstal gestorben. „Bis zuletzt hatte sie an der Neuübersetzung von Dostojewskis Aufzeichnungen aus einem Totenhaus gearbeitet. Ihr fehlten nur noch wenige Seiten bis zum Schluss“, schreibt der Berliner Tagesspiegel.

Die mehrfach ausgezeichnete Geier gilt als eine der bedeutendsten Übersetzer russischer Literatur ins Deutsche. Die im Jahre 1923 in Kiew geborene Swetlana Michailowna Iwanowa wurde insbesondere für ihre Übersetzungen des russischen Schriftstellers Fjodor Dostojewski gefeiert. Darüber hinaus übersetzte sie unter anderem Werke von Afanasjew, Bulgakow, Bunin, Gogol, Solschenizyn, Platonov, Puschkin, Sinjawskij, Terz und Tolstoi.

Das Besondere an ihrer Arbeitsweise lag darin, dass sie das russische Original auswendig lernte und ihre Übersetzungen diktierte. Swetlana Geier sagte einmal: „Man muss den Atem eines Textes erfassen. Ich lese das Buch, das ich übersetzen soll, so oft, bis die Seiten Löcher kriegen. Im Grunde kann ich es auswendig. Dann kommt ein Tag, an dem man plötzlich die Melodie des Textes hört. Wenn ich das Buch fast auswendig kann, dann bin ich bereit. Dann sage ich: So! Und jetzt fange ich an.“

Sie scheute sich nicht davor, altbekannte Titel neu zu formulieren. So wurde aus Dostojewskis „Schuld und Sühne“ (Преступление и наказание) in ihrer Übersetzung „Verbrechen und Strafe“, aus „Die Dämonen“ (Бесы) „Böse Geister“, aus „Der Jüngling“ (Подросток) „Ein grüner Junge“. Sprachen seien, so Swetlana Geier, nicht kompatibel und deshalb war das Übersetzen für sie immer nur eine Annäherung an das Original.

Ihr wurde beigebracht, dass der Übersetzer nur das übersetzen dürfe, was er verstehe. Das bedeute also „Nase hoch beim Übersetzen und den Text über- und vom Text aufblicken“. Literatur von einer Sprache in die andere Sprache zu übertragen, sei wie „der unendliche Weg zum Haus des Nachbarn“, so Geier. In  einem Interview beantwortete sie einmal die Frage, was das Übersetzen für sie bedeute, mit dem Wort „Leben“.

Swetlana Geier übte in Russland Dolmetscher- und Übersetzertätigkeiten im Geologischen Institut der Akademie der Wissenschaften und bei der Dortmunder Union Brückenbau AG aus und kam Ende 1943 mit dieser Firma nach Dortmund. Sie hatte Lehrstühle an mehreren Universitäten inne.

Im Jahr 2009 kam der Dokumentarfilm Die Frau mit den 5 Elefanten von Vadim Jendreyko in die Kinos, der Einblicke in Geiers Lebensgeschichte, ihre Arbeitstechnik und ihr Schaffen gibt. „Übersetzungen sind sterblich. Jede Zeit verdient ihre eigenen Übersetzungen“, sagte sie darin.

Zu Geiers Tod sind zahlreiche Nachrufe erschienen, unter anderem in der Zeit, der Welt und der Neuen Zürcher Zeitung.

[Text: Jessica Antosik, Richard Schneider. Quelle: oe1.orf.at; tagesspiegel.de; Zeit; Welt; NZZ; Ammann Verlag; Wikipedia. Bild: Real Fiction Filmverleih.]