Es gibt spezielle Kindergärten und Schulen für Gehörlose. An einer Universität allerdings sind Gehörlose oftmals allein unter den Hörenden und auf Hilfe angewiesen. In Großstädten wie Köln, Hamburg, München oder Berlin ist die Dolmetschersituation am besten. Über die sog. „Eingliederungshilfe“ werden den Gehörlosen die Dolmetscherkosten (zumindest in der Erstausbildung) zwar übernommen, jeder Student muss sich aber selbst um geeignete Helfer kümmern. „Und die findet man nicht wie Sand am Meer“, sagt eine Gehörlose, die trotz ihrer an Taubheit grenzenden Schwerhörigkeit „Pädagogik der Kindheit und Familienbildung“ an der FH Köln studiert. Sie muss viel organisieren und die Dolmetscher zwei bis drei Wochen im Voraus über alle Termine informieren. Häufig ändern die Dozenten jedoch die Zeiten spontan.
Selbst mit der Hilfe eines Dolmetschers ist es für den Gehörlosen nicht einfach, der Vorlesung zu folgen. Wenn beispielsweise ein grafisches Stufenmodell erklärt wird, muss der Gehörlose die Grafik auf der Folie nachvollziehen und dabei auf die Gesten seines Dolmetschers achten. Es handelt sich somit um eine doppelte Denkleistung. Der zweite anwesende Dolmetscher malt schnellstmöglich das Stufenmodell ab und zeigt es dem Studenten. Die Schwierigkeit aufseiten des Gebärdensprachdolmetschers liegt nun darin, dass bestimmte Fachbegriffe in der Gebärdensprache nicht existieren. Oder aber es gibt sie, doch der Student kennt diese wiederum nicht. In diesem Fall muss der Dolmetscher zunächst eine inhaltliche Verdolmetschung liefern und dann in den Fachbegriff einführen. Letzterer wird im Fingeralphabet buchstabiert. Auf diese Weise lernt der Gehörlose wie der Begriff in der Schriftsprache lautet. Anschließend zeigt der Dolmetscher die entsprechende Geste. Gibt es keine Gebärde für einen Begriff, können bereits existierende Gebärden zusammengesetzt oder Gebärdenzeichen erarbeitet werden. Wenn man mit einem Studenten lange zusammenarbeitet, kann man mit der Zeit den Sprachstil besser einschätzen.
Nach einer Lehrveranstaltung sollen sich die Studenten häufig in Gruppen mit Fallbeispielen befassen. Die Studenten sitzen im Kreis, der Dolmetscher mittendrin. Der Gehörlose benötigt nun nicht nur eine Verdolmetschung dessen, was gerade gesagt wird, sondern sie muss ferner mitbekommen, wer in dem Moment was gesagt hat. Dies gestaltet sich natürlich insbesondere dann schwierig, wenn alle durcheinanderreden. Möchten sich die Studenten in den Pausen über die Vorlesung austauschen, dolmetschen die Gebärdensprachdolmetscher, auch wenn sie sich eigentlich erholen müssten, denn Dolmetschen erfordert viel Konzentration.
Als Gebärdensprachdolmetscher muss man sich, wenn man bei einer Lehrveranstaltung eingesetzt wird, gut vorbereiten und in die Thematik einlesen sowie gegebenenfalls Gebärden im Vorfeld recherchieren. Ob der Dolmetscher eines gehörlosen Studenten ebenfalls die Prüfungen bestehen würde, ist jedoch nicht garantiert, da sich der Dolmetscher zwar Inselwissen aneignet, aber die Aufgaben nicht übt und, wie ein Simultan- oder Konsekutivdolmetscher, am Ende einer Rede oft nicht weiß, worum es sich eigentlich handelte.
[Text: Jessica Antosik. Quelle: FAZ vom 28./29.05.2011.]