Durch die Umstellung von analogem auf digitales Fernsehen wird Ende April 2012 die Sendung „Länderzeit“ und die Verdolmetschung der Regionalnachrichten in die Gebärdensprache im Mitteldeutschen Rundfunk (MDR) eingestellt.
Seit 1998 wird die MDR-Nachrichtensendung „Länderzeit“ als eine der wenigen in ganz Deutschland in die Gebärdensprache gedolmetscht. „Bei der ‚Länderzeit‘ handelt es sich um eine eigens für den analogen Satelliten produzierte Sendung“, begründet der MDR-Fernsehdirektor Wolf-Dieter Jacobi. „Mit der Abschaltung des analogen Satellitensignals in Deutschland entfällt auch der Verbreitungsweg für die ‚Länderzeit‘ und damit auch dieses Zusatzangebot.“
Mitte der 90er-Jahre setzte sich Alfons Rogge, Vorsitzender des Verbandes der katholischen Gehörlosen Deutschlands, für die Gebärdensprache beim MDR ein. „Wir Gehörlose wollen doch auch wissen, was in unserer Region passiert“, sagt er. Rogge geht davon aus, dass allein in Thüringen ca. 1.600 Gehörlose leben, die vom Aus der übersetzten „Länderzeit“ betroffen wären. In den drei mitteldeutschen Bundesländern beliefe sich die Zahl auf insgesamt 6.000 bis 8.000.
Erika Beyer, Vorsitzende des Landesverbandes der Gehörlosen Thüringen, ist ebenfalls der Meinung, dass die Abschaltung der Gebärdensprach-Einblendung ein großer Verlust sei. „Stellen Sie sich vor, wie es für hörende Menschen wäre, wenn der Ton der Fernsehsendungen für immer abgeschaltet wird.“ Dass eine öffentlich-rechtliche Rundfunkanstalt Nachrichten in die Gebärdensprache übersetzt, ist aus der Sicht der Gehörlosen auch ein Zeichen gesellschaftlicher Anerkennung. Auch und vor allem aus diesem Grund trauern die Gehörlosen um die „Länderzeit“.
Angesichts des sensiblen Themas möchte die MDR nicht den Eindruck vermitteln, sich nicht für die Gehörlosen zu interessieren. „Der MDR will genau wie die ARD die Anzahl der barrierefreien Angebote stetig steigern“, so Wolf-Dieter Jacobi. „Wir haben den Anspruch, die Empfangsmöglichkeiten für Gehörlose sogar zu verbessern.“ Daher ziele der Sender schnellstmöglich auf eine Untertitelung der Regionalmagazine „Thüringen-Journal“, „Sachsenspiegel“ und „Sachsen-Anhalt heute“ ab. Jetzt ist eine heftige Debatte darüber entbrannt, ob Untertitel ein adäquater Ersatz für die Gebärdensprachverdolmetschung ist.
Unter anderem Alfons Rogge und Erika Beyer fordern auch künftig Regionalnachrichten mit Gebärdensprachübersetzung anzubieten. Der Grund: „Die Gebärdensprache ist eine eigenständige Sprache“, erklärt die taube Katrin Koschollek, die als Gebärdensprachdozentin in Erfurt tätig ist. „Für Gehörlose ist sie die Muttersprache.“ Auch wenn diese Menschen hierzulande aufgewachsen seien: Das Deutsche sei, wie Englisch oder Japanisch, für sie eine Fremdsprache. Untertitel könnten für Gehörlose niemals das leisten, was ihre eigene Sprache leiste, sagt sie.
Alfons Rogge will, wie schon in den Neunzigerjahren, für die Gebärdensprachverdolmetschung werben. „Bundespräsident Gauck hat doch gerade erst gesagt, dass sich alle Menschen in Deutschland an der Gesellschaft beteiligen sollen“, so Rogge. „Also auch die Gehörlosen.“
Die Thüringer Allgemeine hat in diesem Zusammenhang ein Interview mit Claudia Oelze geführt, die seit fast 15 Jahren die MDR-Sendung „Länderzeit“ in die Gebärdensprache dolmetschte. Dabei spricht die 41-Jährige über ihren Übersetzungsalltag sowie über die mit ihrer Arbeit verbundenen Herausforderungen.
Wie sie dazu kam, als Gebärdensprachdolmetscherin für die „Länderzeit“ zu arbeiten, erklärt sie so:
Ich habe 1993 angefangen, als Dolmetscherin zu arbeiten. Sehr bald habe ich dann Alfons Rogge dabei begleitet, als er sich für die Gebärdensprachübersetzung der „Länderzeit“ einsetzte. Als sich 1997/1998 abzeichnete, dass es die Übersetzung geben würde, habe ich die ersten Testaufnahmen für die Sendung gemacht und damit begonnen, das Team der Dolmetscher zusammenzustellen. Seit August 1998 bin ich sieben bis acht Mal im Monat auf Sendung und übersetze die Nachrichten.
Darauhin beschreibt Claudia Oelze, wie die Übersetzung abläuft:
Von 19.00 bis 19.30 Uhr kann ich mir die Sendung ansehen. Ab 19.35 Uhr startet dann die Aufzeichnung der Gebärdensprachübersetzung. Wir machen das an einem Stück, ohne Unterbrechung. Die Länderzeit mit Gebärdensprach-Übersetzung wird dann am folgenden Morgen ausgestrahlt. Um diese Übersetzung am Stück leisten zu können, ist es wichtig, täglich Zeitung zu lesen, Radio zu hören und sich auch sonst über das Weltgeschehen auf dem Laufenden zu halten.
Die Frage, wie anspruchsvoll es ist, Nachrichten im Vergleich zu Alltagsgesprächen in die Gebärdensprache zu übersetzen, beantwortete sie so:
Die Übersetzung der Nachrichten ist schon eine anspruchsvolle Aufgabe. Für jeden Dolmetscher. Die Themen wechseln sehr schnell und sind ja sehr vielfältig. Vor allem die zwei Nachrichtenblöcke, die es immer gibt, sind wirklich eine Herausforderung. Da sind die einzelnen Nachrichten ja nur wenige Sekunden lang und dann kommt schon das nächste Thema. Außerdem sind Kulturbeiträge immer schwierig zu übersetzen. Da wird oft so viel Hintergrundwissen vorausgesetzt, dass dieses in einer Simultanübersetzung nur schwer zu vermitteln ist. Aber die Gehörlosen interessieren sich sehr für diese Kulturdinge. Sie wollen die Welt der Hörenden kennenlernen, die tatsächlich verschiedenen ist von ihrer eigenen. Das ist das Tolle daran, Nachrichten in die Gebärdensprache zu übersetzen: Ich bin wie ein Lexikon für die Gehörlosen.
[Text: Jessica Antosik. Quelle: thueringer-allgemeine.de, 08.04.2012. Bild: Mitteldeutscher Rundfunk (Wikipedia).]