Es scheint eine Winzigkeit, eine Haarspalterei zu sein, doch für viele Katholiken ist es ein heikles Thema: Papst Benedikt XVI. (Bild rechts) hat entschieden, dass die Kelchworte in deutschen Eucharistiefeiern „für viele“ und nicht mehr „für alle“ gesprochen werden sollen. Im April hat der Papst die deutschen Bischöfe in einem Brief zu einer korrekten Übertragung des Wortes „pro multis“ angehalten. Damit hat der Papst einen Schritt in Richtung Urtext gemacht. Dies bedeutet, dass der Priester beim Eucharistischen Hochgebet, beim letzten Abendmahl, in dem sich nach katholischem Verständnis in den Händen der Priester Brot und Wein in das Fleisch und das Blut Christi verwandeln, zukünftig Folgendes sagt: „Das ist der Kelch meines Blutes, des neuen und ewigen Bundes, das für euch und für viele vergossen wird zur Vergebung der Sünden. Tut dies zu meinem Gedächtnis.“
Bis zur Liturgiereform in den 60er-Jahren wurden die Wandlungsworte vom Priester auf Lateinisch gesprochen und lauteten so: „Hic est enim Calix Sánguinis mei, novi et aetérni testaménti, mysterium fidei, qui pro vobis et pro multis effundétur in remissiónem peccatórum.“ Als die Bischöfe im Zuge der Liturgiereform von 1969/1970 im deutsch-, aber auch im englisch-, spanisch- und italienischsprachigen Raum beschlossen, dieses Wort Jesu mit „für alle“ zu übersetzen, nahmen sie damit eine theologische Position ein: Jesus ist nicht lediglich für eine bestimmte Gruppe gestorben, sondern für alle Menschen.
Es ist schwer nachzuvollziehen, wie Jesus‘ Wortlaut beim Abendmahl in Jerusalem war, da er weder Deutsch, Lateinisch, noch Griechisch, sondern Aramäisch gesprochen hat. Die Texte in den Evangelien basieren auf wörtlichen Überlieferung oder Übersetzungen, sodass immer Zweifel bestehen können. Die Wahl des Wortes viele ist jedoch auch problematisch, da man damit nicht alle assoziiert und das Gefühl einer Diskriminierung aufkommen kann.
Papst Benedikt XVI. erklärt in seinem Brief zwar, dass die Einnahme einer politischen Position richtig sei und eine „Verschmelzung von Übersetzung und Auslegung“ in den Jahren nach dem Zweiten Vatikanischen Konzil (19621965) durchaus üblich gewesen sei. Doch der Papst empfindet diese Verschmelzung aus prinzipiellen Gründen als unpassend. Bei manchen Übersetzungen der heiligen Texte sei es zu „wirklichen Verlusten“ und zu „Banalisierungen“ gekommen, die nun korrigiert werden müssen.
Nun ist eine Diskussion darüber entbrannt, ob die Entscheidung als harmlos oder als Rechtsruck des Vatikans angesehen werden soll. Der Papst warnt in seinem Schreiben vor der Gefahr einer „Spaltung im innersten Raum unseres Betens“ und bittet die Bischöfe darum, die Gläubigen in dieser „schwerwiegenden Frage“ auf die bevorstehende Änderung vorzubereiten. Er möchte nicht, dass der Eindruck entstehe, dass Rom die theologische Aussage dieser Worte ändern oder „das Erbe des Konzils zerstören“ wolle. Das Wort „alle“ ist nach Ansicht von Benedikt XVI. zwar begründet, allerdings handelt es sich dabei um eine nicht geeignete Vermischung von sprachlicher Übersetzung und theologischer Interpretation im liturgischen Text.
Nachfolgend ein Auszug aus dem Brief vom 14.04.2012 von Papst Benedikt XVI.:
Bis zu einem gewissen Grad bleibt das Prinzip einer inhaltlichen und nicht notwendig auch wörtlichen Übersetzung der Grundtexte weiterhin berechtigt. Da ich die liturgischen Gebete immer wieder in verschiedenen Sprachen beten muss, fällt mir auf, dass zwischen den verschiedenen Übersetzungen manchmal kaum eine Gemeinsamkeit zu finden ist und dass der zugrundeliegende gemeinsame Text oft nur noch von Weitem erkennbar bleibt. Dabei sind dann Banalisierungen unterlaufen, die wirkliche Verluste bedeuten. So ist mir im Lauf der Jahre immer mehr auch persönlich deutlich geworden, dass das Prinzip der nicht wörtlichen, sondern strukturellen Entsprechung als Übersetzungsleitlinie seine Grenzen hat. Solchen Einsichten folgend hat die von der Gottesdienst-Kongregation am 28.03.2001 erlassene Übersetzer-Instruktion Liturgiam authenticam wieder das Prinzip der wörtlichen Entsprechung in den Vordergrund gerückt, ohne natürlich einen einseitigen Verbalismus vorzuschreiben. Die wichtige Einsicht, die dieser Instruktion zugrunde liegt, besteht in der eingangs schon ausgesprochenen Unterscheidung von Übersetzung und Auslegung. Sie ist sowohl dem Wort der Schrift wie den liturgischen Texten gegenüber notwendig. Einerseits muss das heilige Wort möglichst als es selbst erscheinen, auch mit seiner Fremdheit und den Fragen, die es in sich trägt; andererseits ist der Kirche der Auftrag der Auslegung gegeben, damit in den Grenzen unseres jeweiligen Verstehens die Botschaft zu uns kommt, die der Herr uns zugedacht hat. Auch die einfühlsamste Übersetzung kann die Auslegung nicht ersetzen: Es gehört zur Struktur der Offenbarung, dass das Gotteswort in der Auslegungsgemeinschaft der Kirche gelesen wird, dass Treue und Vergegenwärtigung sich miteinander verbinden. Das Wort muss als es selbst, in seiner eigenen vielleicht uns fremden Gestalt da sein; die Auslegung muss an der Treue zum Wort selbst gemessen werden, aber zugleich es dem heutigen Hörer zugänglich machen.
In diesem Zusammenhang ist vom Heiligen Stuhl entschieden worden, dass bei der neuen Übersetzung des Missale das Wort pro multis als solches übersetzt und nicht zugleich schon ausgelegt werden müsse. An die Stelle der interpretativen Auslegung für alle muss die einfache Übertragung für viele treten. Ich darf dabei darauf hinweisen, dass sowohl bei Matthäus wie bei Markus kein Artikel steht, also nicht für die vielen, sondern für viele. Wenn diese Entscheidung von der grundsätzlichen Zuordnung von Übersetzung und Auslegung her, wie ich hoffe, durchaus verständlich ist, so bin ich mir doch bewusst, dass sie eine ungeheure Herausforderung an alle bedeutet, denen die Auslegung des Gotteswortes in der Kirche aufgetragen ist. Denn für den normalen Besucher des Gottesdienstes erscheint dies fast unvermeidlich als Bruch mitten im Zentrum des Heiligen. [ ]
Die Deutsche Bischofskonferenz stellt den Brief von Papst Benedikt XVI. an die Mitglieder der Deutschen Bischofskonferenz zur Frage der Übersetzung des Kelchwortes zur Verfügung.
Robert Zollitsch, Vorsitzender der Deutschen Bischofskonferenz, erkärt Folgendes zur Frage der Übersetzung des Kelchwortes:
Die Neuübersetzung des Messbuches, die gegenwärtig vorbereitet wird, erfolgt auf der Grundlage des vatikanischen Dokumentes ‚Liturgiam authenticam‘ aus dem Jahre 2001. Dazu gehört auch eine angemessene Übersetzung des Kelchwortes, zu der es in der Vergangenheit eine breite Diskussion gab. Der Heilige Vater hat sich dazu in einem Brief an die Bischöfe des deutschen Sprachraumes geäußert. Der Brief bietet eine Klärung und ist der Abschluss einer Diskussion. […]
Theologische Voraussetzungen, übersetzerische Grundentscheidungen und Inhalt der künftigen Übersetzung werden umfassend verdeutlicht. Für die deutschen Bischöfe ist dieser Brief ein wichtiger Impuls, die Übersetzung des Messbuches zügig voranzubringen.
Man kann jedoch davon ausgehen, dass die Priester in den Gemeinden mit Unverständnis vonseiten der Gläubigen, die seit 50 Jahren an einen anderen Wortlaut gewöhnt sind, zu kämpfen haben werden.
[Text: Jessica Antosik. Quelle: pnp.de, 05.05.2012; pilger-speyer.de, 26.04.2012; swr.de, 26.04.2012; dbk.de, 24.04.2012. Bild: eürodäna, Lizenz CC-BY.]