Unter „Relaissprache“ versteht man die Übersetzung aus einer Originalsprache, die wiederum als Basis für weitere Übersetzungen gilt. Solange deutsche Unternehmen ihre Dokumente in eine überschaubare Zahl an Sprachen übersetzten, fanden sich immer ausreichend Übersetzer aus dem Deutschen. Die Einführung einer Relaissprache wie Englisch war daher kein Thema.
Aber die Zahl der benötigten Sprachen und der Dokumentationsmengen ist inzwischen gestiegen. Laut einer Studie der tekom aus dem Jahr 2011 übersetzen knapp ein Fünftel der deutschen Unternehmen ihre technische Dokumentation in 20 Sprachen oder mehr (tekom-Studie 2011, tcworld 2011 – Dr. Daniela Straub). Bei einigen Zielsprachen wie Chinesisch können nur ganz wenige Übersetzer Fachtexte sicher aus dem Deutschen übersetzen. Aus diesem Grunde gehen einige Firmen dazu über, zumindest für manche Sprachkombinationen Englisch als Basis für weitere Übersetzungen einzusetzen.
Beispiel Japan
Auch das Ausland greift auf die Relaissprache Englisch zu. Ein typisches Beispiel ist Japan. Was man manchmal etwas ethnozentrisch als „japanisches Englisch“ herabstuft, ist in vielen Fällen keineswegs schlechter als „deutsches Englisch“. Es ist der Versuch, deutsches bzw. japanisches (französisches, spanisches usw.) Denken in eine Art „Lingua franca“ einzupressen und das gelingt nur bedingt.
Grammatikalisch sind diese Texte oft weitgehend in Ordnung. Bei Japanisch kommt allerdings in vielen Fällen der Entstehungsprozess dieser englischen Versionen erschwerend hinzu. Weil es kaum genug englische Muttersprachler gibt, die Japanisch verstehen, erstellen japanische Fachleute den ersten englischen Entwurf. Diesen korrigieren anschließend englische Muttersprachler. Es kommt daher durchaus vor, dass die englische und die japanische Fassung inhaltlich nicht ganz übereinstimmen.
Wirtschaftliche Gründe zur Einführung von Englisch als Relaissprache
Für manche Unternehmen hat die Einführung von Englisch als Relaissprache wirtschaftliche Gründe, wobei dies in erster Linie auf einige wenige Sprachkombinationen zutrifft. Ein klassisches Beispiel dafür ist Chinesisch, das in der Sprachkombination Englisch-Chinesisch preiswerter ist.
Erhöhter Korrekturaufwand
Die Frage ist aber, ob sich die Einführung einer Relaissprache wirklich lohnt. Wie gleichwertig sind eigentlich die deutsche und die englische Fassung? Wie groß ist danach der Aufwand, Originalsprache und Relaissprache inhaltlich auf einen Nenner zu bringen? Dass da Zweifel angebracht sind, zeigt eine Erfahrung, die viele bereits bei Korrekturrückmeldungen von Auslandsniederlassungen gemacht haben. Es hat sich im Nachhinein oft herausgestellt, dass der Auslandsmitarbeiter kein Deutsch konnte und die Übersetzung aus dem Deutschen mit einer englischen Version geprüft hat. Auf einmal werden Aussageunterschiede zwischen der deutschen und der englischen Fassung sichtbar.
Texterstellung: Das Problem der unzureichenden Englischkenntnisse
Englisch als Relaissprache zu nehmen, stellt Unternehmen vor zwei Herausforderungen: Zum einen müssen sie diese englischen Texte produzieren. Und zum anderen müssen sie sicherstellen, dass die Übersetzungen in allen benötigten Sprachen dem Urtext bzw. der Informationsabsicht inhaltlich voll entsprechen.
Deutsche Autoren, die direkt in Englisch schreiben, verfügen sicherlich über das notwendige Fachwissen. Sie bewegen sich aber meistens sprachlich (und auch fachsprachlich) nicht auf dem Niveau eines muttersprachlichen Fachkollegen. Abgesehen von grammatikalischen Fehlern liegt das Problem für Autoren darin, dass der englische Wortschatz fast doppelt so umfangreich ist wie der deutsche. Das bedeutet für sie deutlich mehr Synonyme und Nuancen in der Ausdrucksweise.
Ganz speziell bereitet die Morphologie der englischen Sprache Schwierigkeiten. Die Zahl der Wörter oder Wortkombinationen, die sowohl als Verb als auch als Substantiv gelten, ist im Englischen viel größer als im Deutschen. Während in Zweifelsfällen die Groß-/Kleinschreibung dem deutschen Leser eine zusätzliche Hilfe verschafft („verfahren“/“Verfahren“), kann der Übersetzer eines englischen Textes zwischen Substantiv und Verb ohne Kontext nicht unterscheiden. Das Problem taucht insbesondere bei der Übersetzung von Softwareoberflächen auf. Was ist eigentlich unter „check settings“ zu verstehen? „Prüfeinstellung“ oder „Einstellungen prüfen“?
Deutsch als Sprache der Technik
Was ebenfalls zu Missverständnissen oder Übersetzungsfehlern führt, ist die ungleiche Übereinstimmung der fachlichen Inhalte zwischen Deutsch und Englisch. Nach dem Stille-Post-Verfahren entstehen dann in der zweiten Sprache weitere Abweichungen zum deutschen Original. Generell gilt Deutsch als die Sprache der Technik par Excellence. Mit einem kompakten Adjektiv wie „maschinenseitig“ kann der deutsche Ingenieur Konzepte ausdrücken, für die andere Sprachen einen halben Satz brauchen. Das gilt im Deutschen v. a. bei Komposita, mit denen in einem einzigen Wort komplexe Sachverhalte beschrieben sind.
Umgekehrt sind einige deutsche Komposita wie „Lebermetastase“ (Metastase in oder aus der Leber, Metastasierung in die Leber?) beim näheren Hinsehen doch nicht so eindeutig und können im Englischen zu einer Bedeutungsverzerrung führen.
Fehlerquelle Homonyme
Eine weitere Fehlerquelle bilden Homonyme (gleich geschriebene Wörter mit unterschiedlichen Bedeutungen), die jede Sprache kennt. Ohne Kontext kann ein Übersetzer leicht die falsche Bedeutung nehmen.
Steuerungsinstrumente
Wie kann man die Folgen von Bedeutungsveränderungen in Relaissprachen möglichst gering halten? Drei Steuerungsinstrumente stehen zur Verfügung:
- Einsatz einer kontrollierten Sprache
- Standardisierung der Terminologie und Verwendung von Definitionen
- Kontrolle der englischen Texte und Übersetzungen.
Kontrollierte Sprache
Kontrollierte Sprache ist ein weit dehnbarer Begriff. Hier geht es darum, dass Autoren einige Regeln in die Hand bekommen, mit denen sie ihre Texte übersetzungsgerecht und einheitlich verfassen können. Dazu gehören u. a. Regeln, die sowohl die Verständlichkeit von Aussagen erhöhen (z. B. Vermeidung der Passivform) als auch Verständnisproblemen bei der Übersetzung vorbeugen (z. B. immer vollständige Komposita schreiben: „Steuergerät“ und nicht nur „Gerät“).
Begriffsorientierte Terminologiedatenbank
Ein Kernstück jeder Strategie ist in diesem Zusammenhang der Aufbau und die Pflege einer zentralen begriffsorientierten Terminologiedatenbank, an der alle am Dokumentations- und Übersetzungsprozess Beteiligten gemäß ihrer Aufgabe mitwirken. Es ist bei mehrdeutigen Wörtern insbesondere wichtig, Definitionen von Fachleuten wie Entwicklern oder Konstrukteuren erstellen zu lassen.
Qualitätssicherung mit Werkzeugen wie ErrorSpy
Schließlich braucht man zuverlässige Kontrollmöglichkeiten, die zum einen englische Relaistexte auf die Einhaltung der Regeln und Terminologie prüfen und zum anderen anschließend die Übersetzungen ebenfalls prüfen. Hier sind softwaregestützte Lösungen wie die Qualitätssicherung von Übersetzungen und Translation Memories mit einem Werkzeug wie ErrorSpy fast unabdingbar.
Ohne diese flankierenden Maßnahmen können die erhofften Vorteile einer Relaissprache leicht in unerwünschten und teuren Nebeneffekten enden.
[Text: D.O.G. Dokumentation ohne Grenzen GmbH. Quelle: D.O.G. news 3/2012. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion. Bild: Daniel Ernst / Fotolia.de.]