30. September: Nur BDÜ und VdÜ nutzen internationalen Übersetzertag für Öffentlichkeitsarbeit

Hieronymus
Hieronymus beim Übersetzen in seiner Klause

Bereits 1991 hat der internationale Dachverband der Übersetzerverbände FIT (Fédération Internationale des Traducteurs) den 30. September, an dem traditionell des Bibelübersetzers Hieronymus (347-420) gedacht wird, zum „Internationalen Übersetzertag“ erklärt. Doch das hat sich immer noch nicht so richtig in der Übersetzungsbranche herumgesprochen.

In Deutschland nutzt der Literaturübersetzerverband VdÜ seit mehreren Jahren am konsequentesten und intensivsten den Gedenktag. Er stellt seinen Aktivisten eine Plakatvorlage zur Verfügung, um auf regionale Veranstaltungen hinzuweisen. Auch der BDÜ nutzte den Anlass zumindest, um die Öffentlichkeit in einer Pressemitteilung auf ein Anliegen der Berufsgruppe aufmerksam zu machen.

Die übrigen Berufsverbände wie ADÜ Nord, ATICOM, DVÜD, Universitas Austria, ASTTI und SDV und ließen die Gelegenheit wie üblich ungenutzt verstreichen.

VdÜ: Weltliteratur wird von Übersetzern gemacht

Der Literaturübersetzerverband VdÜ wies in einer Pressemitteilung auf die grundsätzliche Bedeutung von Übersetzern für die Kulturgeschichte hin:

VdÜ-Plakatvorlage
Plakatvorlage des VdÜ, mit der regionale Gruppen auf Veranstaltungen zum 30. September hinweisen können

„Die Weltliteratur“, so der portugiesische Schriftsteller und Nobelpreisträger Saramago, „wird von Übersetzern gemacht.“ Aber Übersetzer „machen“ noch viel mehr:

Auf ihrer Arbeit baut die gesamte abendländische Kultur auf. Das fängt mit den Bibelübersetzungen der Spätantike an und setzt sich im 9. Jahrhundert in Bagdad fort, wo die wissenschaftlichen Texte der griechischen Antike ins Arabische übersetzt wurden. Die sogenannte „Übersetzerschule von Toledo“ übertrug dann im 12. Jahrhundert neben originalsprachig arabischen wissenschaftlichen und religiösen Texten auch diese Übersetzungen ins Lateinische, im 13. Jahrhundert auch ins Kastilische, was sich normierend auf die spanische Sprache auswirkte.

Luthers Bibelübersetzung hat die deutsche Sprache wesentlich geprägt, die englische „King James Bible“ hatte großen Einfluss auf Milton und andere bedeutende englische Dichter. Die Shakespeare-Übersetzungen von Schlegel und Tieck haben der deutschsprachigen Bühnenkunst und ihren größten Repräsentanten unverzichtbare Impulse gegeben, und die Gedanken der Aufklärung konnten sich erst durch Übersetzungen in der ganzen Welt verbreiten.

Mit anderen Worten: Wo immer gesprochen, geschrieben, gelesen, ja selbst gesungen wird, hatten und haben Übersetzer ihre Hand im Spiel, und ihnen verdanken wir es, dass die ganze Welt in der eigenen Sprache aufgehoben ist. Ihre Arbeit hat die Voraussetzung für die Entwicklung von Kultur und Wissenschaft, aber auch für die Entwicklung der Volkssprachen geschaffen und nicht zuletzt für die Möglichkeiten des vereinigten Europas und der heutigen globalisierten Welt.

Am Internationalen Übersetzertag sollen zahlreiche Übersetzerveranstaltungen in der Öffentlichkeit ein Bewusstsein für die Bedeutung der Übersetzung in Vergangenheit und Gegenwart wecken und zeigen, wer hinter den Übersetzungen steht, mit denen jeder ständig konfrontiert ist – von der schönen Literatur bis zum Fachbuch, vom Theater bis zu Film und Fernsehen, von Zeitungen und Zeitschriften bis zu Werbung und Gebrauchsanweisungen.

www.literaturuebersetzer.de

Afghanischer Dolmetscher Bundeswehr
Ein junger afghanischer Dolmetscher (Mitte) im Einsatz für die Bundeswehr im afghanischen Mazar-i Scharif. Er vermittelt zwischen den Deutschen und einer „Medic-Kompanie“ der afghanischen Armee.

BDÜ fordert Aufnahmekontingent für afghanische Dolmetscher

Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer e.V. (BDÜ) nahm den internationalen Übersetzertag in diesem Jahr zum Anlass, um auf die Bedrohung der afghanischen Dolmetscher nach Abzug der deutschen Truppen aufmerksam zu machen:

Der Verband fordert die Einrichtung eines Aufnahmekontingents für afghanische Dolmetscher, weil sie in Lebensgefahr sind, so André Lindemann, Präsident des BDÜ. Der Grund: Dolmetscher sind durch ihre Arbeit für alle sichtbar und völlig ungeschützt. Sie übertragen die Worte von anderen, doch damit verkörpern sie – je nach Einsatz  – „die Stimme des Feindes“.

Deshalb werden insbesondere Dolmetscher von manchen Menschen vor Ort als Kollaborateure betrachtet und bedroht. Nach einem Bericht der Frankfurter Rundschau vom 29. August haben die Taliban zur Jagd auf Dolmetscher aufgerufen, die für die Deutschen gearbeitet haben.

Rund 1.300 Ortskräfte sind laut Bundesministerium des Inneren alleine für die deutsche Bundeswehr in Afghanistan tätig. Mindestens ein Drittel von ihnen arbeitet nach Schätzung des Verbandes als Dolmetscher.

Bis August 2013 wurden nach Informationen von Pro Asyl etwa 170 Anträge auf humanitäre Aufnahme in Deutschland gestellt, gerade mal vier wurden bisher im Rahmen von Einzelfallprüfungen bewilligt.

Die Prüfungsprozedur ist laut Bernd Mesovic, Afghanistanexperte von Pro Asyl, sehr langsam. Er erläutert, dass Einzelfallprüfungen nur eine provisorische Lösung sein können. Es wäre daher vernünftiger, ein Aufnahmekontingent für alle Ortskräfte zu schaffen, die sich bedroht fühlen. Zurzeit muss jeder Antragsteller seine konkrete Gefahrensituation nachweisen, was schwer ist.

Andere Länder haben für die Herausforderung andere Lösungen gefunden. Großbritannien etwa stellt laut Medienberichten ein Aufnahmekontingent für 600 Dolmetscher aus Afghanistan bereit.

Im Juli 2013 hat der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer gemeinsam mit anderen Berufsverbänden in einem offenen Brief an Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) gefordert, Dolmetscher aus Afghanistan aus dringenden humanitären Gründen aufzunehmen. Der Brief blieb bislang ohne Antwort.

Lindemann kommentiert, dass Dolmetscher eine Schlüsselrolle für die Kommunikation spielen und unter Einsatz ihres Lebens arbeiten. Deutschland habe aus Sicht des Verbandes die Pflicht, diesen Menschen in Deutschland ein Leben in Sicherheit zu ermöglichen.

[Text: Richard Schneider. Quelle: Pressemitteilung VdÜ, 2013-09; Pressemitteilung BDÜ, 2013-09-19. Bild: Michelangelo Merisi da Caravaggio (Ausschnitt, um 1606); VdÜ; BDÜ/Enno Heidtmann.]