Im Juli 2013 erschien der Norm-Entwurf prEN ISO 17100 „Übersetzungsdienstleistungen – Anforderungen an Übersetzungs- dienstleistungen“. Diese weltweit gültige Norm ist als Ersatz für die Europäische Norm DIN EN 15038 aus dem Jahre 2006 geplant und soll Ende 2014 / Anfang 2015 in Kraft treten.
Die alte und noch aktuelle europäische Norm 15038 regelt unterschiedliche Aspekte der Übersetzungsarbeit. Sie bestimmt im Wesentlichen die Anforderungen an die Qualifikation der Übersetzer und schreibt eine Qualitätsprüfung nach dem Vier-Augen-Prinzip vor.
Was sind die wichtigsten Änderungen im neuen Norm-Entwurf 17100 und was bedeuten sie für die Übersetzungsbranche?
Maschinelle Übersetzung ausgeschlossen
Im Anwendungsbereich (Kap. 1) schließt die Norm ausdrücklich „die Verwendung von Rohdaten einer maschinellen Übersetzung plus Nachbearbeitung (Posteditieren)“ aus. Angesichts der Tatsache, dass heute alle führenden Translation-Memory-Systeme die Integration maschineller Übersetzungsvorschläge in ihrem Editor anbieten, müsste dies noch genauer definiert werden.
Kompetenzen der Übersetzer genauer definiert
Eine sinnvolle Erweiterung der Anforderungen an die Kompetenz in den betroffenen Fachgebieten der Übersetzer wurde im Kapitel 3 (Ressourcen) aufgenommen. Es steht nun ausdrücklich in der Norm, dass Übersetzer die Fähigkeit mitbringen sollen, „Inhalte, die auf dem Sachgebiet des ausgangssprachlichen Inhalts erstellt wurden, zu verstehen und mit ihnen umzugehen“.
Neu: Kompetenzen der Projektmanager
Neu ist auch das Erwähnen der Kompetenzen von Projektmanagern („Projektleitende“), was allerdings in der gewählten Formulierung („Verständnis für die Übersetzungsdienstleistungsbranche“, „Wissen über den Übersetzungsprozess“ und „Fertigkeiten im Projektmanagement“) noch sehr allgemein bleibt. Hier hätte man angesichts der wachsenden Komplexität dieser Aufgabe Genaueres erwartet.
Neu: Pflicht zur Weiterbildung
Sinnvoll ist die Forderung nach einem Weiterbildungskonzept. Übersetzer, „Redigierende“ (gemeint sind die Lektoren, die die Übersetzungen prüfen) und weitere Beteiligte am Prozess müssen ihre Kompetenzen pflegen und aktuell halten, was der Übersetzungsdienstleister nachweisen muss.
Struktur orientiert sich an Abwicklungsprozess eines Übersetzungsauftrags
Die Struktur der neuen Norm unterscheidet sich von der DIN EN 15038 dadurch, dass sie sich am Abwicklungsprozess eines Übersetzungsauftrags orientiert, den sie in drei Kapiteln abbildet:
- Kapitel 4: Produktionsvorbereitende Prozesse und Tätigkeiten
- Kapitel 5: Produktionsprozesse
- Kapitel 6: Produktionsnachbearbeitende Prozesse
Die DIN EN ISO 17100 nennt unter 3.2 (Technische und technologische Ressourcen) explizit den Einsatz von Übersetzungstechnologien, Übersetzungsmanagementsystemen und Terminologieverwaltungssystemen.
Neu: Feedback-Verfahren
Zum Abschluss eines Projekts erwähnt die Norm zwei Punkte: Feedback und abschließende verwaltungstechnische Vorgänge. Der Dienstleister muss ein Verfahren zur Umsetzung von Kundenrückmeldungen haben und möglichst auch die Übersetzer sowie andere Beteiligte informieren. Verwaltungstechnische Schritte beziehen sich auf das Archivieren und die Einhaltung von Datenschutzbestimmungen.
Abschließende Tätigkeiten wie das Pflegen von Translation-Memorys oder von Terminologiebeständen werden hier nicht angeführt, obwohl sie für die Sicherstellung anhaltender Übersetzungsqualität wichtig sind.
Neu: ISO-Norm gilt weltweit
Die Norm bietet zwar keine absolute Garantie für eine gute Übersetzungsqualität. Sie legt aber gegenüber der DIN EN 15038 den Rahmen für Qualitätsprozesse enger fest, indem sie u. a. eine fachliche Eignung der Übersetzer verlangt und die Aufgaben des Projektmanagements erwähnt. Ferner hat sie den Vorteil, dass sie als ISO-Norm weltweit gültig ist.
Ein altes Problem bleibt bestehen: Neben Zertifizierung weiterhin Registrierung möglich
Wie schon bei der DIN EN 15038 haben Sprachdienstleister auch künftig die Möglichkeit, sich bei der DIN CERTCO als normenkonform registrieren zu lassen. Das Bezahlen der Gebühr von 235,00 Euro (zzgl. MwSt.) ist jedoch mit keinerlei Auditierung verbunden. Es handelt sich somit lediglich um eine eigenverantwortlich abgegebene Konformitätserklärung zur neuen Norm.
Diese Möglichkeit, sich ohne unabhängige Prüfung als normkonformer Sprachdienstleister zu präsentieren, ist denjenigen Anbietern, die eine teure (mehrere Tausend Euro) und aufwändige Zertifizierung durchlaufen haben, schon seit Langem ein Dorn im Auge. Sie sähen die Billigvariante der Registrierung, die einem Missbrauch Tür und Tor öffnet, am liebsten ganz abgeschafft.
Die Gruppe der Registrierten ist zahlenmäßig jedoch wesentlich größer (mehrere Hundert) als die der Zertifizierten (wenige Dutzend). Registriert sind eher die kleineren und zertifiziert eher die größeren Büros.
[Text: D.O.G. Dokumentation ohne Grenzen GmbH, leicht abgeändert und ergänzt von Richard Schneider. Quelle: D.O.G. news, 03/2014. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion. Bild: Doc Rabe Media / Fotolia.]