Die Übersetzung stilistisch anspruchsvoller Texte, wie z. B. Marketingtexte, führt immer wieder zu Diskussionen. Jemand liest im Ausland Korrektur, meldet Änderungswünsche und stellt manchmal die Frage, ob der Übersetzer überhaupt für die Arbeit qualifiziert war.
Da diese Art von Situation ab und zu vorkommt, möchten wir hier die Ursachen untersuchen. Wir klammern natürlich die Fälle aus, bei denen ein Übersetzer tatsächlich für die Übersetzung von Werbetexten nicht geeignet ist und ein dürftiges Ergebnis liefert.
In den meisten Fällen erfolgt die Prüfung im Ausland so, dass der Prüfer nicht Übersetzung und Originaltext miteinander vergleicht, sondern lediglich die übersetzte Fassung liest und überarbeitet.
Nicht selten versteht der Prüfer dabei die deutsche Sprache nicht bzw. nicht ausreichend. Dadurch übernimmt er vielmehr die Aufgabe eines traditionellen Lektorats, ähnlich mit dem Gegenlesen eines Textes in der Originalsprache durch einen Lektor.
Die daraus resultierenden Änderungen sind unterschiedlicher Natur:
- Sie betreffen die reinen sprachlichen Vorlieben des Lektors in seiner Muttersprache.
- Sie betreffen Formulierungen, die übersetzungsbedingt sind und in seiner Muttersprache etwas befremdlich wirken.
- Sie betreffen inhaltliche Angaben, die mit dem angestrebten Zweck des Textes für die Zielgruppe im betroffenen Land zusammenhängen.
Der erste Typ von Änderungen ist nichts anderes als das, was jeder Lektor tut, wenn er den Text eines anderen gegenliest. Sprache ist etwas sehr Individuelles und spiegelt die persönliche und sprachliche Erfahrung jedes Einzelnen wider.
Jeder Mensch hat sich über die Jahre durch seine Ausbildung, durch sein Umfeld, durch die Medien, die er nutzt, usw. einen ganz persönlichen Wortschatz angeeignet. Dadurch entsteht seine Vorliebe für gewisse Formulierungen bzw. sein Verständnis für bestimmte Konzepte oder Fachwörter.
Jeder Mensch besitzt eine Art sprachlichen Fingerabdruck
Interessanterweise ist dieses Phänomen Gegenstand einer ganz speziellen Wissenschaft, nämlich der forensischen Linguistik, die in Kriminalfällen hilft, Verdächtigte aufgrund ihrer sprachlichen Besonderheiten zu identifizieren, denn jeder Mensch hat eine Art sprachlichen Fingerabdruck.
Übersetzungsbedingte Formulierungen sind bei weitem die Formulierungen, die die meisten Diskussionen verursachen. Die Aufgabe des Übersetzers ist es zuerst einmal die Aussage des Textes in seine Sprache zu übertragen.
Übersetzungsanfänger neigen dazu, Sätze Wort für Wort zu übersetzen
Übersetzungsanfänger neigen dazu, Sätze Wort für Wort zu übersetzen. Das fällt natürlich auf, weil Sprachen sehr unterschiedlich „ticken“ und andere Satzstrukturen und Wortkombinationen verwenden. Aber auch erfahrenen Übersetzern, die die Grundregeln ihres Handwerks beherrschen, ist es kaum möglich, den sprachlichen „Geist“ des Originaltextes auszumerzen, auch wenn sie sich Mühe geben, ihre Übersetzung stilistisch zu optimieren. Woran liegt das?
Sprache filtert die Realität
Dafür gibt es im Grunde zwei Haupterklärungen. Zum einen spielen linguistische Faktoren eine Rolle und zum anderen sind es kulturelle Aspekte. Man muss sich die Sprache als Filter vorstellen, durch den jeder die Realität interpretiert. Um eine Realität zu beschreiben, verfügt die Sprache über Begriffe und Wörter sowie über Regeln, um diese Wörter miteinander zu kombinieren, sprich über eine Grammatik.
Wenn Wörter und Grammatik in allen Sprachen übereinstimmen würden, wäre maschinelles Übersetzen ein leichtes Spiel. Aber wir wissen aus Erfahrung, dass Grammatiken und der Wortschatzumfang der einzelnen Sprachen sehr unterschiedlich sein können.
Umfang des Wortschatzes in einzelnen Sprachen sehr unterschiedlich
So kann man zurzeit von einem Wortschatz von ca. einer Million Wörtern für die englische Sprache ausgehen, während die deutsche Sprache im Rahmen von 400-500.000 Wörtern oder die chinesische Sprache im Bereich von 370.000 Wörtern liegt.
Es liegt also auf der Hand, dass je nach Sprache Informationen und vor allem präzise Informationen nicht ausschließlich über die einzelnen Wörter vermittelt werden. Manche Konzepte sind in einer Sprache genauer als in anderen, wie es beispielsweise bei dem deutschen Ausdruck „maschinenseitig“ der Fall ist, der schwer in Englisch übertragbar ist.
Während einzelne Sprachen tendenziell die Hauptinformation in einem Fachwort unterbringen, benutzen andere Sprachen verstärkt den Kontext, um die vollständige Information zu vermitteln. So ist der Ausdruck „Vor dem Hauptschalter angeschlossen“ weniger exakt als das Englische „Connected upstream from the main switch“.
In der Praxis kommt es immer wieder vor, dass entweder der Übersetzer oder der Prüfer einer Übersetzung lieber auf Nummer sicher geht und eine Information in die Übersetzung übernimmt, die diese Sprache eigentlich nicht benötigt. So entstehen Konstruktionen wie „Fahrgestell und Federung“ (anstatt „Fahrwerk“) für das englische „chassis and suspension“, die zwar verständlich sind, aber trotzdem leicht befremdlich wirken.
Übersetzer sitzt zwischen zwei Stühlen
Kulturell sitzt der Übersetzer zwischen zwei Stühlen. Er muss die Informationen, Beispiele, Anspielungen des Originaltextes vermitteln. Dessen Autor kann sich verständlicherweise nicht in die Kultur aller möglichen Zielsprachen versetzen, sodass manchmal merkwürdige Aussagen entstehen.
Das kann ebenfalls für den Fall gelten, bei dem in der Zielsprache eine bestimmte Redewendung oder ein Vergleich sehr gut angebracht wäre, der im Originaltext gar nicht vorkommt. Nur die wenigsten Übersetzer trauen sich diesen Schritt der Interpretation zu.
Kritik des Lektors ist oft Kritik am Ausgangstext – nicht am Übersetzer
Schließlich findet man bei den Korrekturen des Lektors im Ausland Änderungen, die eigentlich dem Informationsgehalt des Ausgangstextes gelten. Es ist in der Tat so, dass man denselben Sachverhalt in alle möglichen Sprachen und Kulturen nie identisch vermitteln würde, wenn keine Übersetzungen im Spiel wären.
Abgesehen von reinen sachlichen Informationen wie Telefonnummern oder Adressen gehen unterschiedliche Sprach- oder Kulturgemeinschaften nicht von denselben Voraussetzungen und Erwartungen aus.
Wir kennen z. B. den unterschiedlichen Umfang von Serviceanleitungen für Fahrzeuge zwischen den USA und Europa, der darin begründet ist, dass die Sicherheitsanforderungen und die Vorkenntnisse der Anwender unterschiedlich sind.
Ursachen für Missverständnisse verstehen und Adaptionsschritte mit Dienstleister vereinbaren
Diskussionen zum Stil und Inhalt von Übersetzungen wird es natürlich immer geben. Es ist nützlich, die möglichen Ursachen zu verstehen.
Bei besonders anspruchsvollen Texten sollten Auftraggeber mit ihrem Sprachdienstleister einen zusätzlichen Adaptationsschritt vereinbaren, bei dem ausschließlich die übersetzte Fassung ohne Abgleich mit dem Original gegengelesen und anschließend an die Zielgruppe angepasst wird.
Nur so kann ein Text entstehen, der sich wie ein Original liest.
[Text: D.O.G. GmbH. Quelle: D.O.G. news 3/2017, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung von Dr. François Massion. Bild: Coloures-Pic / Fotolia.]