„Den halbieren wir jetzt“ – Jens Spahn zum Mindestbeitrag für Selbstständige in der gesetzlichen Krankenversicherung

Jens Spahn
Jens Spahn (38) von der CDU ist seit März 2018 Bundesminister für Gesundheit (Bild: BMG).

Seit Jahren kämpfen die Selbstständigenverbände, darunter auch die der Übersetzer und Dolmetscher, gegen die im Vergleich zu anderen Berufsgruppen ungerecht hohen Mindestbeiträge in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV).

Inzwischen scheint sich eine Lösung herauszukristallisieren. Bundesgesundheitsminister Jens Spahn (CDU) erklärte am 27. September 2018 im Bundestag bei der ersten Lesung des Versichertenentlastungsgesetzes, diese Beiträge halbieren zu wollen:

Wenn ich „konkrete Lebenssituationen“ sage, will ich nur ein Beispiel bringen: das Beispiel einer selbstständigen Webdesignerin mit zwei kleinen Kindern. Sie kann nur kleinere Aufträge annehmen, um flexibel genug für die Familienaufgaben zu sein, die sich ihr eben auch stellen. Sie hat bisher im Schnitt gut 1.000 Euro im Monat verdient und darauf den Mindestbeitrag zur Krankenversicherung für hauptberuflich Selbstständige gezahlt. Das waren bisher gut 360 Euro.

Den halbieren wir jetzt mit diesem Gesetz. Das ist eine soziale Frage. Für diese alleinerziehende Mutter heißt das 180 Euro weniger Beitrag zur Krankenversicherung, 180 Euro mehr Haushaltseinkommen pro Monat ab dem 1. Januar. Das ist für etwa eine halbe Million Versicherte, denen es genauso geht, für die der Mindestbeitrag für Selbstständige zur gesetzlichen Krankenversicherung eine soziale Frage ist, eine enorme Entlastung.

Die Beitragssenkung führt zu Einnahmeausfällen bei den Krankenkassen, die laut Spahn aber vertretbar sind: „Wir können entlasten, weil die wirtschaftliche Lage der Krankenkassen in Deutschland, der gesetzlichen Krankenversicherung, insgesamt sehr gut ist.“

Worin besteht die Ungerechtigkeit?

Kritisiert wird nicht die Tatsache, dass die Beiträge für Selbstständige grundsätzlich doppelt so hoch wie bei Angestellten sind. Bei Angestellten zahlt der Arbeitgeber die Hälfte der Beiträge. Weil Selbstständige ihr eigener Arbeitgeber sind, müssen sie sowohl den Arbeitnehmer- als auch den Arbeitgeberanteil aus eigener Tasche bezahlen. Daran wird sich auch künftig nichts ändern.

Ungerecht ist vielmehr, dass die Höhe der Beiträge bei Selbstständigen im Gegensatz zu allen anderen Berufsgruppen bei sinkendem Einkommen nicht reduziert wird. Es sind stets mindestens 360 bis 400 Euro abzuführen, selbst wenn das Monatseinkommen im Durchschnitt nur bei 1.000 Euro oder sogar darunter liegt. Die Berechnung erfolgt immer anhand eines fiktiven Mindesteinkommens von rund 2.200 Euro. Warum das so ist, kann niemand schlüssig erklären.

Angestellte Geringverdiener mit einem Einkommen zwischen 450 und 850 Euro zahlen in solchen Fällen lediglich 17 bis 62 Euro pro Monat für die Kranken- und Pflegeversicherung.

BAGSV fordert „faire Beiträge für Selbstständige“

Die in der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (BAGSV) zusammengeschlossenen Verbände, zu denen auch BDÜ und ATICOM gehören, fordern, dass die Beiträge der Selbstständigen wie bei allen anderen Berufsgruppen nach dem tatsächlichen Einkommen berechnet werden. Und nicht länger ein Mindesteinkommen von 2.200 Euro bei der Berechnung zugrundegelegt wird. Nur so könne die systematische Benachteiligung beendet werden. Auf der Website heißt es:

  • Gesetzlich versicherte Selbstständige müssen hohe Mindestbeiträge zur Kranken- und Pflegeversicherung bezahlen. Diese machen teilweise mehr als 40 Prozent ihres Einkommens aus. Viele der Betroffenen sind Frauen und Teilzeit-Selbstständige.
  • Die Bemessungsgrundlage ist bei Selbstständigen zudem wesentlich breiter als bei Angestellten. Auch bei einem mittleren Einkommen ergibt sich eine Belastung, die systematisch 20 Prozent höher liegt als die Beiträge, die ein vergleichbarer Angestellter und sein Arbeitgeber zusammen bezahlen.

Forderungen der BAGSV:

  • Die Bezugsgröße für die Berechnung der Mindestbeiträge zur gesetzlichen Kranken- und Pflegeversicherung muss auch für Selbstständige auf 450 Euro/Monat gesenkt werden.
  • Die Bemessungsgrundlage muss vereinheitlicht werden. Es ist nicht einzusehen, dass Selbstständige zum Beispiel auf Mieteinnahmen Beiträge bezahlen, andere Erwerbstätige nicht.
  • Bei der Beitragsbemessung muss der Betrag, der dem Arbeitgeberbeitrag zur Sozialversicherung entspricht, ausgeklammert bleiben – wie bei Angestellten auch.

Härtefallregelung greift nur bei Vermögenslosigkeit

Zwar besteht bereits jetzt die Möglichkeit, bei finanziellen Schwierigkeiten eine Härtefallregelung in Anspruch zu nehmen, bei der sich die monatlichen GKV-Beiträge um rund ein Drittel reduzieren. Dies ist jedoch de facto nur dann möglich, wenn der Versicherte bereits an der Schwelle zur Insolvenz steht. Die Voraussetzungen zur Gewährung einer Härtefallregelung lauten:

  • Es muss per Einkommensteuerbescheid nachgewiesen werden, dass das Monatseinkommen unter rund 2.200 Euro liegt.
  • Das „gesamte Vermögen“ des Versicherten und des Ehepartners darf einschließlich Wohnungseinrichtung und Auto den Betrag von rund 11.600 Euro nicht überschreiten. Beide Einkommen der „Bedarfsgemeinschaft“ werden zusammengezählt.
  • Keiner in der Bedarfsgemeinschaft darf Einkünfte aus Vermietung oder Verpachtung erzielen. Auch dann, wenn diese Einkünfte negativ sind, ist dies ein Ausschlusskriterium. Es wird erwartet, dass man das vermietete oder verpachtete Eigentum verkauft.
  • Die eventuell gewährte Beitragsreduzierung um ca. ein Drittel ist grundsätzlich nicht rückwirkend möglich. Viele Versicherte kennen die Härtefallregelung gar nicht. Die Krankenkassen machen nicht von sich aus darauf aufmerksam.

Viele Geringverdiener sind bei den Krankenkassen verschuldet

Die bei Freiberuflern und Selbstständigen im Vergleich zu anderen Gruppen ungerechtfertigt hohen Beiträge für die Kranken- und Pflegeversicherung haben dazu geführt, dass Zehntausende von selbstständigen Geringverdienern ihre Beiträge immer mal wieder nicht bezahlen können.

Viele haben im Lauf der Jahre vier- bis fünfstellige Schuldenberge bei den Versicherungen angehäuft. Bei den beiden größten Krankenversicherungen, der Barmer GEK und der Techniker Krankenkasse, befinden sich jeweils rund 50.000 Personen mit ihren Beitragszahlungen im Rückstand.

Risiken und Nebenwirkungen

Risiken und Nebenwirkungen für säumige Beitragszahler:

  • Bei Beitragsrückständen von zwei Monaten und mehr „ruht der Leistungsanspruch“. Es lassen sich dann nur noch akute Erkrankungen und Schmerzzustände im unbedingt notwendigen Maß behandeln. (Vorsorgeuntersuchungen sind davon ausgenommen.)
  • Der Versicherte muss sich vor jedem Arztbesuch bei der Krankenkasse so genannte Behandlungsscheine holen. Diese dokumentieren gegenüber dem Arzt, dass man keinen Anspruch auf die vollen Krankenkassenleistungen hat. Der Arzt muss dann entscheiden, ob die Behandlung notwendig ist und kann diese auch ablehnen.
  • Dauerhafte Beitragsrückstände führen unweigerlich zum Besuch von Vollstreckungsbeamten der Hauptzollämter, erkennbar am Autokennzeichen „BD 16 – [plus weitere Nummer]“. Der dem Finanzministerium unterstehende Zoll fungiert als Inkassostelle des Bundes und anderer öffentlich-rechtlicher Einrichtungen. Auch die Krankenkassen haben ihm die Beitragseintreibung übertragen. Der Zollbeamte klingelt unangemeldet (in Zivil, nicht in Uniform) und verschafft sich einen Überblick über das Vermögen und die Einkommenssituation des Versicherten. Er agiert wie ein Gerichtsvollzieher und kann auch Pfändungen vornehmen.

Was tun, wenn man die Beiträge nicht mehr bezahlen kann?

Wer sich in einer Finanzklemme befindet und die Beiträge zur Krankenversicherung nicht mehr regelmäßig bezahlen kann, sollte sich möglichst frühzeitig mit seiner Kasse in Verbindung setzen.

Von einem Streichen der regulären Krankenkassenleistungen (Ruhen des Leistungsanspruchs) wird unter Umständen abgesehen, wenn die rückständigen Beiträge zuverlässig in Raten abgestottert werden.

Den Kopf in den Sand zu stecken, Rückzahlungen auf die lange Bank zu schieben und die Situation eskalieren zu lassen, ist die schlechteste aller Strategien. Es nützt auch nichts, dem freundlichen Herrn vom Zoll die Tür nicht aufzumachen. Er kann auch ohne Ihr Mitwirken sämtliche Konten und Geldanlagen pfänden.

Es sollte sich inzwischen auch herumgesprochen haben, dass es nicht mehr möglich ist, Gelder auf Auslandskonten zu verstecken (siehe Link weiter unten).

Mit anderen Worten: Sie haben keine Chance, sich der Beitragspflicht zur Kranken- und Pflegeversicherung zu entziehen. Daher empfiehlt es sich, frühzeitig zu kooperieren.

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[Text: Richard Schneider.]