Erfolg für Verbände: Bundestag halbiert GKV-Mindestbeiträge der Selbstständigen

Bundestagspräsidium
Bundestagsvizepräsidentin Petra Pau (Die Linke) leitete am 18.10.2018 die Bundestagssitzung. - Bild: Achim Melde / Deutscher Bundestag

Ab 1. Januar 2019 sinken die monatlichen Mindestbeiträge für gesetzlich Versicherte Selbstständige von bisher je nach Krankenkasse rund 400 Euro auf 188 Euro. Möglich wird dies durch eine Senkung der Beitragsbemessungsgrenze von derzeit 2.283,75 auf 1.141,88 Euro. Das hat der Deutsche Bundestag in seiner Sitzung vom 18.10.2018 mit Verabschiedung des „Gesetzes zur Beitragsentlastung der Versicherten in der Gesetzlichen Krankenversicherung“ in 2. und 3. Lesung so beschlossen.

Mit Ja haben CDU/CSU, SPD und Bündnis 90/Die Grünen gestimmt. Die FDP stimmte mit Nein, weil ihr die Entlastung der kleinen Selbstständigen nicht weit genug ging. Die Fraktionen von AfD und Die Linke enthielten sich der Stimme.

Lobbyarbeit der Übersetzerverbände

Die Berufsverbände BDÜ und ATICOM werten dies als einen großen Erfolg der politischen Lobbyarbeit. Sie hatten sich im Rahmen des Verbandes der Gründer und Selbstständigen Deutschland (VGSD) und der Bundesarbeitsgemeinschaft Selbstständigenverbände (bagsv) seit Langem für eine solche Lösung stark gemacht.

Beim BDÜ, für den in dieser Angelegenheit vor allem Ralf Lemster tätig war, heißt es in einer ersten Stellungnahme:

Dieser Erfolg zeigt, wie wichtig der Schulterschluss mit Verbänden wie dem VGSD bzw. dem Bündnis Bundesarbeitsgemeinschaft der Selbstständigenverbände (bagsv) ist, um die Belange und Interessen der selbstständig und freiberuflich Tätigen in die politische Diskussion und letztlich in die Gesetzgebung einzubringen.

Auf der ATICOM-Website ist zu lesen:

Nach einer zweiten Stellungnahme, die unter anderem auch ATICOM, BDÜ und [der Lektorenverband] VFLL mitzeichneten, und einer weiteren Anhörung im Gesundheitsausschuss Anfang Oktober hat der Bundestag am 18. Oktober 2018 das Gesetz unter Berücksichtigung von zwei wichtigen Forderungen aus unserer Stellungnahme (deutlichere Senkung der Mindestbemessungsgrenze und keine Berechnung der Beiträge auf fiktive Einkommen bei Bezug von Kranken-/Elterngeld) verabschiedet.

Gerechtigkeitslücke geschlossen

Mit der Neuregelung wird eine Gerechtigkeitslücke geschlossen. Selbstständige, also auch die freiberuflich tätigen Übersetzer und Dolmetscher, werden damit hinsichtlich der Beitragsberechnung für die Kranken- und Pflegeversicherung erstmals annähernd wie Angestellte behandelt. Deren Beiträge sinken, wenn das Einkommen sinkt.

Bei Selbstständigen war das bisher nicht der Fall. Ihre Beiträge wurden nach einem fiktiven Mindesteinkommen von rund 2.200 Euro berechnet. Die daraus resultierenden Monatsbeiträge von rund 400 Euro waren auch dann zu entrichten, wenn das tatsächliche Einkommen deutlich darunter lag, also beispielsweise bei 1.000 Euro.

Maßnahmen zur Reduzierung von Beitragsschulden?

Die ungerechtfertigt hohen Mindestbeiträge für Selbstständige haben in den vergangenen Jahren, besonders seit Einführung der Versicherungspflicht für Selbstständige, viele in eine finanziell prekäre Situation gebracht. Dies betrifft Berufseinsteiger, Geringverdiener und diejenigen, die wegen persönlicher Umstände oder Krankheit ihrer Arbeit nicht in Vollzeit nachgehen können.

Nicht wenige sind gegenüber den Krankenkassen verschuldet und müssen noch nicht entrichtete Beiträge aus den vergangenen Jahren abstottern. Als einzige Fraktion hatte Die Linke im Bundestag einen Schuldenschnitt für die Opfer der Mindestbemessungsgrenze gefordert.

Zwar findet sich im Gesetzesentwurf folgender Absatz:

Im Rahmen der Bereinigung von Mitgliedskonten von „ungeklärten passiven“ Mitgliedern sind auch deren Beitragsschulden zu bereinigen. Die Bereinigung ist faktisch keine Mindereinnahme für die gesetzliche Krankenversicherung, weil diese Beitragsschulden nicht beigetrieben werden können und und rein fiktiver Natur sind.

Dies bezieht sich aber offenbar nur auf Versicherte, denen nach Einführung der Versicherungspflicht für Selbstständige der Höchstsatz berechnet wurde, weil sie keine Einkommensteuerbescheide abgegeben haben, an der Klärung der Einkommensverhältnisse nicht mitgewirkt haben und nicht auffindbar waren. Diese Karteileichen sollen nun mitsamt den ihnen zugerechneten Beitragsschulden aus der Krankenversicherung entfernt werden.

VGSD mit Vorsitzendem Dr. Andreas Lutz treibende Kraft hinter Lobbyarbeit

Andreas Lutz im Gesundheitsausschuss
Dr. Andreas Lutz bei einer Anhörung im Gesundheitsausschuss des Deutschen Bundestages. – Bild: VGSD (Screenshot der Aufzeichnung durch den Bundestag)

Treibende Kraft hinter den vielfältigen Aktivitäten der in VGSD und bagsv zusammenarbeitenden Verbände ist der VGSD-Vorsitzende Dr. Andreas Lutz. Auf der Website des Verbandes beschreibt er die unerwartet erfreuliche Entwicklung der letzten Wochen:

In der vom VGSD initiierten und von 16 weiteren Verbänden mitgezeichneten gemeinsamen Stellungnahme zum Gesetzesentwurf hatten wir zwei „pragmatische Vorschläge“ gemacht:

1. Der erste Vorschlag bestand darin, die Mindestbemessungsgrenze nicht nur von 2.284 auf 1.142 Euro zu halbieren, sondern bei der Gelegenheit gleich auf 1.015 Euro, um damit künftig auf die Unterscheidung zwischen haupt- und nebenberuflicher Selbstständigkeit verzichten zu können, die sonst weiterhin mit viel Bürokratie verbunden wäre. Dadurch sinkt zum Jahreswechsel der Mindestbeitrag zur Kranken- und Pflegeversicherung nicht nur von 423 Euro auf 211, sondern auf 188 Euro. Das ist eine Beitragsreduzierung um 56 Prozent!

2. Der zweite Vorschlag bestand darin, dass uns Selbstständigen bei Bezug von Krankengeld (ab der 7. Woche) und bei Bezug von Eltern- und Mutterschaftsgeld nicht mehr der Beitrag auf das fiktive Einkommen abgezogen wird.

Wir haben sogar noch etwas mehr als die Halbierung der Beiträge erreicht und (wie oben beschrieben) eine bisher bestehende, unseres Erachtens skandalöse Regelung beenden können, die schwangere und schwerkranke Selbstständige in einer für sie besonders schwierigen Situation zusätzlich belastete.

Die Änderungen sind ein wichtiger Schritt in Richtung auf die von uns geforderte faire, einkommensabhängige und mit Angestellten vergleichbare Beitragsbemessung, für die wir natürlich weiter kämpfen werden.

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[Text: Richard Schneider.]

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