Brasilien: Michelle Bolsonaro nutzt Gebärdensprache bei Amtseinführung des Präsidenten

Michelle Bolsonaro
Das Präsidenten- und Vizepräsidentenpaar auf dem Weg zur Amtseinführung. - Bild: Präsidialamt, Lizenz CC BY-SA 3.0

Michelle Bolsonaro (38), Gattin des neuen brasilianischen Präsidenten Jair Bolsonaro (63), überraschte am 1. Januar 2019 bei dessen Amtseinführung mit einer dreieinhalbminütigen Rede in „Libras“, der brasilianischen Gebärdensprache (Abkürzung für „Língua Brasileira de Sinais“).

Die neue primeira-dama ergriff nach der Vereidigung bei einer Ansprache vor dem Palácio do Planalto noch vor dem Präsidenten das Wort und ließ sich von einer Gebärdensprachdolmetscherin in Lautsprache dolmetschen.

Dabei wandte sie sich auch direkt an „die Gemeinschaft der Gehörlosen, an Menschen mit Behinderungen und alle, die sich vergessen fühlen“. „Ihr werdet geschätzt und eure Rechte werden respektiert“, rief sie in Gebärdensprache der Menge zu. Sie spüre diesen Ruf in ihrem Herzen und wolle dazu beitragen, dass der Mensch als solcher wahrgenommen und in seiner Entwicklung gefördert werde.

Eu gostaria de modo muito especial de dirigir-me à comunidade surda, pessoas com deficiência a a todos aqueles que se sentem esquecidos. Vocês serão valorizados e terão seus direitos respeitados. Tenho esse chamado no meu coração e desejo contribuir na promoção do ser humano.

Bei den Zuschauern kam der Auftritt gut an. Selbst die Bolsonaro-Kritikerin und frühere Ministerin der Arbeiterpartei, Maria do Rosário, lobte den Vortrag als „gesto positivo“. Do Rosário war federführend am 2010 verabschiedeten Gesetz zur Regelung der Berufsausübung der Gebärdensprachdolmetscher beteiligt.

Auch die sich anschließende kurze Ansprache des neuen Präsidenten wurde von einer neben ihm auf der Bühne stehenden Gebärdensprachdolmetscherin vermittelt.

Über tauben Onkel und kirchliche Sozialarbeit zur Gebärdensprache

Ursprünglich beschäftigte sich Michelle de Paula Firmo Reinaldo Bolsonaro, wie sie mit vollem Namen heißt, mit der Gebärdensprache, um besser mit einem tauben Onkel kommunizieren zu können. In dem 208 Millionen Einwohner zählenden Land gibt es laut Statistikamt IGBE rund 10 Millionen Gehörlose und Hörgeschädigte.

Seit 2008 engagiert sie sich in ihrer Kirchengemeinde in der Sozialarbeit insbesondere für Gehörlose. Im Rahmen dieser Tätigkeit professionalisierte sie ihre Kenntnisse, wirkte bei Gottesdiensten als Gebärdensprachdolmetscherin und organisierte Fortbildungsveranstaltungen zur Teilhabe und Inklusion.

Michelle Bolsonaro gehört einer evangelikalen Kirchengemeinde an, ihr Ehemann ist katholisch. Sie besuchte lange Jahre die Assembleia de Deus Vitória em Cristo (ADVEC) des Pastors Silas Malafaia. Im Jahr 2017 wechselte sie zur Gemeinde Igreja Batista da Atitude. Beide befinden sich im Stadtviertel Tijuca von Rio de Janeiro.

Bei einigen Wahlkampfauftritten ihres Mannes trat sie 2018 ebenfalls als Dolmetscherin für Gebärdensprache in Erscheinung.

Durch das langjährige Engagement für Gehörlose muss sich die neue First Lady in ihrem inoffiziellen Amt nicht erst eine wohltätige Beschäftigung suchen. Sie setzt ihre Arbeit einfach auf anderer Ebene fort – nicht mehr in der Gemeinde vor Ort, sondern aus dem Amtssitz des Präsidenten heraus, dem Palácio da Alvorada.

Palacio Alvorada
Schon 1958 von dem legendären brasilianischen Architekten Oscar Niemeyer gebaut und immer noch futuristisch: der Palácio da Alvorada, Amtssitz des brasilianischen Präsidenten. – Bild: Thum_Fel, Lizenz CC BY-SA 3.0

Frühere Parlamentssekretärin lernte ihren Mann in Abgeordnetenkammer kennen

Die Tochter eines Busfahrers lernte ihren Mann 2007 bei ihrer Arbeit als Parlamentssekretärin in der Abgeordnetenkammer (Câmara dos Deputados) kennen. Jair Bolsonaro war damals bereits seit fast 20 Jahren Abgeordneter.

Sie arbeitete angangs in den Parlamentsbüros zweier Abgeordneter und später kurze Zeit auch als Sekretärin in Jair Bolsonaros Büro.

2008 gab sie ihren Beruf auf, nachdem der Oberste Gerichtshof entschieden hatte, dass Politiker grundsätzlich keine Familienangehörigen (bis zur Verwandtschaft dritten Grades) in der öffentlichen Verwaltung beschäftigen dürfen.

Washington Post interpretiert Gebärdensprachgeste als „militärischen Gruß“

In der Washington Post sorgte kurzzeitig ein Online-Artikel für Irritationen. Ein Redakteur hatte die auf dem folgenden Bild zu sehende Geste wie folgt untertitelt: „[…] Brazil’s new first lady Michelle Bolsonaro gives a military salute […].“

Falschmeldung Washington Post

Einige Stunden später folgte jedoch die Richtigstellung:

Correction: A photo caption incorrectly stated that Brazil’s first lady, Michelle Bolsonaro, had made a military salute during her husband’s inauguration. She used sign language to speak with the public attending the ceremony.

[Text: Richard Schneider.]