Niedersachsen: „Daher wird der Einsatz von Videodolmetschern weiter forciert“ – in allen JVAs

Bild: kamasigns / Fotolia
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Sämtliche Gefängnisse des Bundeslandes Niedersachsen sollen im Lauf des Jahres 2019 mit Videodolmetschsystemen ausgestattet werden. Dazu hatte die Landesregierung im Vorjahr eine Ausschreibung auf den Weg gebracht, die wegen fehlerhafter Einreichungen der Bieter mehrmals wiederholt werden musste.

Anja Piel
Anja Piel ist Fraktionsvorsitzende der Grünen in Niedersachsen – Bild: Pressefoto Piel

Die Landtagsabgeordnete Anja Piel von den Grünen hat im Oktober 2018 unter der Überschrift „Videodolmetscherinnen und -dolmetscher im Justizvollzug“ eine „kleine Anfrage“ an die Landesregierung gerichtet.

Piel ist Sprecherin für Soziales, Justizvollzug, Kinder, Jugend, Familie ihrer Landespartei und Fraktionsvorsitzende. Da Niedersachsen von einer großen Koalition aus SPD und CDU regiert wird und FDP und AfD weniger Mandate als die Grünen haben, ist sie außerdem Oppositionsführererin.

Nachfolgend die wichtigsten Fragen der Grünen sowie die schriftlichen Antworten der Landesregierung. Die Drucksache vermittelt interessante Einblicke in das Ferndolmetschen in den Justizvollzugsanstalten.

Vorbemerkung der Landesregierung

Im Rahmen eines Projekts wurde die Dienstleistung Videodolmetschen im Januar und Februar 2017 in der JVA Uelzen pilotiert. Videodolmetscherinnen und -dolmetscher wurden während des Aufnahmeverfahrens im Rahmen des Zugangsgesprächs und der ärztlichen Untersuchung eingesetzt. Die Erfahrungen während der Pilotierung waren gut.

Ein Einsatz in den Aufnahmeabteilungen und medizinischen Abteilungen aller Justizvollzugseinrichtungen des geschlossenen Vollzugs wird daher angestrebt. Nach der Pilotierung wurde mit den Vorbereitungen einer europaweiten Ausschreibung begonnen. Am 15.01.2018 wurde die Dienstleistung Videodolmetschen durch das Logistik Zentrum Niedersachsen (LZN) erstmals europaweit ausgeschrieben.

[…] Nach erfolgter rechtlicher Prüfung der Vergabeunterlagen durch das LZN ist vorgesehen, diese Ausschreibung voraussichtlich am 22.11.2018 zu veröffentlichen und den Zuschlag am 26.02.2019 zu erteilen.

Welche Erfahrungen hat die Landesregierung mit den Videodolmetscherinnen und -dolmetschern gemacht? Wie bewertet sie diese? In welchen Situationen können Videodolmetscherinnen und -dolmetscher eingesetzt werden, und in welchen Situationen wurden sie tatsächlich eingesetzt?

Ein Einsatz ist vorrangig während des Aufnahmeverfahrens der Gefangenen im Rahmen des Zugangsgesprächs und der medizinischen Untersuchung geplant. Während der Pilotierung in der JVA Uelzen wurden insgesamt 14 Gespräche durch den Einsatz von Videodolmetscherinnen und -dolmetschern übersetzt, davon drei Gespräche im medizinischen und elf Gespräche im vollzuglichen Kontext (u. a. Zugangsgespräch, Behandlungs-untersuchung und Vollzugsplanung).

Ist die Ausschreibung für die Dolmetscherleistungen per Videoübertragung ergangen? Falls ja, wie, mit welchem Inhalt (Umfang, Stundenanzahl, Vertragsdauer) und mit welchem Ergebnis?

Gegenstand des Konzessionsrahmenvertrags ist die Bereitstellung von Videodolmetscherleistungen in 23 Justizvollzugseinrichtungen ab dem 01.03.2019 für die Dauer von zwei Jahren mit der Option der zweimaligen Verlängerung um jeweils ein Jahr.

Die Übersetzungsleistung muss vom Auftragnehmer kalendertäglich für folgende Sprachen schnellstmöglich, spätestens aber innerhalb von 120 Minuten ab Anforderung der Terminvereinbarung zur Verfügung gestellt werden: Albanisch, Arabisch, Bosnisch, Kroatisch, Serbisch, Bulgarisch, Farsi, Persisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Slowakisch, Tschechisch, Türkisch, Ungarisch, Chinesisch, Dari, Englisch, Französisch, Georgisch, Italienisch, Kurdisch, Paschtu, Slowenisch, Spanisch, Tigrinya, Ukrainisch, Urdu, Vietnamesisch, Armenisch, Aserbaidschanisch, Edo, Bini, Griechisch, Hindi, Igbo, Japanisch, Koreanisch, Mongolisch, Niederländisch, Portugiesisch, Punjabi, Somali und Thailändisch.

Spätestens innerhalb von 24 Stunden ab Anforderung der Terminvereinbarung muss vom Auftragnehmer die Übersetzungsleistung für folgende Sprachen zur Verfügung gestellt werden: Afrikaans, Amharisch, Bengalisch, Dänisch, Estnisch, Filipino, Finnisch, Hebräisch, Indonesisch, Isländisch, Kasachisch, Lettisch, Litauisch, Nepalesisch, Norwegisch, Schwedisch, Singhalesisch, Suaheli, Tamilisch und Tibetisch.

Nach der Leistungsbeschreibung ist der Auftragnehmer gehalten, nachweislich sprachlich ausgebildete (Universitätsabschluss und/oder gerichtlich beeidigte) und/oder zertifizierte (vom BDÜ anerkanntes Zertifikat) Dolmetscherinnen oder Dolmetscher bereitzustellen. Das Niveau der Dolmetscherinnen und Dolmetscher muss mindestens der europäischen Kompetenzstufe C 1 des Gemeinsamen europäischen Referenzrahmens entsprechen. Der Mindestinhalt der Verpflichtung zur Einhaltung eines Berufskodex und zum Datenschutz ist Bestandteil der Leistungsbeschreibung.

Im Weiteren sieht die Leistungsbeschreibung Schulungen durch den Auftragnehmer für die künftigen Anwenderinnen und Anwender in den Justizvollzugseinrichtungen vor.

Der Zuschlag erfolgt nach der Höhe von Punkten, die nach der Berücksichtigung von Sicherheitsaspekten vergeben werden. Ziel ist es, Sicherheitsrisiken zu minimieren (wie beispielsweise eine Transportverschlüsselung und die Wahl einer geeigneten Browserfunktion). Bei gleicher Punktzahl entscheidet der Preis eines zustande gekommenen Übersetzungsgesprächs pro 60 Sekunden in Verbindung mit den Kosten einer Gesprächsstornierung durch den Aufraggeber.

Für wie viele Inhaftierte besteht aktuell ein Bedarf an Dolmetscherleistungen? Für wie viele Inhaftierte kann dieser Bedarf aktuell durch die Lücke im Angebot nicht zeitnah gedeckt werden?

Am 24.10.2018 waren insgesamt 1.574 Personen mit einer ausländischen Staatsangehörigkeit in niedersächsischen Justizvollzugseinrichtungen inhaftiert. Statistisch wird nicht erfasst, für wie viele dieser Personen Dolmetscherleistungen erforderlich sind. Aus den Justizvollzugseinrichtungen wird jedoch zunehmend ein entsprechender Bedarf formuliert.

Im Rahmen des Pilotprojekts in der JVA Uelzen wurden innerhalb von zwei Monaten in 13 Fällen Videodolmetschen eingesetzt. Die JVA Uelzen war während der Projektphase im Monat durchschnittlich mit 265 Gefangenen belegt. Ausgehend von 4.277 Gefangenen im geschlossenen Vollzug am 31.10.2018 würden die Ergebnisse aus der Pilotierung in der JVA Uelzen hochgerechnet einen Bedarf von jährlich bis zu 1.260 Einsätzen von Videodolmetscherinnen und -dolmetschern landesweit ergeben.

Bisher werden Übersetzungsleistungen durch die Hinzuziehung von Dolmetscherinnen und Dolmetschern aus der nächstgelegenen Stadt, mit Unterstützung von technischen Mitteln wie Apps und Übersetzungsprogrammen und den Einsatz von sprachkundigen Bediensteten oder Gefangenen erbracht.

Geplant ist der Einsatz von Videodolmetscherinnen und -dolmetschern für die Gefangenen in allen zwölf Justizvollzugsanstalten und der Jugendanstalt mit angeschlossenen großen Abteilungen sowie für die Abschiebungsgefangenen in der Abteilung Langenhagen (insgesamt 23 Liegenschaften).

Welche Risiken entstehen dadurch, dass es aktuell nicht möglich ist, sich durch zeitnahe Dolmetscherleistungen mit den Inhaftierten frühzeitig zu verständigen?

Der Einsatz von technischen Mitteln wie Apps und Übersetzungsprogrammen eignet sich nur für Erklärungen zum Tagesablauf und für kurze Antworten auf Fragen der Gefangenen. Für Übersetzungsleistungen, die aus Gründen der Behandlung und medizinischen Diagnostik erforderlich sind, ist der Einsatz von Dolmetscherinnen und Dolmetschern sowie sprachkundigen Bediensteten angezeigt.

Eine zeitnahe Übersetzung garantiert, dass die erforderlichen vollzuglichen und medizinischen Maßnahmen unverzüglich getroffen werden können und damit ein wesentlicher Beitrag zur Erreichung der Vollzugsziele und der Gewährleistung der psychischen und physischen Unversehrtheit der Gefangenen geleistet wird. Daher wird der Einsatz von Videodolmetscherinnen und -dolmetschern weiter forciert.

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[Text: Richard Schneider. Quelle: Drucksache 18/2206 des niedersächsischen Landtags.]