Bereits vergangene Woche berichteten Medien über den besorgniserregenden Schwund bei den Gerichtsdolmetschern in Österreich. Seit 2006 hat sich ihre Zahl von 1.400 auf 720 im Jahr 2018 halbiert.
Ursache ist vor allem die schlechte Bezahlung, die bei 24,50 Euro für die erste halbe Stunde und 12,40 Euro für jede weitere halbe Stunde liegt. In Deutschland werden gesetzlich festgeschrieben 70 Euro pro Stunde gezahlt.
NEOS bringen Entschließungsantrag zur Evaluierung der Gebührensätze ein
Das Thema kam am 24. April 2019 auch im Parlament zur Sprache, das in Österreich Nationalrat heißt. Bereits im Vorfeld hatte die Abgeordnete Dr. Irmgard Griss als Justizsprecherin der NEOS angekündigt, einen Entschließungsantrag zur Evaluierung der Gebührensätze einzubringen. Regierung und Parlament sollen so gezwungen werden, sich mit der Materie zu befassen und konkrete Verbesserungsvorschläge auszuarbeiten.
Die von allen Parteien wegen ihrer Sachkompetenz und ausgleichenden Art geschätzte Juristin Griss kennt sich in der Materie bestens aus. Sie war jahrzehntelang als Richterin tätig und vier Jahre Präsidentin des Obersten Gerichtshofes. 2016 kandidierte sie für das Amt der Bundespräsidentin.
In einer Pressemitteilung der NEOS hatte sie vorab verlauten lassen:
Damit Verfahren auch in Zukunft rasch durchgeführt werden können, muss die Justiz ausreichend ausgestattet werden. Wir müssen als Gesetzgeber jetzt reagieren und die Gebühren jetzt angleichen und Anreize schaffen, dass sich Dolmetscherinnen und Dolmetscher auch bei Gericht eintragen lassen. Wir bringen dazu heute einen Antrag ein.
Wer Qualität will, muss dafür Sorge tragen, dass qualifizierte Arbeit auch angemessen entlohnt wird. Nur so ist sichergestellt, dass sich auch in Zukunft ausreichend qualifizierte Dolmetscherinnen und Dolmetscher finden, um ihre Fähigkeiten in den Dienst der Rechtspflege der Republik zu stellen.
Die NEOS sind eine mit der deutschen FDP vergleichbare liberale Partei, die bei den letzten Wahlen 5,3 Prozent der Stimmen erringen konnte.
ÖVGD fordert Aktualisierung des Gebührenanspruchsgesetzes
Die Forderungen der NEOS werden vom Österreichischen Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher (ÖVGD) unterstützt.
Dessen Präsidentin Dr. Andrea Bernardini sagt: „Die gerichtlichen Dolmetscherinnen und Dolmetscher leisten einen essenziellen und verantwortungsvollen Beitrag in unserem Rechtsstaat. Ihr Übersetzungsleistungen ermöglichen der Justiz überhaupt erst, Verfahren rasch durchzuführen und Entscheidungen treffen zu können.“
Gebührensätze seit 2007 nicht mehr erhöht und 2014 sogar gesenkt
Bernardini erläutert die Situation in Österreich: „Die Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes, das Grundlage für die Entlohnung von Dolmetscherinnen und Dolmetscher in vielen behördlichen Verfahren ist, wurden seit dem Jahr 2007 nicht mehr erhöht. Im Jahr 2014 wurden diese sogar noch herabgesetzt. Pro Stunde verdienen sie derzeit 24 Euro brutto – unsere deutschen Kolleginnen und Kollegen bekommen das Vierfache.“
Die Präsidentin des Gerichtsdolmetscherverbandes weiter: „Auch aufgrund dieser Umstände sieht sich die Branche mit einem erheblichen Überalterungsproblem sowie einem akuten Nachwuchsproblem konfrontiert. Es bedarf nicht nur einer Inflationsabgeltung, sondern auch einer grundsätzlichen Vereinfachung des Gebührenrechts für Dolmetscherinnen und Dolmetscher.“
Protokoll der Parlamentssitzung
Den Verlauf der Nationalratssitzung hält das Parlamentsprotokoll wie folgt fest:
Als Hauptrednerin in dieser Sache erklärte Dr. Irmgard Griss (NEOS):
[…] Positiv ist auch, dass nun auch Sachverständige und Dolmetscher den Elektronischen Rechtsverkehr nützen müssen. Das erleichtert die Arbeit. Das ist eine gute Sache. Da ist aber ein Wermutstropfen dabei, und der Wermutstropfen ist, dass die Dolmetscher bisher für die Eingabe, die sie da gemacht haben, 22,70 Euro bekommen haben, und jetzt, für diese elektronische Eingabe, ist die Gebühr praktisch halbiert.
Da bin ich schon beim wesentlichen Thema, mit dem ich mich befassen will […], das ist die Entlohnung der Dolmetscher, und diese ist katastrophal niedrig. In den letzten zehn Jahren wurde sie nicht an die Inflation angepasst, sie war von vornherein schon sehr niedrig, und das hat auch negative Folgen. Diese negativen Folgen sind, dass sich die Zahl der eingetragenen Dolmetscher in den letzten zehn Jahren von 1.400 auf etwas über 700 halbiert hat.
Wenn man sich die Gebührensätze anschaut, dann glaubt man das gar nicht, denn für die Stunde kommen dann etwa 25 Euro heraus – ein extrem niedriger Betrag. Dafür werden Sie keinen Handwerker finden, der schaut um dieses Geld nicht einmal halb hin.
Das Weitere ist, dass dieses Gebührenanspruchsgesetz ja noch auf Voraussetzungen beruht, wie sie in den Siebzigerjahren bestanden haben. Da ist noch die Rede von Durchschlägen, die honoriert werden. Ich glaube, die jungen Leute wissen heute gar nicht mehr, was ein Durchschlag ist. Auch die Dolmetscher arbeiten längst mit Computern.
Es ist dringend notwendig, dass das angepasst wird, dass die Honorierung angepasst wird und dass das Dolmetschergesetz überhaupt überarbeitet wird.
Ich bringe dazu einen Entschließungsantrag ein, um Ihre Position, Herr Bundesminister, gegenüber dem Finanzminister zu stärken, denn ich weiß ja, dass das auch Ihnen ein Anliegen ist:
Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Irmgard Griss, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Evaluierung der Angemessenheit der Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes“
Der Nationalrat wolle beschließen:
„Der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz wird ersucht, die Höhe der Gebührensätze für Sachverständige und Dolmetscher_innen im Gebührenanspruchsgesetz (GebAG) idgF hinsichtlich deren Angemessenheit zu evaluieren. Bei der Evaluierung soll insbesondere auf die ausreichende Versorgung des Justizsystems mit qualifizierten Sachverständigen und Dolmetscher_innen Bedacht genommen werden. Über die Ergebnisse dieser Evaluierung möge der Herr Bundesminister ehestmöglich berichten sowie etwaige“ – also nicht nur etwaige, ich hoffe, es kommt sicher dazu – „daraus resultierende Gesetzesvorschläge dem Nationalrat zuleiten.“
[Beifall bei den NEOS sowie der Abgeordneten Haubner und Kühberger.]
Nurten Yilmaz (SPÖ): „Da kriegen sogar Dogwalker mehr pro Stunde“
Die Abgeordnete Nurten Yilmaz von der SPÖ gab zu bedenken:
Vielleicht noch eine zusätzliche Information: Diese Personen verdienen, wenn sie schriftlich eine ganze Seite übersetzen, 15 Euro. Also da kriegen in Österreich sogar Dogwalker mehr pro Stunde, wenn sie mit drei Hunden 1 Stunde spazieren gehen. [Heiterkeit bei Abgeordneten von SPÖ und NEOS.]
Dass die Honorare seit 2007 nicht valorisiert worden sind, ist, glaube ich, auch nicht einfach hinzunehmen. Wir können es uns nicht leisten, wir wissen, wir brauchen Sachverständige, Dolmetscherinnen und Dolmetscher in der Justiz, für die Rechtsprechung, für unseren Rechtsstaat, und ich frage mich, warum wir das so lange haben schleifen lassen.
Das ist keine kleine Gruppe, aber eine aufgrund der Bezahlung immer kleiner werdende. Wie Kollegin Griss gesagt hat, hat sich die Zahl halbiert, aktuell sind es, glaube ich, 781. Eingetragene allgemein beeidete und gerichtlich zertifizierte Sachverständige gibt es 9.411 in 700 Fachgebieten – 700 Fachgebiete! 9.000 sind auch nicht so viel, und sie werden immer weniger. Das sollten wir vermeiden.
Petra Wimmer (SPÖ): „Qualitätsverlust, Überalterung, kaum Nachwuchs“
Petra Wimmer (SPÖ) stimmte ihren Vorrednerinnen zu:
Wie bereits mehrfach angesprochen bleibt eine große Baustelle, das ist die Entlohnung. Der Hauptverband der Gerichtssachverständigen und der Österreichische Verband der allgemein beeideten und gerichtlich zertifizierten Dolmetscher kritisieren in ihren Stellungnahmen den Entwurf des Bundesgesetzes.
Leider wird mit dieser Novelle nicht gleichzeitig die Bewältigung weiterer dringender, seit Jahren anstehender Anliegen in Angriff genommen. Deren Entlohnung ist und bleibt nach dem Willen der Regierung weiterhin viel zu gering. Wir verfolgen diese Entwicklung mit Sorge. Die Aufgabe der Sachverständigen und Dolmetscher wird immer komplexer und gleichzeitig finanziell immer unattraktiver.
Die Gebührensätze wurden seit dem Jahr 2007, also seit 12 Jahren, nicht mehr erhöht. Im selben Zeitraum wurden jedoch die dem Staat zufließenden Gerichtsgebühren viermal erhöht. Unter diesen Voraussetzungen ist kaum mehr Nachwuchs zu finden. Eine Überalterung ist bereits eingetreten und wir befürchten künftig einen massiven Qualitätsverlust bei den Gerichtsverfahren.
Justizminister will helfen, braucht aber Zustimmung des Finanzministers
Der Bundesminister für Verfassung, Reformen, Deregulierung und Justiz, Dr. Josef Moser (parteilos, früher FPÖ), zeigt sich verständnisvoll:
In diesem Zusammenhang hat Frau Abgeordnete Duzdar beispielsweise darauf hingewiesen – was richtig ist –, dass es eine langjährige Forderung der Gerichtssachverständigen und auch der Dolmetscher ist, dass ihre Gebühren angepasst werden. Das hat auch Frau Abgeordnete Wimmer ausgesprochen, die darauf hingewiesen hat, dass eine Anpassung letztmals im Jahr 2007 der Fall gewesen ist. Das hat natürlich dazu geführt, dass mittlerweile bis zum Jahr 2018 oder 2019 allein durch die Inflation die Entschädigung um 24 Prozent geringer geworden ist.
Das heißt, wir haben in diesem Bereich natürlich ein Nachwuchsproblem. Das ist klar, und diesbezüglich bin ich auch schon an den Finanzminister herangetreten, weil wir in diesem Bereich, was die Vergebührung betrifft, was die Gebühren beziehungsweise die Entschädigung für Gerichtssachverständige und Dolmetscher betrifft, etwas tun müssen.
Parlament lehnt Entschließungsantrag mehrheitlich ab
Präsidentin Doris Bures:
Zu Wort ist dazu nun niemand mehr gemeldet. Die Debatte ist geschlossen.
Wir gelangen nunmehr zur Abstimmung über den Entschließungsantrag der Abgeordneten Dr. Griss, Kolleginnen und Kollegen betreffend „Evaluierung der Angemessenheit der Gebührensätze des Gebührenanspruchsgesetzes“.
Ich bitte jene Damen und Herren, die sich für den Entschließungsantrag aussprechen, um ein Zeichen der Zustimmung. – Das ist die Minderheit, abgelehnt.
Für den Entschließungsantrag zur Evaluierung der Gebührensätze haben die Oppositionsparteien gestimmt. Die Regierungskoalition hat den Antrag mit ihrer Stimmenmehrheit jedoch abgelehnt.
- Dafür waren: SPÖ, NEOS und Jetzt
- Dagegen: ÖVP und FPÖ
Damit sind die Bemühungen zur Verbesserung der finanziellen Situation der österreichischen Gerichtsdolmetscher vorerst gescheitert.
Andererseits ist es den Beteiligten gelungen, die Öffentlichkeit und den Gesetzgeber auf die Missstände aufmerksam zu machen, die im Interesse der Rechtspflege baldmöglichst behoben werden müssen – ob es dem Finanzminister gefällt oder nicht.
Mehr zum Thema auf UEPO.de
[Text: Richard Schneider.]