Gelbe Seiten Hamburg 1943: Große RfD-Anzeige und kein einziges Übersetzungsbüro

Dolmetscher- und Übersetzer-Zentrale der RfD, Gelbe Seiten Hamburg, 1943
Übersetzungsbüros als Vermittler von Aufträgen wurden in der Zeit des Nationalsozialismus bekämpft. An ihre Stelle trat die Reichsfachschaft, die Aufträge direkt an ihre Mitglieder weitergab.

Die heutigen Gelben Seiten werden von den großformatigen Werbeschaltungen der überregionalen Übersetzungsbüros dominiert. Zur Zeit der 1933 gegründeten Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) war dies völlig anders.

„Vermittlungsbüros, die oft nicht selbst übersetzen, sondern die geistige Arbeit des Dolmetschers ausbeuten“ und sich „hochtönender Reklame breit machen“, waren dem 13.000 Mitglieder zählenden Berufsverband der Übersetzer und Dolmetscher, der in gewisser Weise wie eine Kammer agierte, ein Dorn im Auge. (Zitat aus dem Rundschreiben Nr. 2/1936 der RfD im Mitteilungsblatt des Bundes National-Sozialistischer Deutscher Juristen.)

Ein nie verabschiedeter Gesetzentwurf des Reichsministeriums des Innern vom 17.06.1939 sah sogar ein generelles Verbot der gewerblichen Vermittlung von Dolmetsch- und Übersetzungsaufträgen vor.

Es ist daher nicht überraschend, dass sich in den Gelben Seiten für Hamburg im Jahr 1943 unter dem Stichwort Übersetzungen kein einziges Übersetzungsbüro findet. Unterhalb der 32 offenbar nicht organisierten Einzelübersetzer, die jeweils eine kleine Textanzeige schalten, springt aber eine halbseitige Anzeige der Dolmetscher- und Übersetzer-Zentrale der RfD ins Auge.

RfD-Anzeige Gelbe Seiten Hamburg 1943

RfD-Anzeige Gelbe Seiten Hamburg 1943

Die RfD stellt ihre Vermittlungsstelle darin wie folgt vor:

Dolmetscher- und Übersetzer-Zentrale
Arbeitsgemeinschaft geprüfter Ordentlicher Mitglieder der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen in der Deutschen Rechtsfront Gau Hamburg
Sprachmittler für jede Art fremdsprachlicher Aufträge – Beratungsstelle für wirtschaftliche Übersetzungen – Annahmestelle der Zentralstelle für Urkundenübersetzungen, Berlin

Es folgen die noble Geschäftsadresse der Hamburger RfD (Jungfernstieg 25, neben dem 1912 eröffneten und heute noch existierenden Kaufhaus Alsterhaus) sowie eine zentrale Telefonnummer. Darunter werden 30 RfD-Mitglieder für 20 verschiedene Sprachen aufgelistet, jeweils mit direkter Rufnummer und Postanschrift.

Gelbe Seiten Hamburg 1943
Schon direkt unter dem Stichwort „Übersetzer und Dolmetscher“ wird auf die Anzeige der RfD verwiesen. Offenbar traut sich keiner der nicht organisierten Übersetzer, als Vermittler aufzutreten – außer vielleicht „Gerdes, I.“.

Geplant war eine umfassende und einheitliche Regelung der Übersetzungsbranche

Zwischen 1933 und 1945 gab es mehrere Versuche, die Ausbildung und Berufsausübung der Übersetzer und Dolmetscher umfassend und für das gesamte Deutsche Reich einheitlich zu regeln. Treibende Kraft war dabei die RfD.

Zu ihrer Entstehungsgeschichte schreibt Miriam Winter in ihrem 2012 erschienenen Buch Das Dolmetscherwesen im Dritten Reich – Gleichschaltung und Indoktrinierung:

Die Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) ging 1933 im Zuge der Gleichschaltung aus den bereits in der Weimarer Republik bestehenden Verbänden der Gerichtsdolmetscher hervor und wurde in den der NSDAP angeschlossenen Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund der Deutschen Rechtsfront eingegliedert, in dem alle Berufsgruppen organisiert waren, die sich mit der Rechtspflege beschäftigten. Anders als der Name vermuten lassen würde, war sie nicht allein für Dolmetscher, sondern auch für Übersetzer zuständig.

Die RfD gewann unter Reichsfachschaftsleiter Otto Monien bis 1945 innerhalb der Branche zunehmend an Einfluss. Sie betrieb Reichsfachschulen, gab Lehrmaterialien und Fachwörterbücher heraus, stellte Mitgliedsausweise aus und ihre Vertreter saßen als Beisitzer im Prüfungsausschuss des damaligen Dolmetscher-Instituts der Universität Heidelberg.

Die RfD hatte gut 13.000 Mitglieder, also deutlich mehr als alle heutigen Sprachmittlerverbände in Deutschland und Österreich zusammengenommen. Und das, obwohl sie keine Monopolstellung bei der Vermittlung von Übersetzern und Dolmetschern besaß und kein Zwang zur Mitgliedschaft bestand, denn sie war keine Kammer.

Ihr Erfolg dürfte in erster Linie auf die Möglichkeiten zur Fortbildung und Vernetzung zurückzuführen sein. Großer Beliebtheit erfreuten sich die heute noch antiquarisch erhältlichen, der Fortbildung dienenden und weitgehend unpolitischen Lehrhefte für Übersetzer, die für verschiedene Sprachen monatlich erschienen. (Als Beispiel hat UEPO.de ein Heft eingescannt.)

Durch die marktbeherrschende Größe der RfD und fehlende berufsverbandliche Konkurrenz dürfte für Sprachmittler aber ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Druck entstanden sein, ihr beizutreten.

Schutz der Berufsbezeichnung, Verkammerung, Gebührenordnung – Selbst die Nazis konnten das nicht durchsetzen

Der auch heute noch vereinzelt innerhalb und außerhalb der Berufsverbände geforderte “Schutz der Berufsbezeichnung“ samt Verkammerung und Gebührenordnung konnte aber auch von der RfD letztendlich nicht durchgesetzt werden.

Verantwortlich dafür waren Kompetenzstreitigkeiten zwischen dem Auswärtigen Amt, dem Reichsministerium für Volksaufklärung und Propaganda und dem Oberkommando der Wehrmacht (OKW) sowie in geringerem Umfang auch dem Reichsministerium des Innern und dem Reichsministerium für Wissenschaft, Erziehung und Volksbildung.

Jede dieser Stellen hatte ihre eigenen Vorstellungen darüber, wie und für welchen Verwendungszweck Übersetzer und Dolmetscher am besten ausgebildet werden sollten und wie die Berufsausübung zu regeln sei. Hinzu kommt, dass ab 1939 der Krieg in den Mittelpunkt des staatlichen und gesellschaftlichen Handelns rückte und alles andere zunehmend unwichtiger wurde.

Monien baute Sprachendienst von Verteidigungsministerium und Bundeswehr auf

Otto Monien (1889-1984) war Initiator der zunächst als Reichsverband der beeidigten und amtlichen Dolmetscher e.V. (RbD) gegründeten Organisation. Als Reichsfachschaftsleiter war er von 1933 bis 1945 nach innen und außen die dominierende Kraft der RfD.

Nach dem Krieg wurde Monien bei der Entnazifizierung als entlastet eingestuft. Er baute das spätere Sprachenreferat des westdeutschen Verteidigungsministeriums sowie den Sprachendienst der Bundeswehr auf. 1958 gründete er die Sprachenschule der Bundeswehr und wurde deren Leiter. Bei Langenscheidt brachte er das Lehrbuch Texte für Soldaten heraus.

1959 wurde Monien mit dem Verdienstkreuz Erster Klasse des Verdienstordens der Bundesrepublik Deutschland ausgezeichnet. Sein Beschäftigungsverhältnis wurde über die Altersgrenze von 65 Jahren hinaus mehrfach verlängert. Mit 72 wirkte er zuletzt als Dozent für Russisch an der Sprachenschule der Bundeswehr in Euskirchen.

Moniens eigene Ausbildung war sowohl sprachlicher als auch militärischer Natur. Von 1906 bis 1919 war er Soldat und zuletzt Vizefeldwebel. Er absolvierte ein Sprachenstudium am Seminar für Orientalische Sprachen an der Friedrich-Wilhelms-Universität in Berlin (1949 in Humboldt-Universität umbenannt) und legte die Dolmetscherprüfung für Russisch ab. Anschließend trat er im ostpreußischen Königsberg als Beamter in den Justizdienst ein, wo er auch als Gerichtsdolmetscher wirkte.

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Weiterführende Literatur

Richard Schneider
Scans: Universität Hamburg