Die Gesellschaft für deutsche Sprache betrachtet das Virus in einer bisher drei Teile umfassenden Corona-Serie auf diesem Portal aus sprachlicher Sicht. Ähnliches geschieht auch auf italienischer Seite.
Die Übersetzerin Irina Brüning möchte der deutschsprachigen Leserschaft in dem nachfolgenden Gastbeitrag vor allem die Arbeit von zwei Expertinnen näherbringen: Daniela Pietrini, Professorin für Französische und Italienische Sprachwissenschaft an der Universität Halle-Wittenberg, und Licia Corbolante, Terminologin und Bloggerin.
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Italien ist das „Epizentrum“ der Corona-Krise in Europa
Italien mit etwa 60 Millionen Einwohnern ist vom Virus SARS-CoV-2 bzw. von der von ihm verursachten Erkrankung COVID-19 besonders schwer betroffen und Deutschland in der Entwicklung um einige Wochen voraus: Bereits Anfang März stiegen die Fallzahlen steil an und besonders viele Menschen starben in Italien an den Folgen der Krankheit, wobei der traurige Spitzenwert bei 971 Todesfällen am 28. März lag (Quelle: WHO).
Inzwischen befindet sich das südeuropäische Land in „Fase 2“ („Phase 2“) der Entwicklung und damit in einer schrittweisen Rückkehr zur Normalität.
Coronavirus ist im Italienischen ein Anglizismus
Wie Pietrini berichtet (hier und im Folgenden wird stets aus diesem Artikel vom 26. März zitiert), tauchte der Begriff coronavirus bezogen auf den Erreger der aktuellen Pandemie am 11. Januar 2020 erstmals in der italienischen Presse auf und zwar in einem Artikel der Zeitung La Repubblica. Die Sprachwissenschaftlerin weist darauf hin, dass es sich hier in morphologischer Hinsicht um einen Anglizismus handelt: Für das Italienische typisch sind eigentlich Bildungen wie virus Sars und virus HIV, bei denen das Zweitglied das Erstglied näher beschreibt.
Droplet
Mit Anglizismen im Italienischen befasst sich Corbolante auf ihrem Blog generell sehr intensiv und stellt auch im Zusammenhang mit dem neuen Virus und der entsprechenden Erkrankung wieder einige Entgleisungen in den italienischen Medien fest.
Ein Post vom 3. März widmet sich dem Thema Tröpfcheninfektion: Ein Tröpfchen heißt auf Italienisch gocciolina und genau dieses Wort verwendet das italienische Gesundheitsministerium. Zeitungen gebrauchen jedoch den englischen Begriff droplet mit der gleichen Bedeutung, der für die Bevölkerung nicht unmittelbar verständlich ist, und sie verwenden ihn auch noch falsch, sprechen von einer norma Droplet oder einer regola del droplet. Vorschriften bzgl. des einzuhaltenden Abstands zwecks Vermeidung einer Ansteckung sollen also „Tröpfchennorm“ oder „Tröpfchenregel“ heißen?
Smart working
Einen Pseudoanglizismus deckt Corbolante in einem Post vom 9. März auf: Smart working. Der Begriff wird im Sinne von „Arbeiten von zu Hause“ gebraucht, ist jedoch falsch, da man dies im Englischen als remote working oder working from home bezeichnet. Smart working existiert, hat aber eine andere Bedeutung. Die italienischen Medien lieben in Zeiten von Corona englische Begriffe mit Smart wie Smart schooling und Smart learning, während das Bildungsministerium von didattica a distanza spricht. Smart laureing für „Studienabschluss (italienisch laurea) online“ ist hoffentlich nur ein Scherz …
Gefährlich kann es werden, wenn Nachrichten oder Schlagzeilen aus dem Englischen ins Italienische übersetzt und dabei falsch verstanden werden. Recovered klingt ähnlich wie ricoverato, es handelt sich hierbei jedoch um einen falschen Freund. Menschen, die sich von einer Krankheit erholt haben, mit denjenigen zu verwechseln, die gegenwärtig im Krankenhaus behandelt werden (denn dies ist die Bedeutung von ricoverato), verzerrt das Bild gewaltig.
Distanziamento sociale
Im Zusammenhang mit Anglizismen interessant: Im Deutschen ist derzeit der Begriff Social Distancing gebräuchlich, im Italienischen bevorzugt man die Lehnübersetzung distanziamento sociale.[1] Oder man sagt gleich quarantena (siehe gleicher Post) – hier lässt sich das gleiche Phänomen wie im Deutschen beobachten, als „in Quarantäne“ bezeichnen sich nicht nur Personen, die Kontakt mit Infizierten hatten und sich isolieren müssen, sondern alle diejenigen, die auf Besuche bei Verwandten verzichten, von zu Hause arbeiten etc.
Corona-caos in der corona-crisi
Die Gesellschaft für deutsche Sprache berichtet von Wortneubildungen, die den Wortteil -virus weglassen, und nennt Beispiele wie Corona-Ausbruch oder Corona-Ferien. Pietrini nennt ähnliche Neologismen wie corona-caos und corona-crisi, hat jedoch in italienischen Zeitungen auch Bildungen wie anti-coronavirus (misure anti-coronavirus: Maßnahmen gegen das Coronavirus) und dopo coronavirus (die Zeit nach dem Coronavirus, analog zu z. B. dopoguerra, „Nachkriegszeit“) bemerkt.
Coglionaviurs, cretinavirus
Auch zu Wortspielen lädt der Begriff coronavirus im Italienischen ein. Pietrini führt als Beispiel das vulgäre coglionavirus (coglione: unfein für „Hoden“, hier „Arschloch“) an, das Virus, das Menschen dazu bringt, sich rücksichtslos und aggressiv zu verhalten. Klanglich weiter vom Original entfernen sich das cretinavirus (cretino: „Blödmann“), das Menschen blöd macht, und das pauravirus (paura: „Angst“), das Angst verbreitet.
Die Hamster-Metapher wird im Italienischen nicht bemüht
Nicht zu existieren scheint ein Äquivalent zum im Deutschen derzeit häufig gebrauchten Neologismus „Corontäne“, obwohl man ihn auch im Italienischen ganz einfach bilden könnte. Und wie steht es mit dem Tierchen, das hierzulande momentan in aller Munde ist, dem Hamster?
Im Italienischen hört oder liest man nichts von einem criceto, wenngleich auch in Italien in Panik größere Mengen an Lebensmitteln eingekauft wurden. Das Wort, das in den Medien in diesem Zusammenhang anscheinend am häufigsten gebraucht wird, ist assalto, „Ansturm, Angriff, Überfall“ auf die Supermärkte, siehe z. B. hier und hier. In diesem Artikel werden außerdem die Verben accaparrare, „aufkaufen, hamstern“ (hängt mit dem Substantiv caparra, „Anzahlung“, zusammen), und arraffare, „raffen, an sich reißen“, verwendet.
Hashtags #iorestoacasa und #restiamoacasa
Werfen wir zum Schluss noch einen Blick auf Twitter. Wie lauten die italienischen Entsprechungen zu den im deutschsprachigen Raum momentan populären Hashtags #ZuhauseBleiben und #WirBleibenZuhause? Sie sind fast identisch. #iorestoacasa („Ich bleibe zuhause“) und #restiamoacasa („Wir bleiben zuhause“, Indikativ, oder „Bleiben wir zuhause“, Konjunktiv) liest man derzeit häufig. Daneben sind auch #distantimauniti („fern und doch vereint“) sowie #andratuttobene („Alles wird gut gehen“) beliebt.
Und das wird es. Vorausgesetzt, wir halten uns an die Vorschriften zum distanziamento und hüten uns vor dem cretinavirus und Schlimmerem.
Über die Autorin
Irina Brüning studierte Romanistik und Indogermanistik in Jena und Lyon und lebt heute als freie Übersetzerin aus dem Französischen und Italienischen in Hamburg. Gastartikel von ihr sind bisher u. a. auf TraLaLit erschienen. Ihre Website finden Sie unter www.bruening-uebersetzungen.de.
[1] Zur aktuellen Terminologie rund um Nähe und Distanz im Italienischen sowie im Französischen und Deutschen äußert sich sich übrigens auch Daniela Pietrini in einem weiteren Artikel vom 9. April.
Irina Brüning