Die Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen fordert, dass die Corona-Soforthilfen für Solo-Selbstständige grundsätzlich auch zur Bestreitung der Lebenshaltungskosten eingesetzt werden dürfen.
Bislang haben nur die Bundesländer Baden-Württemberg, Nordrhein-Westfalen und Berlin auf eigene Kosten eine solche Möglichkeit geschaffen. Die Bundesregierung lehnt eine entsprechende Verwendung der Gelder strikt ab und rät Betroffenen, Grundsicherung zu beantragen (Arbeitslosengeld II, „Hartz IV“).
Darüber hinaus verlangen die Grünen, dass die am 31.05.2020 auslaufende Antragsfrist für das Soforthilfe-Programm des Bundes verlängert wird, da viele Selbstständige die negativen finanziellen Folgen der Weltwirtschaftskrise erst mit einigen Monaten Verzögerung zu spüren bekommen.
Zur Unterstreichung ihrer Forderungen hat die Fraktion am 26.05.2020 einen Entschließungsantrag im Deutschen Bundestag eingebracht. Durch Entschließungsanträge kann die Bundesregierung zu einem bestimmten Verhalten aufgefordert werden. Rechtsverbindlich sind sie allerdings nicht.
Nachfolgend die Vorabfassung des Antrags im Wortlaut. Zur besseren Gliederung und Lesbarkeit haben wir zusätzliche Absätze eingefügt.
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Deutscher Bundestag
Drucksache 19/19490
19. Wahlperiode
26.05.2020
Antrag
der Abgeordneten Claudia Müller, Anja Hajduk, Katharina Dröge, Erhard Grundl, Dr. Wolfgang Strengmann-Kuhn, Beate Müller-Gemmeke, Markus Kurth, Dieter Janecek, Markus Tressel, Margit Stumpp, Tabea Rößner, Dr. Danyal Bayaz, Sven-Christian Kindler, Lisa Paus, Corinna Rüffer, Stefan Schmidt, Katja Dörner, Kai Gehring, Britta Haßelmann, Dr. Kirsten Kappert-Gonther, Ulle Schauws, Charlotte Schneidewind-Hartnagel, Daniela Wagner, Beate Walter-Rosenheimer und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN
Selbstständige unterstützen – Aktiven Mittelstand wertschätzen
Der Bundestag wolle beschließen:
I. Der Deutsche Bundestag stellt fest:
Am 25. März 2020 beschloss der Bundestag mit großer Mehrheit Soforthilfen für Soloselbstständige und Kleinstunternehmen mit einem Gesamtvolumen von 50 Milliarden Euro. Mit Stand 18.5.2020 sind 12,34 Milliarden Euro bewilligt worden. Eine aktuelle Studie der Uni Trier zeigt, dass jede vierte Solo-Selbständige ans Aufgeben denkt. Gerade Erwerbstätige aus Kultur, Touristik, Event- und Veranstaltungsbranche trifft die Krise hart.
Zum Zeitpunkt der Abstimmung im Bundestag schien es selbstverständlich, dass für Selbstständige eine Anrechnung eines Betrages für die Lebenshaltungskosten als Unternehmerlohn möglich sei, denn bei diesem Personenkreis ist die Trennung zwischen Betriebs- und Lebenshaltungskosten alltagsfremd. Viele Freiberufler, (Solo-)Selbstständige, Kunst- und Kulturschaffende sowie Honorarlehrkräfte haben keinerlei Büro oder hohe Betriebskosten. Ihre Betriebsmittel sind immateriell, nämlich ihre Ideen und ihre Fähigkeiten.
Trotz vieler Appelle, Petitionen, offener Briefe und parlamentarischer Anträge besteht die schwarz-rote Bundesregierung darauf, dass Selbstständige für die Lebenshaltungskosten Arbeitslosengeld II beantragen sollen. Grundsicherungsleistungen passen aber aus verschiedenen Gründen nicht zu der Lebenssituation von Selbstständigen, gerade in der Krise. Sie brauchen gezielte Unterstützung ohne dass ihre unternehmerische Tätigkeit eingeschränkt wird, denn das ist dringend notwendig für den Verbleib am Markt und die Wiederaufnahme der Tätigkeit.
Der erleichterte Zugang zu Grundsicherungsleistungen geht auch an Soloselbstständigen vorbei, die fürs Alter vorgesorgt haben. Denn es muss eine Vermögensprüfung durchgeführt werden, sobald das Vermögen 60.000 Euro übersteigt. Dies ist insbesondere für ältere Selbstständige viel zu niedrig als Rücklage für die Altersvorsorge. Außerdem belastet es zusätzlich Familien und Partnerschaften, wenn Solo-Selbstständige zur Deckung ihres Lebensunterhalts auf die Grundsicherung verwiesen werden. So kann es dazu kommen, dass ein Leistungsanspruch auf Grundsicherungsleistungen gar nicht für Selbstständige mit starken Einnahmeausfällen besteht, da die Partnerin bzw. Partner den Lebensunterhalt für die Familie gerade noch decken kann.
Mit einer unbürokratischen Unterstützung für die Lebenshaltungskosten der Soloselbständigen aus dem Soforthilfeprogramm würden auch die Jobcenter entlastet. Da die Kommunen bei der Grundsicherung für Arbeit den größeren Teil der Kosten der Unterkunft tragen, würden auch sie in dieser finanziell schwierigen Situation entlastet. Auch die Umsetzung wäre unproblematisch. Die Anrechenbarkeit einer Unterstützung in Anlehnung an den Pfändungsbetrag als Unternehmereinkommen könnte in die Soforthilfe-Verwaltungsvereinbarung des Bundes mit den Ländern eingefügt werden.
Die Finanzierung soll aus den Mitteln des Hilfsfonds erfolgen. Die meisten Länder haben zu Beginn ihrer Programme die Anrechnung vorgesehen und mussten diese Vorgaben nachträglich korrigieren. Ein „zeit- und kostenintensiver Abgleich zwischen verschiedenen Bewilligungsstellen“ (siehe Antwort PStS Marco Wanderwitz auf die mündliche Frage von Claudia Müller am 6.5.2020) überzeugt nicht, denn die Anträge für Soforthilfen beruhen auf Selbstaussagen, welche im Rahmen der Coronapandemie meistens nachgelagert kontrolliert werden.
Weil die Situation für viele Soloselbständige nachweislich bedrohlich ist, haben einige Länder die Auszahlung der Soforthilfen offener, also auch für die Lebenshaltungskosten, gehandhabt. Baden-Württemberg hat als erstes für die Dauer der Hilfen eine Anrechnung von monatlich 1.180 Euro (angelehnt an die Höhe des Pfändungsfreibetrages) ermöglicht.
Andere Länder, wie Nordrhein-Westfalen, zogen nach, so dass seit dem 13.5.2020 eine Anrechnung eines Betrages von 2.000 Euro für die Monate März und April möglich ist. Die Bundesregierung hingegen beharrt auf ihrem Standpunkt und verantwortet durch ihre Weigerung eine höchst ungerechte Situation für Selbstständige.
Aktuell gilt eine Antragsfrist bis Ende Mai, die schnell verlängert werden muss. Zudem braucht es auch eine Verlängerung der Hilfen, da die meisten Soloselbständigen und Freiberufler eine besondere Auftragssituation haben. Durch die häufig verzögerte Bezahlung von Rechnungen und das Ausbleiben von Folgeaufträgen werden für viele Unternehmen erst in den kommenden Monaten ernsthafte finanzielle Probleme auftreten, weil dann die Zahlungen für im Frühjahr weggebrochene Aufträge fehlen werden.
Nach Presseberichten vom 25.5.2020 plant die Bundesregierung eine Verlängerung und Ausweitung ihres Soforthilfeprogrammes für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige. Es ist notwendig, für viele Selbstständige und Unternehmen jetzt schnell Planungssicherheit über ihre weitere Zukunft zu schaffen. Unabhängig davon, ob existenzbedrohende Auftrags- oder Umsatzeinbrüche erst noch bevorstehen oder länger anhalten, die Hilfen müssen weiterhin beantragt und die Bedürftigkeit unbürokratisch und flexibel nachgewiesen werden können.
Die Finanzierung sowohl der Verlängerung und Ausweitung der Hilfen als auch der Unterstützung für die Lebenshaltungskosten soll aus den im Rahmen des Nachtragshaushalts beschlossenen Soforthilfen für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige erfolgen.
II. Der Deutsche Bundestag fordert daher die Bundesregierung auf,
- sicherzustellen, dass die vorgesehen Gelder für die Soforthilfen auch die vorgesehenen Adressaten erreichen, indem mindestens ein monatlicher Pauschalbetrag in Höhe der Pfändungsfreigrenze – von 1.180 Euro – zur Deckung des Lebensunterhalts genutzt werden kann, durch die Aufnahme dieses Betrages in die Liste der anrechenbaren Kosten in der Verwaltungsvereinbarung des Bundes mit den Ländern zu den Soforthilfen;
- bis zum Erlangen einer solchen Regelung mindestens die Vermögensprüfung bei der ALG-II-Beantragung ab März 2020 bis Ende diesen Jahres vollständig auszusetzen, um eine angemessene Altersvorsorge nicht abzuschmelzen und Jobcenter bei der Bearbeitung zu entlasten;
- die Soforthilfen weiterzuentwickeln, so dass sie insbesondere kleineren Unternehmen und Selbstständigen mit existenzbedrohenden Corona-bedingten Umsatz- oder Auftragseinbrüchen Planungssicherheit für das gesamte Jahr 2020 ermöglichen. Dies sollte unabhängig von der Branchenzugehörigkeit und anhand des wirklichen Bedarfes mit einer angemessenen Obergrenze bewilligt werden.
- sicherzustellen, dass die Soforthilfen aus Mitteln des Bundes auch auf KMU mit mehr als 10 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern angemessen ausgeweitet werden.
- für Selbstständige den Zutritt zur Arbeitslosenversicherung in Zukunft erheblich zu erleichtern und aktiv zu fördern sowie die Leistungen zu verbessern und an die von abhängig Beschäftigten anzugleichen.
Berlin, den 26. Mai 2020
Katrin Göring-Eckardt, Dr. Anton Hofreiter und Fraktion
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rs