Gerichtsdolmetscher trägt Regenbogen-Maske: Solidaritätsbekundung? Indiz für Befangenheit?

Regenbogen-Maske
Die bunte Vielfalt der Gesichtsmasken kann als Bekenntnis zu gesellschaftspolitischen Positionen genutzt werden. Vor der Nase eines Dolmetschers im Gerichtssaal haben sie aber nichts zu suchen. - Collage: UEPO

Ist es Gerichtsdolmetschern erlaubt, durch das Zeigen eindeutiger Symbole Solidarität mit einer der streitenden Parteien zu bekunden?

Diese Grundsatzfrage wurde zumindest auf Twitter diskutiert, nachdem die Gerichtsreporterin Wiebke Ramm dort mitteilte, dass ein Dolmetscher vor dem Oberlandesgericht Dresden mit einem Mund-Nasen-Schutz erschienen war, der die Regenbogen-Flagge zeigte.

Wiebke Ramm Tweet Regenbogen-Maske

Die Symbolik ist in diesem Fall deshalb von Belang, weil es in dem laufenden Verfahren um einen vollendeten und einen versuchten Mord an einem homosexuellen Paar geht. In dem auf Spiegel Online später erschienenen Bericht schildert die Journalistin die Szene wie folgt:

Der Dolmetscher, der für Abdullah al H. H. das Geschehen vor Gericht ins Arabische übersetzt, trägt an diesem Tag eine Regenbogenmaske. Mit Maske im Gesicht begrüßt er den Angeklagten, der – an Händen und Füßen gefesselt – von bewaffneten Justizbeamten in den Hochsicherheitssaal geführt wird. Abdullah al H. H. erwidert den Gruß.

Sollte ihn die Maske seines Dolmetschers irritieren, dann zeigt er es nicht. Der Regenbogen gilt als Zeichen für Vielfalt, Toleranz und Akzeptanz und ist ein Symbol der queeren Community. Der Dolmetscher setzt sich neben den Angeklagten, nimmt die Maske ab, legt sie auf den Tisch und spricht fortan durch eine Plexiglasscheibe zu Abdullah al H. H.

Dolmetscher setzt sich dem Vorwurf der Befangenheit aus

Es ist gut möglich, dass der angeklagte junge Islamist (21), der bereits die vergangenen drei Jahre im Gefängnis verbracht hat, gar nicht mit den Symbolen der Schwulenbewegung vertraut ist und die Aktion nicht als Affront wahrgenommen hat.

Wichtiger ist hier die grundsätzliche Frage, ob es erlaubt, sinnvoll oder klug ist, als Dolmetscher Sympathien für die eine oder andere Seite zu signalisieren. Eine solche Geste des Mitgefühls wirkt auf den ersten Blick menschlich verständlich und sympathisch, erweist sich bei näherem Hinsehen aber als töricht:

  • Die Aktion beschädigt das Idealbild von Gerichtsdolmetschern als unvoreingenommenen und unparteiischen Mittlern.
  • Der Dolmetscher riskiert, als befangen abgelehnt und entlassen zu werden.
  • Im schlimmsten Fall könnte der Prozess platzen und zur Folge haben, dass das Verfahren mit einem neutralen Sprachmittler neu aufgerollt werden muss. (Ein Beispiel dafür liefert der Link weiter unten.)

Nicht ohne Grund heißt es im Code of Professional Ethics der European Legal Interpreters and Translators Association EULITA:

Legal interpreters […] shall remain neutral and also maintain the appearance of impartiality […]. Any potential conflict of interest shall be immediately disclosed to the court.

Tathergang und Tatmotiv unstrittig, Täter de facto geständig

Dass die Verteidigung die Aktion des Dolmetschers nutzt, um ihn vom Verfahren auszuschließen, ist in diesem Fall unwahrscheinlich, denn sie würde dadurch nichts gewinnen.

Tathergang und Tatmotiv sind unstrittig. Selbst nach Angaben des Verteidigers hat der Beschuldigte mit seinen Äußerungen gegenüber einem psychiatrischen Gutachter de facto ein Geständnis abgelegt. Die von der Bundesanwaltschaft genannten Mordmerkmale seien erfüllt.

Zu klären sei lediglich, so der Anwalt des Angeklagten, ob Erwachsenen- oder Jugendstrafrecht anzuwenden sei und ob eine anschließende Sicherungsverwahrung infrage komme. Der Syrer war zur Tatzeit 20 Jahre alt.

Der Gutachter hatte an zwei Tagen insgesamt sechs Stunden mit dem Angeklagten gesprochen, wie der Spiegel schreibt:

Dem Psychiater berichtete er, dass er mit der Terrormiliz „Islamischer Staat“ (IS) sympathisiere und es nach wie vor für richtig halte, „Ungläubige“ zu töten. Er habe gesehen, dass die Männer Händchen gehalten und gelacht hätten, da habe er beschlossen, sie zu töten. Homosexuelle seien Feinde Gottes.

Täter kam 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland

Der angeklagte Syrer kam 2015 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling aus Aleppo nach Deutschland und hat hier wegen Planung eines Attentats mit einem Sprengstoffgürtel bereits eine Jugendstrafe von zwei Jahren und neun Monaten abgesessen. Im Gefängnis griff er Vollzugsbeamte an und wurde zu einer weiteren, mehrmonatigen Haftstrafe verurteilt.

Die Behörden stuften ihn seit 2017 als islamistischen Gefährder ein. Deshalb wurde er überwacht. Den jetzt verhandelten Mordanschlag führte er nur fünf Tage nach seiner Haftentlassung aus.

„Hinterrücks, heimtückisch, aus niederen Beweggründen“

Am Abend des 4. Oktober 2020 hatte der Syrer in der Dresdner Innenstadt „hinterrücks, heimtückisch und aus niederen Beweggründen“, so der Generalbundesanwalt, mit zwei größeren Küchenmessern zwei aus dem Rheinland angereiste Städtetouristen attackiert, weil er sie für ein gleichgeschlechtliches Paar hielt.

Thomas L. (damals 55) verblutete, die Klinge des Messers war durch die Wucht des Hiebs abgebrochen und blieb in seinem Körper stecken. Sein mit dem zweiten Messer mehrfach in Rücken und Bein gestochener Lebenspartner Oliver L. (damals 53) überlebte schwer verletzt und leidet noch heute sowohl körperlich als auch seelisch unter den Folgen. Er nimmt als Nebenkläger am Prozess teil und sagte per Videoschalte aus.

Die Männer waren Zufallsopfer, aber Abdullah al H. H. lief an jenem Abend mit der Absicht durch Dresden, Menschen „abzuschlachten“, wie er dem Psychiater verriet. Die Messer hatte er speziell für diesen Zweck ausgesucht und gekauft.

Behörden hatten nähere Umstände zunächst verschwiegen

Die das Motiv erklärenden und deshalb in diesem Fall nicht unwesentlichen Umstände der Tat waren von den ermittelnden Behörden wochenlang verschwiegen und auch auf Nachfrage nicht bestätigt worden. So hatte der Dresdner Oberstaatsanwalt gemauert, man äußere sich nicht „zur sexuellen Orientierung von Tatopfern“. Die Informationen sickerten auf Umwegen aber durch und wurden mit Erscheinen der Traueranzeige für den Verstorbenen zur Gewissheit.

Markus Ulrich, Sprecher des Lesben- und Schwulenverbands Deutschland (LSVD), kritisierte gegenüber der Berliner tageszeitung: „Statt öffentlicher Empathie und Solidarität wurde jedoch der Hass auf Schwule als mögliches Tatmotiv von Polizei, Staatsanwaltschaft und Ministerien verschwiegen. Dieses Schweigen bagatellisiert Gewalt gegen LSBTI, macht sie unsichtbar und wiederholt so ein zentrales Muster von Homophobie und Transfeindlichkeit.“

Verfahren wird fortgesetzt

Der Mordprozess trifft auf erhebliches Medieninteresse, sodass das Gericht nur eine Auswahl von Pressevertretern in den Saal lassen kann. Der Staatsschutzsenat des Oberlandesgerichts Dresden hat für das Verfahren zwölf Verhandlungstage vom 12. April bis zum 28. Mai 2021 angesetzt.

Mehr zum Thema

Richard Schneider