Die sowjetischen Völker waren seine Welt: Sprach- und Literaturmittler Leonhard Kossuth gestorben

Leonhard Kossuth
Leonhard Kossuth - Bild: Cajewitz-Stiftung

Leonhard „Leo“ Kossuth, der jahrzehntelange Cheflektor für Sowjetliteratur im DDR-Verlag Volk und Welt, ist am 1. März 2022 in Berlin im Alter von 98 Jahren verstorben.

Im Jahr 1958 trat er als stellvertretender Cheflektor in den auf Übersetzungen spezialisierten Verlag Kultur und Fortschritt ein. Dieser ging zwei Jahre später im Verlag Volk und Welt auf, wo sich Kossuth dann bis 1989 fast drei Jahrzehnte um die systematische Erschließung der vielsprachigen Sowjetliteratur bemühte.

Dabei legte er Wert darauf, dass nach Möglichkeit aus der Originalsprache und nicht nur aus dem Russischen übersetzt wurde.

Unter seiner Ägide wurden zahlreiche Autoren dem deutschsprachigen Publikum zugänglich gemacht, u. a. Aitmatow (von Kossuths Frau Charlotte übersetzt), Bulgakow, Ehrenburg, Okudshawa, Platonow, Tendrjakow, Trifonow.

Volk und Welt war in der DDR der bedeutendste Verlag für internationale Literatur und nach Aufbau der zweitgrößte belletristische Verlag des Landes.

Kossuth wurde für sein Wirken 1987 mit dem Nationalpreis der DDR und 1989 mit dem Kunstpreis der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft ausgezeichnet.

Neben der Verlagstätigkeit betätigte Kossuth sich auch als Übersetzer, Literaturkritiker und Publizist; so gab er u. a. die Werke Wladimir Majakowskis in zehn Bänden heraus.

Die Tageszeitung Neues Deutschland hat zu seinem Tod folgende Pressemitteilung herausgebracht (Zwischenüberschriften von UEPO):

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DDR-Cheflektor und Übersetzer Leonhard Kossuth verstorben

Am Freitag, den 25. Februar, hatte er noch Besuch aus der kirgisischen Botschaft. Über eine schön gerahmte Dankesurkunde „Für den Beitrag zur Stärkung der deutsch-kirgisischen Zusammenarbeit“ konnte er sich freuen. Zusammen mit seiner Frau Charlotte war es Leonhard Kossuth zu verdanken, wie qualitativ gut übersetzt und wie schnell die Werke des kirgisischen Schriftstellers Tschingis Aitmatow im deutschsprachigen Raum Verbreitung fanden.

Und mehr als das. Seit 1958 war Leonhard Kossuth mit dem Verlag Kultur und Fortschritt der Gesellschaft für Deutsch-Sowjetische Freundschaft verbunden, der ab Ende der 1960er Jahre schrittweise mit dem Verlag Volk und Welt vereinigt wurde. In diesem bedeutendsten Verlag für internationale Literatur der DDR, der mit seiner großen Zahl von hoch spezialisierten Mitarbeitern aus heutiger Sicht fast wie ein wissenschaftliches Institut anmutet, wurde er Cheflektor und leitete zugleich das Lektorat für sowjetische Literatur.

Titel aus 23 Nationalliteraturen der UdSSR – auch von geschassten Autoren

Wobei sein Anliegen weit über das Russische hinausging. Titel aus 23 Nationalliteraturen der UdSSR, darunter Einzelausgaben von 98 Autoren, 25 nationale und 16 multinationale Anthologien hat er an deutsche Leser gebracht. Auch wer in der UdSSR in Ungnade war, fand seine Unterstützung.

Er war Herausgeber der Ausgewählten Werke Wladimir Majakowskis in fünf Bänden, der Gesammelten Werke Sergej Jessenins in drei Bänden, opulent ausgestatteter Lyrikbände wie Romanze vom Arbat von Bulat Okudshawa.

Gemeinsam mit Frau fünf Romane von Rytchëu übersetzt

Viele großartige Schriftsteller hat er für deutsche Leser entdeckt. Zum Beispiel den Tschuktschen Juri Rytchëu. Gemeinsam mit seiner Frau hat er fünf seiner Romane übersetzt. Zuletzt brachte er im Nora Verlag noch einmal Aitmatows Roman Die Richtstatt in der Übersetzung von Charlotte Kossuth auf den Markt.

An seine 2014 verstorbene Frau hat er unablässig gedacht. Seine Trauer war so groß, dass er von ihren Anrufen aus einem Krankenhaus träumte. Und immer, wenn er nach der Adresse fragen wollte, brach die Verbindung ab. Davon erzählte er mit Tränen in den Augen nach einer Veranstaltung in der Cajewitz-Stiftung, wo er fast bis zuletzt mit klugen, literarisch interessierten Leuten zusammen sein konnte.

In Kiew als Sohn eines Österreichers und einer Ukrainerin geboren

Nach Auskunft von Nora-Verleger Philipp Dyck ist Leonhard Kossuth am 1. März 2022 ruhig eingeschlafen. Aber der Schmerz, dass seine geliebten Russen seine geliebten Ukrainer überfallen haben, traf ihn noch mit aller Wucht.

Kossuth wurde am 25. Juli 1923 in Kiew geboren, als Sohn eines Österreichers und einer Ukrainerin. 1931 siedelten sie mit ihm nach Wien über. Die Fernsehbilder, wie russische Panzer nach Butscha rollten, wo das Sommerhaus der Familie stand, sind ihm erspart geblieben.

Brücken zur russischen Literatur drohen zu zerbrechen

Welche Geltung mag russische Literatur künftig in Deutschland haben, wo ohnehin kaum jemand in den Verlagen Russisch spricht und nun viele Brücken am Zerbrechen sind, die unsere Völker verbanden? Dass Leonhard Kossuths Lebenswerk bleibt, ist nur ein schwacher Trost.

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Leonhard Kossuth
Vom kasachischen Botschafter in Deutschland wurde Leonhard Kossuth 2020 für seine Abai-Übersetzungen mit dem Freundschafts-Orden ausgezeichnet. – Bild: Botschaft Kasachstan

Dostyk-Orden für Übersetzung/Nachdichtung von Abai-Gedichten

Im September 2020 erhielt Kossuth die höchste staatliche Auszeichnung der Republik Kasachstan, die Ausländern zuteil werden kann. Wegen seines Einsatzes für Frieden, Freundschaft und Zusammenarbeit zwischen den Völkern verlieh ihm der Präsident der Republik Kasachstan den Dostyk-Orden. Überreicht wurde die Auszeichnung durch den kasachischen Botschafter Dauren Karipov in Berlin.

Die kasachische Botschaft teilte dazu mit:

Der berühmte deutsche Literaturkritiker und Nachdichter Leonhard Kossuth wurde mit dem Dostyk-Orden ausgezeichnet

BERLIN, 14. September 2020 – Anlässlich des 175. Geburtstages des großen Denkers, Dichters und Gründers der kasachischen schriftlichen Literatur Abai Qunanbajuly zeichnete heute der Botschafter Dauren Karipov im Auftrag des Staatspräsidenten Kasachstans den deutschen Literaturkritiker und Übersetzer Leonhard Kossuth mit dem Dostyk-Orden („Freundschaft“) 2. Grades aus.

Während der feierlichen Verleihung der hohen Auszeichnung in der Botschaft Kasachstans dankte Botschafter Karipov Herrn Leonhard Kossuth für seinen langjährigen herausragenden Beitrag zur Stärkung der freundschaftlichen Beziehungen zwischen Kasachstan und Deutschland und zur Popularisierung der kasachischen Literatur, insbesondere des Erbe von Abai, unter den deutschsprachigen Lesern.

Leonhard Kossuth wurde am 25. Juli 1923 geboren. Seine ganze berufliche Laufbahn war mit der Übersetzung ins Deutsche und der Popularisierung von Werken der russischen klassischen und sowjetischen Literatur des 20. Jahrhunderts verbunden.

Im Rahmen des Projektes der Botschaft der Republik Kasachstan in Deutschland „Kasachische Bibliothek“ wurden 2007 von Herold Belger Abai Zwanzig Gedichte herausgegeben, die von Herrn Leonhard Kossuth nachgedichtet wurden. 2018 erschien die von Herrn Kossuth überarbeitete deutsche Sammlung Abais „Zwanzig Gedichte“.

Darüber hinaus übersetzte Leonhard Kossuth eine Sammlung der Werke von Olshas Suleimenow Im Azimut der Nomaden in die deutsche Sprache.

Das entsprechende Dekret über die Verleihung des Ordens an Leonhard Kossuth wurde vom Präsidenten der Republik Kasachstan am 4. August 2020 unterzeichnet.

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Richard Schneider