Mexikanische Literaturübersetzerin Claudia Cabrera mit Goethe-Medaille geehrt

Claudia Cabrera
Claudia Cabrera - Bild: Cabrera

In Weimar wurde am 28. August 2024 die wichtigste Auszeichnung der auswärtigen Kulturpolitik der Bundesrepublik Deutschland verliehen. Die Goethe-Medaille 2024 ging an drei Frauen, darunter die literarische Übersetzerin und Dolmetscherin Claudia Cabrera aus Mexiko.

Beim Festakt würdigte die Präsidentin des Goethe-Instituts, Carola Lentz, das Engagement der Preisträgerinnen, deren Kulturarbeit Vielstimmigkeit fördere, widerständige Netzwerke schaffe und Brücken baue:

Ich freue mich sehr, dass wir heute drei starken Frauen die Goethe-Medaille für ihre Verdienste um die deutsche Sprache und um den internationalen Kulturaustausch verleihen. Alle drei wirken mit leisen Tönen, aber auch mit durchaus lauter Einmischung in ihren eigenen Gesellschaften und weit darüber hinaus. Mit ihrer Kulturarbeit nähren sie die Hoffnung auf eine bessere Welt, auf ein friedliches, tolerantes und kreatives Miteinander in einer herausfordernden Zeit. […] Sie […] vermitteln Mut und Kraft durch die Schönheit der Kunst.

Die Staatsministerin im Auswärtigen Amt Katja Keul sagte:

Für uns im Auswärtigen Amt ist eine moderne Auswärtige Kultur- und Gesellschaftspolitik ein wesentliches Instrument, weil sie Vertrauen schafft und internationale Beziehungen stärkt und das nicht nur zwischen den Regierungen, sondern auch zwischen den Menschen und Gesellschaften. Sie stärkt freiheitliche Werte und demokratische Teilhabe dadurch, dass sie Brücken baut: Brücken, die Zugänge eröffnen und Verbindungen gerade dort schaffen, wo Dialog sonst kaum noch möglich ist.

Der Thüringische Minister für Kultur, Bundes- und Europaangelegenheiten, Benjamin-Immanuel Hoff, und der Oberbürgermeister der Stadt Weimar, Peter Kleine, sprachen ebenfalls Grußworte zum Festakt.

Goethe-Medaille
Die drei Preisträgerinnen der Goethe-Medaille 2024: Iskra Geshoska (Kunstwissenschaftlerin und Kulturmanagerin Iskra Geshoska aus Nordmazedonien), Carmen Romero Quero (Gründerin und Leiterin des chilenischen Theaterfestivals „Teatro a Mil“) und Claudia Cabrera (mexikanische Literaturübersetzerin). – Bild: Antje Lange

Cabrera organisiert Übersetzungswerkstätten, Mitbegründerin von AMETLI

Claudia Cabrera begann in den 1990er-Jahren mit der Übersetzung literarischer Werke, darunter Theaterstücke, Romane und Erzählungen. Ihr jüngstes Projekt ist die Neuübersetzung des Exilwerks von Anna Seghers, die in den 1940er-Jahren im Exil in Mexiko lebte. Bereits erschienen sind Transit und La séptima cruz (Das siebte Kreuz).

Ab 2010 war Claudia Cabrera bei mehreren internationalen Literaturhäusern für Arbeitsaufenthalte zu Gast. Sie initiierte ebenso mehrere ViceVersa-Übersetzungswerkstätten für Deutsch-Spanisch in Deutschland und Mexiko. Sie studierte u. a. Hispanische Literatur und Romanische und Deutsche Philologie in Mexiko-Stadt und Göttingen.

Cabrera ist Gründungsmitglied und Präsidentin des mexikanischen Verbandes der Literaturübersetzer AMETLI (Asociación Mexicana de Traductores Literarios, A.C.). Ihre Übersetzungsarbeit wurde 2020 mit dem Übersetzungspreis „Premio Bellas Artes de Traducción Literaria Margarita Michelena“ für ihre Übersetzung von Arnold Zweigs Das Beil von Wandsbek gewürdigt.

Seit 1994 mehr als 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher übersetzt

Claudia Cabrera zählt in Mexiko zu den besten Theater- und Literaturübersetzern aus der deutschen Sprache. Seit 1994 übersetzte sie über 60 Romane, Theaterstücke und Sachbücher ins mexikanische Spanisch, darunter Werke von Rainer Werner Fassbinder, Julia Franck, Cornelia Funke, Franz Kafka, Heiner Müller, Robert Musil, Silke Scheuermann und zuletzt von Anna Seghers.

Mit dieser beeindruckenden Übersetzungsleistung trägt Claudia Cabrera maßgeblich zur Bekanntheit und Beliebtheit deutschsprachiger Literatur in Mexiko und Zentralamerika bei. Unermüdlich ist auch ihr Engagement für den Austausch von Übersetzern aus Mexiko und Deutschland, wie die von ihr initiierten ViceVersa-Übersetzungswerkstätten verdeutlichen.

Sie setzt sich kontinuierlich für eine größere Sichtbarkeit, Professionalisierung und Vernetzung ihres Berufsstandes in Zentralamerika ein und fördert mit ihrer Arbeit den deutsch-mexikanischen Kulturdialog.

Laudatio von Schriftstellerin Olga Grjasnowa

Die Laudatio auf Cabrera hielt die Schriftstellerin Olga Grjasnowa, die auf die Vielschichtigkeit der übersetzerischen Arbeit hinwies:

Der Beruf der Literaturübersetzerin ist ein leiser, bescheidener und leider viel zu oft ein unsichtbarer. Umso mehr Achtung gebührt dieser Berufswahl, bei der es weder um das eigene Ego noch den Ruhm geht, sondern einzig um die Liebe zur Sprache und Literatur.

Dabei ist es auch ein Beruf, der ein außerordentliches Können abverlangt, nicht nur die Kenntnis beider Sprachen, beider Kulturen, Länder, sondern auch noch die magische Fähigkeit ein literarisches Werk mit all seinen Eigenheiten in eine andere Sprache und einem anderen Kulturraum nachzudichten und dabei dem Originaltext möglichst treu zu bleiben. Dabei ist es wichtig, nicht nur den neuesten Änderungen in der Kultur und der Sprache zu folgen, sondern auch in der Literatur, in der deutschen, mexikanischen und der internationalen.

Und all diese Mühe, dafür, dass der eigene Name, also der Name der oder des Übersetzers am Ende noch nicht einmal auf dem Umschlag steht, obwohl er nicht unwichtiger ist als der des oder der Autorin. Mitunter versuchen die Verlage bereits diese Arbeit durch KI zu ersetzen, nicht, weil die KI es besser könnte, sondern um die ohnehin schon niedrigen Honorare zu drücken.

Doch Anerkennung erfahren Übersetzer*innen viel zu selten und umso schöner und wichtiger ist es, dass Claudia Cabrera heute bei uns ist und mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wird.

Claudia Cabrera ist eine außergewöhnliche Übersetzerin und Dolmetscherin. Sie schlägt Brücken zwischen den beiden Kulturen. Sie ist auch eine wunderbare Literaturvermittlerin und Gesprächspartnerin, nicht nur bei Buchpräsentationen. Dank ihr wurden zahlreiche Werke ins mexikanische Spanisch übersetzt und fanden neue Leser*innen. Dabei übersetzt sie nicht nur Klassiker, wie Anna Seghers, Heiner Müller oder Franz Kafka, sondern auch zeitgenössische Autor*innen, wie Julia Franck oder Cornelia Funke ins Spanische.

Claudia Cabrera hat sich aber nicht nur auf Prosa konzentriert, sondern übersetzt auch zeitgenössische Theaterstücke, es sind über 23, die alle in der jeweiligen Übersetzung inszeniert wurden. Ich möchte betonen, wie außergewöhnlich das ist, denn Prosa und Dramatik sind zwei vollkommen unterschiedliche Begabungen. Die meisten Autor*innen und Übersetzer*innen beherrschen nur eine Gattung, wenn überhaupt, und das Übersetzen eines Theaterstücks erfordert ein anderes Handwerk und Gespür als das für einen Roman oder ein Sachbuch. So ziemlich alles in diesen beiden Gattungen ist anders, die Sprache und das Timing, die Struktur des Textes und die Arbeitsweise. Es braucht zwei völlig unterschiedliche Zugänge und Claudia Cabrera verfügt über beide.

Claudia Cabrera ist zudem auch eine begnadete Kulturmanagerin, sie organisiert zahlreiche Events, Lesungen und Übersetzungsworkshops. Damit bringt sie die Literatur den Menschen nahe und begeistert sie für zahlreiche Werke, Themen und Sprache. Denn selbst wenn die Menschen dieselbe Sprache sprechen, ist es noch lange nicht ausgemacht, dass sie sich auch verstehen.

Das können wir in der Politik oder auch in Familien beobachten. Sigrid Nunez schreibt in ihrem Roman „Was fehlt Dir”: „Was, wenn wir die ganze Zeit die Geschichte des Turmbaus zu Babel missverstanden haben? […] Aber was, wenn Gott noch weiter gegangen wäre. Was, wenn er nicht den unterschiedlichen Geschlechtern, sondern jedem Menschen eine eigene Sprache gegeben hätte, einzigartig wie ein Fingerabdruck. Und, Schritt zwei, um das Leben der Menschen noch konfliktreicher und verwirrender zu machen, hätte er ihre Wahrnehmung vernebelt. Wir würden dann zwar verstehen, dass die vielen Völker unterschiedliche Sprachen sprechen, doch wir würden glauben, dass alle in unserem Volk die gleiche Sprache sprechen wie wir.“

Deswegen ist es so wichtig über die Literatur, Kultur und das Theater auch zu sprechen, damit wir einander – und die übersetzten Werke – wirklich verstehen.

Die Goethe-Medaille ehrt Menschen, die sich in besonderer Weise um die Vermittlung der deutschen Sprache sowie den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben. Ich glaube Claudia Cabrera hat sogar mehr erreicht: Sie hat eine enorme Bandbreite deutschsprachiger Poetiken und Stimmen in einem anderen Sprachraum zugänglich gemacht, und ein ganzes Stück dazu beigetragen, damit wir uns alle verstehen und nicht nur in unseren Sprachen verharren.

Dankesrede von Claudia Cabrera

Meine Lebensgeschichte und meine Beziehung zu Deutschland haben mit einem historischen Ereignis zu tun, das sich in einem Hotel am Rhein – in Bad Godesberg bei Bonn – abgespielt hat. 1942 wurden dort mein mexikanischer Großonkel und seine Frau, eine ungarische Jüdin, zusammen mit mehr als 100 lateinamerikanischen Diplomaten für über ein Jahr von den
Nationalsozialisten gefangen gehalten.

Unter ihnen befand sich auch Gilberto Bosques, der damalige mexikanische Konsul, der in Marseille so vielen spanischen Republikanern und deutschen Juden und Kommunisten das Leben gerettet hatte. Das nur wenige Kilometer von Weimar entfernte Konzentrationslager Buchenwald erinnert uns an das Schicksal, das sie erwartet hätte.

„Transit“ nannte Anna Seghers ihren Roman, in dem sie so plastisch die dramatischen Umstände beschreibt, unter denen Bosques in Marseille vielen Menschen im letzten Moment zu einer Schiffspassage nach Mexiko verhelfen konnte – ich hatte das große Privileg, diesen Roman vor kurzem neu zu übersetzen, was mir auch das Schicksal meiner beiden Verwandten nochmals ganz anders nahegebracht hat.

Denn auch ihnen hat Bosques damals das Leben gerettet. 1944 gingen beide, zusammen mit anderen Gefangenen aus Bad Godesberg, nach Mexiko. Mein Großonkel kehrte zurück in sein Land, zu seiner Familie und seiner Sprache. Für meine Großtante bedeutete die Reise dagegen das Exil in einem fremden Land, wo sie niemanden kannte und dessen Sprache sie nicht verstand.

Trotz der schmerzlichen Erfahrung, die sie in Deutschland gemacht hatten, schickten beide Jahre später ihre einzige Tochter ausgerechnet auf die Deutsche Schule in Mexiko-Stadt. Zum einen, weil mein Großonkel, ein Philosoph, ein großer Verehrer der deutschen Kultur war („Die Nazis sind nicht die Deutschen“, pflegte er zu sagen); zum anderen, weil meine Großtante dadurch die Möglichkeit hatte, an ihre europäischen Wurzeln anzuknüpfen und wieder Deutsch zu sprechen, das sie in ihrer Kindheit in Österreich-Ungarn gelernt hatte.

Fast 20 Jahre später folgte ich den Fußstapfen meiner Tante: auch ich ging auf die Deutsche Schule in Mexiko. Und tatsächlich hat das mein weiteres Leben entscheidend geprägt. Durch die deutsche Sprache und Kultur bin ich zu der Person geworden, die ich heute bin. Sie hat mir meinen Beruf geschenkt, und viele liebe Menschen. Auch mein Mann, Komplize bei vielen Übersetzungsprojekten, ist Deutscher.

Ein Geschenk war ebenfalls die konstante Auseinandersetzung mit zwei sehr unterschiedlichen Welten. Ich konnte zu einer Brücke werden – zwischen der Welt, die meine Großtante verlassen musste, und derjenigen, in der sie nie richtig angekommen ist. Ich dagegen fühle mich in beiden Welten zu Hause. Und versuche jeden Tag die Entfernung zwischen Deutschland und Mexiko zu verringern und die „Fremdheiten“ anzunähern.

Das mache ich nicht nur indem ich Bücher übersetze, sondern auch kulturelle Zusammenhänge übersetze. „Über-Setzen“, das schöne, deutsche Wort für „von einem Ufer zum anderen gelangen“: für mich bedeutet das seit knapp 30 Jahren den „Sprachozean“ zwischen Mexiko und Deutschland tagtäglich mehrmals zu überqueren, mit jedem einzelnen der vielen, vielen Worte und Gedanken, die ich von Deutschland nach Mexiko übersetze.

Daher möchte ich, in einer Zeit, wo die Spaltung zwischen Menschen, Parteien, Ländern und Kulturen immer größer und die Sprache konstant entwertet und missbraucht wird, an die Wichtigkeit der Sprache als eines unserer kostbarsten Güter der Vermittlung und Versöhnung erinnern. Goethe hat nicht umsonst der deutschen Sprache sein Leben verschrieben.

Goethe-Medaille
Bild: Loredana la Rocca

Goethe-Medaille wird seit 1955 verliehen

Seit 1955 verleiht das Goethe-Institut einmal im Jahr die Goethe-Medaille als offizielles Ehrenzeichen der Bundesrepublik Deutschland. Sie ist der wichtigste Preis der auswärtigen Kulturpolitik.

Die Kandidaten werden von den Goethe-Instituten in aller Welt in Abstimmung mit den deutschen Auslandsvertretungen nominiert. Aus diesen Vorschlägen entwickelt die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille, die sich aus Persönlichkeiten aus Wissenschaft, Kunst und Kultur zusammensetzt, eine Auswahl, die das Präsidium des Goethe-Instituts bestätigt.

Die Verleihung der Goethe-Medaille macht dem Publikum in Deutschland weltweit relevante kulturelle Themen und Akteure bekannt und unterstützt die Internationalisierung der deutschen Kulturlandschaft.

Die Verleihung findet traditionell am 28. August, dem Geburtstag Goethes, statt. Seit der ersten Verleihung 1955 wurden insgesamt 380 Persönlichkeiten aus 70 Ländern geehrt, darunter Daniel Barenboim, David Cornwell alias John le Carré und Jorge Semprún.

Seit 1992 findet die Verleihung der Medaille in Weimar statt, seit 2009 am 28. August, Goethes Geburtstag. Gemeinsam mit dem Kunstfest Weimar richtet das Goethe-Institut ein Begleitprogramm aus, das Möglichkeiten zur Begegnung mit den Preisträgern bietet. Seit 2022 können die Preisträger im Rahmen einer Netzwerkreise nach Deutschland ihre Beziehungen zu in Deutschland arbeitenden Institutionen und Personen stärken oder neu knüpfen.

Die Kommission zur Verleihung der Goethe-Medaille 2024 bestand, unter der Leitung von Thomas Oberender (Autor und Kurator), aus René Aguigah (Moderator und Ressortleiter „Literatur, Philosophie, Religion“ Deutschlandfunk Kultur), Olga Grjasnowa (Schriftstellerin), Julia Grosse (Künstlerische Leiterin Contemporary And), Anna Henckel-Donnersmarck (Kuratorin und Leiterin der Berlinale Shorts), Matthias Lilienthal (Dramaturg und Intendant), Antje Rávik Strubel (Autorin), Andrea Zschunke (Leiterin Musik WDR3); in Vertretung des Auswärtigen Amtes: Stefan Rössel (Beauftragter für Auswärtige Kulturpolitik); in Vertretung des Goethe-Instituts: Carola Lentz (Präsidentin des Goethe-Instituts) und Johannes Ebert (Generalsekretär des Goethe-Instituts).

Das Goethe-Institut ist das weltweit tätige Kulturinstitut der Bundesrepublik Deutschland. Mit derzeit 151 Instituten in 98 Ländern fördert es die Kenntnis der deutschen Sprache, pflegt die internationale kulturelle Zusammenarbeit und vermittelt ein aktuelles Deutschlandbild. Durch Kooperationen mit Partnereinrichtungen an zahlreichen weiteren Orten verfügt das Goethe-Institut insgesamt über rund 1.000 Anlaufstellen weltweit.

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red