Der Nobelpreis für Literatur geht 2024 geht an die südkoreanische Autorin Han Kang, wie die Schwedische Akademie (Svenska Akademien) am 10. Oktober 2024 in Stockholm in einer kurzen Stellungnahme mitteilte.
Das Nobelpreis-Komitee lobt „ihre intensive poetische Prosa, die sich mit historischen Traumata auseinandersetzt und die Zerbrechlichkeit des menschlichen Lebens aufzeigt“.
Es handelt sich um den ersten Literaturnobelpreis für die koreanische Sprache, während zum Beispiel das Deutsche bereits zehn Preisträger hervorgebracht hat.
Die Auszeichnung ist mit 11 Mio. Schwedischen Kronen (rund 968.000 Euro) dotiert und wird am 10. Dezember 2024 verliehen, dem Todestag des Stifters Alfred Nobel.
Deutsche Stammübersetzerin ist Ki-Hyang Lee
Gemeinsam mit Han Kang freuen sich auch ihre deutschen Übersetzerinnen Ki-Hyang Lee, die erst im März mit dem Preis der Leipziger Buchmesse ausgezeichnet wurde, und Kyong-Hae Flügel.
Auf Deutsch sind bisher erschienen:
- Han Kang (2024): Griechischstunden. Berlin: Aufbau. Roman, aus dem Koreanischen von I Gi hyang [Ki-Hyang Lee]. Originaltitel: 희랍어 시간
- Han Kang (2020): Weiß. Berlin: Aufbau. Roman, aus dem Koreanischen von I Gi hyang [Ki-Hyang Lee]. Originaltitel: 흰
- Han Kang (2019): Deine kalten Hände. Berlin: Aufbau. Roman, aus dem Koreanischen von Kyong-Hae Flügel. Originaltitel: 그대의 차가운 손
- Han Kang (2017): Menschenwerk. Berlin: Aufbau. Roman, aus dem Koreanischen von I Gi hyang [Ki-Hyang Lee]. Originaltitel: 소년이 온다
- Han Kang (2016): Die Vegetarierin. Berlin: Aufbau. Roman, aus dem Koreanischen von Ki-Hyang Lee [I Gi hyang]. Originaltitel: 채식주의자
- Han Kang (2005): „Die Früchte meiner Frau“, in Koreanische Erzählungen (Anthologie), herausgegeben von Sylvia Bräsel und Lie Kwang-Sook. München: dtv. Originaltitel: 내 여자의 열매
Leseempfehlungen des Nobelpreiskomitees
Für Han-Kang-Einsteiger empfiehlt das Nobelpreiskomitee die Romane Die Vegetarierin, Griechischstunden und Menschenwerk.
Die Vegetarierin ist Han Kangs internationaler Durchbruch, der 2016 mit dem International Booker Prize ausgezeichnet wurde. Es ist die Geschichte einer koreanischen Frau mittleren Alters, die eines Nachts plötzlich beschließt, kein Fleisch mehr zu essen. Die Vegetarierin selbst kommt in dem Roman nicht vor, ihre Geschichte wird stattdessen in drei verschiedenen Erzählungen von ihrem Ehemann, ihrem Schwager und ihrer älteren Schwester (in dieser Reihenfolge) erzählt.
Ihre unterschiedlichen Reaktionen, die von Abscheu über sexuelle Faszination bis hin zu giftigem Neid reichen, stehen in scharfem Kontrast zu der stummen Weigerung der Frau selbst, einen Rückzieher zu machen oder sich für die Schande, die sie über ihre Familie gebracht hat, schuldig zu bekennen. Durch diese Reaktionen zeichnet Kang ein scharfes Porträt einer patriarchalischen Gesellschaft, die von Karrierismus und starren, manchmal tyrannischen sozialen Normen und Konventionen besessen ist.
Griechischstunden: Dieser kurze, aber intensive und psychologisch eindringliche Roman ist ein intimes Porträt zweier Personen, die die wichtigsten Verbindungen zur Außenwelt verloren haben oder dabei sind, sie zu verlieren.
Die weibliche Hauptfigur hat sich nach häuslicher Gewalt in die Stummheit zurückgezogen, während der männliche Protagonist aufgrund einer Erbkrankheit langsam sein Augenlicht verliert. Um ihre Kommunikationsfähigkeit wiederzuerlangen, belegt die Frau Kurse in Altgriechisch – denn eine Sprache, die sie nicht mehr spricht, kann ihr nicht schaden -, während der Mann, der sein Augenlicht verliert, ihr Griechischlehrer ist.
Der Roman ist eine Art zarte Liebesgeschichte und zeichnet den Versuch der beiden nach, wenn schon nicht zu überwinden, so doch wenigstens zu versuchen, eine gemeinsame Basis für ihren gemeinsamen Verlust zu finden.
Es ist auch ein Buch über Sprache, darüber, wie Worte uns helfen können, unserer äußeren und inneren Welt Form und Bedeutung zu geben, aber auch das Zerbrechen und Zerstören dessen, was in uns allen am empfindlichsten ist: unsere Identität.
Menschenwerk: Wie in ihrem jüngsten Roman Wir trennen uns nicht, der im Januar 2025 auf Englisch erscheinen soll, wirft Menschenwerk einen schrägen, aber erschreckenden und absolut überzeugenden Blick auf die nicht allzu ferne Vergangenheit von Südkorea.
Aus vielen verschiedenen, ständig wechselnden Perspektiven, die eine fast unerträgliche erzählerische Spannung erzeugen, schildert der Roman das Leben vieler Menschen, die entweder an einem Studentenaufstand im Mai 1980 in der Stadt Gwangju, in der die Autorin ihre Kindheit und frühe Jugend verbrachte, beteiligt waren oder die als unschuldige Opfer in diesen Aufstand gerieten, der von der damals herrschenden Militärjunta brutal niedergeschlagen wurde.
Wie in vielen anderen ihrer Werke ist die Grenze zwischen Täter und Opfer, Körper und Seele oder auch zwischen Lebenden und Toten fließend, was sich in einer ebenso klaren wie subtilen Sprache widerspiegelt. Han gibt in diesem und mehreren anderen Romanen dem Ausdruck „mit der Vergangenheit leben“ eine neue Bedeutung, die als Überbleibsel einer Realität betrachtet wird, vor der man weder zurückschrecken noch sich ihr entziehen kann.
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Richard Schneider