
Ein Artikel im Berliner Tageblatt vom 29. März 1928 vermittelt interessante Einblicke in den Markt für Literaturübersetzungen in der Blütephase der Weimarer Republik.
Nachfolgend der von uns digitalisierte Text im Wortlaut. Wir haben lediglich zusätzliche Absatzeinteilungen und Zwischenüberschriften eingefügt.
Reichspräsident war zum damaligen Zeitpunkt Paul von Hindenburg, die Regierung wurde von Reichskanzler Wilhelm Marx (Zentrum) geleitet. Wenige Monate nach Erscheinen des Artikels begann im Oktober 1929 mit dem New Yorker Börsencrash und der sich anschließenden Weltwirtschaftskrise eine verhängnisvolle wirtschaftliche und politische Abwärtsentwicklung.
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Das deutsche Buch im Ausland.
Amerika übersetzt die meisten Bücher. Kein Urheberschutz in Russland.
Das Interesse des Auslandes an den Neuerscheinungen des deutschen Buchmarktes hat, nach den Erfahrungen verschiedener deutscher Verlagsfirmen, in den Jahren nach dem Kriege bedeutend zugenommen.
[Enormer Anstieg der Lizenzverkäufe deutscher Titel ins Ausland]
Während vor dem Kriege neue deutsche Bücher nur in geringem Masse in fremde Sprachen übersetzt wurden, ist in dieser Hinsicht jetzt ein enormer Aufstieg zu verzeichnen, der so weit geht, dass viele Bücher oft noch vor ihrem Erscheinen in Deutschland von ausländischen Verlegern zur Uebersetzung erworben werden.
[Wichtigster Auslandsmarkt USA, danach Frankreich und Dänemark]
An erster Stelle rangiert hier Amerika, das von allen Ländern der Welt am häufigsten sich um Uebersetzungen aus dem Deutschen bemüht und dessen Verleger solche Bücher, nach bestehenden Verträgen, auch gleichzeitig im übrigen englischen Sprachgebiet herausbringen.
Im Vergleich zu den zahlreichen Uebersetzungen ins Englische sind Uebertragungen in andere Sprachen, beispielsweise ins Französische, das an zweiter Stelle, und ins Dänische, das an dritter Stelle steht, gering, und die in Frankreich und Dänemark erzielten Tantiemen sind für deutsche Autoren gewöhnlich kaum nennenswert, wenn man sie mit den Summen vergleicht, die für amerikanische Auflagen bezahlt werden.
Während also aus französischen Ausgaben deutschen Autoren kaum Vorteile erwachsen, sind die Preise, die deutsche Verleger für das Uebersetzungsrecht französischer Bücher zahlen müssen, unverhältnismässig hoch.
[Auflage im Ausland gelegentlich höher als im Inland]
Wie gross hingegen das Interesse für deutsche Bücher in Amerika ist, geht aus der Tatsache hervor, dass beispielsweise Emil Ludwigs „Napoleon“ in Amerika innerhalb zwei Jahren eine Auflage von 165 000Exemplaren erzielte, während es in der doppelten Zeit in Deutschland die, zwar auch beträchtliche, Auflage von 71 000 Exemplaren erreichte.
Die Frage, für welche Art von deutschen Büchern sich das Ausland am meisten interessiert, ist, nach den Erklärungen führender deutscher Verlagsfirmen, dahin zu lösen, dass allgemein im Ausland solche Bücher Erfolg versprechen, die sich entweder auf historische oder aktuelle Tatsachen gründen.
Allgemein aber ist die Beobachtung, dass sich das internationale Geschmacksniveau sehr ausgeglichen hat, und dass daher ein auffallender deutscher Büchererfolg in den meisten Fällen auch in fremden Ländern wiederkehrt.
Eine weitere Beobachtung ist, dass die Uebersetzung guter Durchschnittsliteratur fast nie ein Wagnis bedeutet, dass hingegen die repräsentativsten deutschen Autoren, zum Beispiel Thomas Mann, zwar vielfach in fremde Sprachen übersetzt sind, aber verhältnismässig im Ausland nicht die Resonanz gefunden haben, die ihrer literarischen Stellung in Deutschland entspräche.
[Meistübersetzte Autoren: Toller, Zweig, Wassermann, Feuchtwanger, Bronnen]
Den Rekord in der Zahl der Uebersetzungen hält Ernst Toller, dessen Schriften in fast allen Sprachen, sogar in japanischer Uebertragung, vorliegen. Von modernen deutschen Autoren sind ausserdem in letzter Zeit Arnold Zweig mit einem „Sergeanten Grischa“, Jakob Wassermann mit dem kürzlich erschienenen „Fall Maurizius“ und früheren Romanen, Lion Feuchtwanger, dessen „Jud Süss“ bekanntlich in England der grösste Bucherfolg des letzten Jahres war, Arnolt Bronnen mit dem Roman „Barbara la Marr“, Leonhard Frank, Alfred Neumann und Valeriu Marcu mit seiner „Lenin“-Biographie vielfach in fremde Sprachen übersetzt worden.
Im übrigen ist die Erfahrung zu machen, dass für einen ausländischen Verlag bei der Erwerbung deutscher Buchrechte weniger der bedeutende Name ausschlaggebend ist, als das an sich interessante Sujet eines Buches.
[Problem: Kein Urheberrechtsschutz in Russland]
Um die allgemeinen Interessen des deutschen Buchhandels im Ausland zu stützen und zu fördern, hat der Buchhändler-Börsenverein als eigene Abteilung eine Deutsche Gesellschaft für Auslandsbuchhandel eingerichtet, die durch Informationsreisen und durch Vertretung auf internationalen Buchausstellungen das Recht des deutschen Verlegers vertritt.
Ungeklärt sind noch die Beziehungen zwischen dem deutschen und dem russischen Buchmarkt, da mit Russland im Hinblick auf Urheberschutz keine Konvention besteht. Es kann also passieren, dass in Russland gleichzeitig mehrere Verlage dasselbe deutsche Buch publizieren.
[S. Fischer und Kiepenheuer schließen Rahmenvereinbarung mit Moskauer Verlag]
Um diesen Zustand, der deutsche Autoren in Russland schutzlos macht, zu beseitigen, haben der Verlag S. Fischer und der Verlag Kiepenheuer gemeinsam mit einer Moskauer Verlagsgesellschaft ein Abkommen getroffen, nach dem die Manuskripte ihrer Autoren gegenseitig ausgetauscht werden sollen.
Die deutschen Verlage haben sich bereit erklärt, von Fall zu Fall zu entscheiden, ob sie Bücher des russischen Verlags übernehmen wollen. Dementsprechend hat auch der russische Verlag erklärt, noch nicht erschienene Werke der beiden deutschen Verlage auf ihre Verwendbarkeit prüfen und sie eventuell erwerben zu wollen.
Solche Vereinbarungen stehen nicht mehr vereinzelt da, sondern sind schon früher gelegentlich zustande gekommen, und ihr Zweck ist, auf Grund von Manuskripten russische Uebersetzungen autorisiert und bezahlt herauszugeben.
Die in Russland zurzeit bestehende Rechtslage schützt jedoch solche autorisiert erschienenen Uebersetzungen aus dem Deutschen keineswegs vor dem Zugriff eines anderen russischen Verlegers oder Druckers. Obgleich die russischen Schriftsteller selbst ein Gesetz wünschen, dass solche Werke, von denen autorisierte Uebersetzungen erschienen sind, auch in Russland gegen weitere Uebersetzungen geschützt sein sollen.
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Richard Schneider