
Der ehemalige BDÜ-Präsident Jürgen Kern ist verstorben. Er wurde 93 Jahre alt (13.04.1932 – 19.07.2025).
Kern leitete vier Jahre (1994 – 1998) den BDÜ-Bundesverband und war davor 13 Jahre lang 1. Vorsitzender des Landesverbands Rheinland-Pfalz (1982 – 1995).
Seine berufliche Laufbahn absolvierte der Diplom-Dolmetscher für Französisch und Englisch, der an der Universität Mainz in Germersheim studiert hatte, ab 1957 bei der BASF in Ludwigshafen. Bis zu seinem Eintritt in den Ruhestand 1995 leitete er über viele Jahre den kleinen, aber feinen Sprachendienst des Chemie-Giganten.

Kerns Name bleibt mit der größten Krise des Verbands verbunden
In Kerns Amtszeit als Präsident fällt die größte Krise des Bundesverbands der Dolmetscher und Übersetzer, in deren Folge die Landesverbände Hamburg/Schleswig-Holstein, Nordrhein-Westfalen und Brandenburg aus dem Bundesverband austraten.
Über die unselige Zeit der BDÜ-Querelen Mitte der 1990er Jahre gäbe es viel zu erzählen. (Im UEPO-Regal stehen dazu noch zwei dicke Aktenordner mit Unterlagen.) Es würde der Lebensleistung von Jürgen Kern aber nicht gerecht, wenn man sein Wirken auf die missratenen ersten zwei Jahre seiner Präsidentschaft reduzieren würde.
Mehr als 50 Jahre ehrenamtliches Engagement für die Berufsgruppe
Denn dem unglücklichen Agieren auf Bundesebene steht ein nachhaltiges, jahrzehntelanges Engagement im Landesverband Rheinland-Pfalz gegenüber, von dem ich in Germersheim als studentisches BDÜ-Mitglied profitieren konnte. Der BDÜ und Jürgen Kern waren regelmäßig mit einem Infotisch und Vorträgen zur Berufspraxis in der weltweit größten universitären Ausbildungsstätte für Dolmetscher und Übersetzer zu Gast.
Zwar war Kern im Südwesten so etwas wie ein Alleinherrscher im BDÜ, aber man ließ ihn gerne gewähren, weil er gute Arbeit leistete und auf solide Finanzen achtete. Auch nach seinem Abtritt als 1. Vorsitzender (1995) blieb er noch jahrzehntelang die geachtete graue Eminenz im Hintergrund und saß auf Jahresmitgliederversammlungen stets aufmerksam in der ersten Reihe.

Berufspraktische Aufklärungsarbeit in Germersheim
Im persönlichen Umgang konnte Jürgen Kern distanziert bis unnahbar, hart und schroff wirken. Auch seine Vorträge vor Studenten in Germersheim riefen nicht selten Kopfschütteln und Widerspruch hervor – weil er die Studis schonungslos über die Realität der späteren Berufspraxis aufklärte. Für viele war das desillusionierend.
Mir hat damals imponiert, dass er die Jugendlichen nicht mit Samthandschuhen anfasste und sich traute, andere Auffassungen zu vertreten als die Dozenten. Aber Applaus aus dem voll besetzten Stufenhörsaal (damals Hörsaal D) bekam er dafür nicht. Viele Kommilitonen waren hinterher der Ansicht, das falsche Studienfach gewählt zu haben.

Leider war es verbandsintern Kerns Art, lieber eine Abmahnung per Fax zu verschicken, als zum Telefonhörer zu greifen und mal nachzufragen, warum die Dinge nicht so laufen, wie er es gerne hätte. Als damaliger Beauftragter des Bundesvorstands für die BDÜ-Mailbox, dem ersten Online-Forum des Verbands, war ich selbst davon betroffen.
Dem Vorstand passte damals nicht, dass in der per Computer und Modem über das Telefonnetz zugänglichen Mailbox ungefiltert Kritik am Verband geübt wurde. Nach der Absetzung als Beauftragter wurde mir noch ein Verbandsausschlussverfahren angedroht. So vergrault man auch die motiviertesten Mitarbeiter. (Die Mailbox wurde übrigens als U-Forum ohne den BDÜ weitergeführt und existierte als Mailingliste noch mehr als 20 Jahre, bis der Betreiber Alexander von Obert 2019 den Stecker zog.)
Zu einem Streit gehören immer mindestens zwei
Dass die Auseinandersetzungen auf Bundesebene damals bis zum Auseinanderbrechen des Verbands eskalieren konnten, lag nicht nur an Kern, sondern auch an einzelnen Gegenspielern, die genüsslich Öl ins Feuer gossen.
Ich kann mich noch gut daran erinnern, wie Hans-Jürgen Stellbrink, damals Geschäftsführer des BDÜ-Landesverbands Nordrhein-Westfalen, in kleinem Kreis verschmitzt lächelnd erzählte, er habe das Registergericht darauf aufmerksam gemacht, dass der Bundesvorstand nicht ordnungsgemäß besetzt sei. Das führte letztlich zu einer Sperrung der Konten des Bundesverbands. Die Blockade war zwar nur von kurzer Dauer, sorgte aber für gehörigen Wirbel und reizte den Bundesvorstand bis zur Weißglut. Die sinnlose Aktion wurde vom Initiator als Erfolg verbucht, hatte man dem verhassten Bundesvorstand dadurch doch einen gehörigen Tritt vors Schienbein verpassen können.
Kern hat als BDÜ-Präsident sicherlich zu wenig kommuniziert, undiplomatisch agiert und Verbandskollegen und Mitarbeiter brüskiert, zum Beispiel durch die fristlose Entlassung der Bundesgeschäftsführerin, aber ihm wurde auch übel mitgespielt.
Der BDÜ hatte damals keine Instrumente, mit denen man die auf Bundesebene aufeinanderprallenden Egos der Landesfürsten hätte in Schach halten können. Die Vorsitzenden des Schiedsgerichts und die Rechtsberater des Verbands haben sich oft als parteiische Scharfmacher entpuppt.
Einen Rückfall in alte Querelen-Zeiten konnte die Branche erst vor Kurzem mit dem vom Bundesvorstand versuchten Ausschluss des BDÜ Nord aus dem Bundesverband erleben. Ein ungeheuerlicher Vorgang, bei dem selbst die alten Haudegen von damals nur entsetzt mit dem Kopf schütteln konnten.
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Richard Schneider