Koalitionsvertrag: Krankenkassen übernehmen Dolmetschkosten, Altersvorsorgepflicht kommt

Koalitionsvertrag
„Mehr Fortschritt“ wollen die Koalitionäre in ihrem „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ wagen. - Bild: CocoParisienne / Pixabay, UEPO

Am 24. November 2021 haben SPD, Grüne und FDP der Öffentlichkeit den in zweimonatigen Verhandlungen ausgearbeiteten Koalitionsvertrag vorgestellt. Das 178 Seiten umfassende Papier trägt die Überschrift „Mehr Fortschritt wagen“, die Koalition versteht sich als „Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“.

Der Text enthält einige Punkte, die auch das Übersetzen und Dolmetschen sowie den Status der überwiegenden Mehrheit der in der Branche Beschäftigten als Freiberufler bzw. Soloselbstständige betreffen.

Krankenkassen übernehmen Dolmetschkosten im Gesundheitswesen

Sämtliche Seiten des als PDF-Datei verfügbaren Papiers weisen eine durchgehende Zeilennummerierung auf. In Zeile 2781 heißt es:

Sprachmittlung auch mit Hilfe digitaler Anwendungen wird im Kontext notwendiger medizinischer Behandlung Bestandteil des SGB V.

Die Abkürzung „SGB“ steht für das Sozialgesetzbuch. Mit „digitalen Anwendungen“ sind verschiedene Arten des Ferndolmetschens per Video oder Telefon gemeint.

Im Klartext bedeutet der unscheinbare Satz im Koalitionspapier, dass alle Ärzte und Krankenhäuser künftig Rechnungen von Dolmetschern an die Krankenkassen weiterreichen können. Dies war bislang nur bei Gebärdensprachdolmetschern möglich.

Die so genannte Ampelkoalition aus Rot, Gelb und Grün erfüllt damit eine Forderung verschiedener Ärztekammern. Diese sprechen sich seit Jahren  – und verstärkt nach der Flüchtlingswelle von 2015 – für eine klare Regelung und ein einheitliches Abrechnungsverfahren aus. (Siehe Links weiter unten.)

Die Krankenkassen hatten die Übernahme der Kosten für eine Sprachmittlung stets abgelehnt. Weil es keine Krankheit ist, nicht Deutsch zu sprechen, und weil sie die Versicherten vor weiteren Beitragserhöhungen schützen wollten.

Kompetenzzentrum für Leichte Sprache / Gebärdensprache

Die Koalition will ein „Bundeskompetenzzentrum Leichte Sprache / Gebärdensprache“ mit einem Sprachendienst einrichten und entsprechende Angebote bei Pressekonferenzen und zur Information der Bürger ausbauen.

Im Vertrag heißt es ab Zeile 2596:

Darüber hinaus sorgen wir baldmöglichst dafür, dass Pressekonferenzen und öffentliche Veranstaltungen von Bundesministerien und nachgeordneten Behörden sowie Informationen zu Gesetzen und Verwaltungshandeln in Gebärdensprache übersetzt und untertitelt werden sowie die Angebote in leichter bzw. einfacher Sprache ausgeweitet werden.

Dazu richten wir einen Sprachendienst in einem eigenen Bundeskompetenzzentrum Leichte Sprache / Gebärdensprache ein.

Altersvorsorgepflicht durch Rentenversicherung oder private Vorkehrungen

Bislang waren Selbstständige nicht verpflichtet, eine Altersvorsorge zu betreiben. Besonders für Soloselbstständige bestand deshalb die Gefahr der Altersarmut. Viele sind auf Grundsicherung angewiesen, sobald sie nicht mehr arbeiten können.

Ab Zeile 2471 heißt es im Koalitionsvertrag:

Wir werden für alle neuen Selbstständigen, die keinem obligatorischen Alterssicherungssystem unterliegen, eine Pflicht zur Altersvorsorge mit Wahlfreiheit einführen. Selbstständige sind in der gesetzlichen Rentenversicherung versichert, sofern sie nicht im Rahmen eines einfachen und unbürokratischen Opt-Outs ein privates Vorsorgeprodukt wählen. Dieses muss insolvenz- und pfändungssicher sein und zu einer Absicherung oberhalb des Grundsicherungsniveaus führen.

Bei jeder Gründung gilt jeweils eine Karenzzeit von zwei Jahren. Die geförderte zusätzliche private Altersvorsorge steht allen Erwerbstätigen offen.

Erleichterter Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung

Zeile 2269:

Durch einen erleichterten Zugang zur freiwilligen Arbeitslosenversicherung unterstützen wir auch Selbstständige sowie Gründerinnen und Gründer.

GKV-Beiträge nur noch strikt einkommensbezogen

Unter der Überschrift „Absicherung für Selbständige“ heißt es ab Zeile 2469:

Wir entlasten Selbstständige dadurch, dass Beiträge zur gesetzlichen Krankenversicherung oberhalb der Minijobgrenze nur noch strikt einkommensbezogen erhoben werden.

Bestand der Künstlersozialkasse (KSK) gesichert

Zeile 2281:

Während der Corona-Pandemie hat sich die besondere Bedeutung der Künstlersozialkasse für die soziale Absicherung von Kreativen und Kulturschaffenden bewährt. Diese wollen wir auch künftig sicherstellen.

Ab Zeile 4100:

Wir werden soloselbstständige und hybrid beschäftigte Kreative besser absichern und Bürokratie abbauen, die KSK finanziell stabilisieren und die erhöhte Zuverdienstgrenze aus selbstständiger nicht-künstlerischer Tätigkeit erhalten.

Wirtschaftshilfen für Überbrückung / Neustart werden fortgeführt

Ab Zeile 2276 ist zu lesen:

Zur Unterstützung von Soloselbständigen in der andauernden Corona-Pandemie führen wir die Neustarthilfe im Rahmen der Überbrückungshilfe III Plus so lange wie benötigt fort.

Um auch bei zukünftigen schweren Krisen, die zu nicht selbst verantworteten Erwerbsausfällen führen, Selbstständige auch bei der Finanzierung ihrer Lebensunterhaltskosten schneller und besser helfen zu können, treffen wir Vorsorge für steuerfinanzierte Wirtschaftshilfen. Dabei werten wir die Erfahrungen mit der Neustarthilfe aus. Wir schaffen kein neues Regelsystem.

Förderung von Minderheitensprachen

Im Abschnitt „Antidiskriminierung“ findet sich in Zeile 4077 folgender Hinweis:

Projekte für den Erhalt und die Entfaltung der Minderheiten, ihrer Sprachen und Kultur bauen wir aus.

Nachzuweisendes Sprachniveau für Gastarbeitergeneration wird gesenkt

Zeile 3982:

In Anerkennung ihrer Lebensleistung wollen wir die Einbürgerung für Angehörige der sogenannten Gastarbeitergeneration erleichtern, deren Integration lange Zeit nicht unterstützt wurde, indem wir für diese Gruppe das nachzuweisende Sprachniveau senken. Zudem schaffen wir eine allgemeine Härtefallregelung für den erforderlichen Sprachnachweis.

Berufssprachkurse für Einwanderer werden stärker gefördert

Zeile 4707:

Für eine schnelle und nachhaltige Arbeitsmarktintegration werden wir die auf den Integrationskursen aufbauenden Berufssprachkurse stärker fördern und die Mittel verstetigen.

Umsetzung bleibt abzuwarten

Koalitionsverträge sind nicht bindend, sondern haben den Charakter einer Absichtserklärung. Ob, wie und wann die oben genannten Punkte umgesetzt werden, bleibt abzuwarten.

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Richard Schneider