Apotheken-Umschau erstellt Texte in Einfacher Sprache – mit KI-Tool und Hilfe aus Hildesheim

Apotheken-Umschau
Auf ihrer Website bietet die Apotheken-Umschau Gesundheitsinformationen in Einfacher Sprache an. - Bild: W&B

Die Forschungskooperation der Wort & Bild Verlagsgruppe mit der Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim und dem deutschen KI-Unternehmen SUMM AI zeigt erste konkrete Ergebnisse:

Zum „Internationalen Tag der Leichten Sprache“ am 28. Mai 2024 veröffentlicht die Apotheken-Umschau auf ihrer Website erstmals Artikel, die mit dem gemeinsam entwickelten KI-Übersetzungswerkzeug, redaktioneller Bearbeitung und nach abschließender Prüfung durch die wissenschaftliche Redaktion des Verlags in leicht verständliche Sprache übertragen wurden.

So ist der Inhalt für Menschen mit eingeschränkter Sprachkompetenz verständlich und barrierefrei.

Stark nachgefragte Themen für Testphase, Transparenz durch klare Kennzeichnung

Die zehn ersten KI-übersetzten Texte umfassen Themen wie Borreliose, Posttraumatische Belastungsstörung (PTBS) oder Magersucht. Alle mit der SUMM AI-KI erstellten Texte werden als solche gekennzeichnet und erläutern im sogenannten Autorenprofil den Übersetzungsprozess.

Dennis Ballwieser
Dr. Dennis Ballwieser ist Geschäftsführer Wort & Bild Verlagsgruppe sowie Chefredakteur der Apotheken-Umschau. – Bild: W&B

KI erleichtert Aufbereitung für barrierefreie Gesundheitskommunikation

Dr. Dennis Ballwieser, Geschäftsführer Wort & Bild Verlagsgruppe und Chefredakteur:

Der heutige Tag gibt den Startschuss für ein Projekt, das uns seit langem am Herzen liegt und das durch die rasante Entwicklungen der Künstlichen Intelligenz nun richtig Fahrt aufnehmen wird: Unser neu entwickeltes KI-Tool wird ab sofort in unsere Redaktionsabläufe integriert und zeigt uns einen Weg auf, wie wir in naher Zukunft möglichst alle Gesundheitstexte in Einfacher Sprache anbieten können – in gewohnt hoher und wissenschaftlich erprobter Qualität.

Ziel: breiteres Angebot an Themen in Einfacher Sprache, Beibehaltung der Qualität

Im Redaktionsalltag bedeutet dies, dass die Artikel weiterhin in den Verlagsredaktionen auf qualitativ hohem Niveau und auf Grundlage der evidenzbasierten Medizin erarbeitet werden. Dann werden sie mit Hilfe der KI übersetzt, von den jeweiligen Sprach- und Fachexperten geprüft und erst daraufhin online gestellt.

Wie sich gezeigt hat, führt der KI-Einsatz zu einer massiven Zeitersparnis: Der komplette Publikationsprozess nimmt damit nur noch rund vier Stunden in Anspruch anstatt mehrerer Tage mit externen Dienstleistern im manuellen Prozess.

Ballwieser:

Die KI wird es uns ermöglichen, sehr viel mehr Texte in Einfacher Sprache in sehr viel kürzerer Zeit zu veröffentlichen – und das in gleichbleibend hoher Qualität.

Unsere Redaktion lernt dabei, wie man KI-Tools produktiv einsetzt, redaktionelle Prozesse um diese neue Technologie herum aufbaut und dabei Erfahrung darin erwirbt, wo menschliche Intelligenz und fachliche Kompetenz unersetzlich sind.

Unterstützung durch Forschungsstelle Leichte Sprache der Universität Hildesheim

Wissenschaftlich begleitet wird die Implementierung und das Voranschreiten der neuen Technologie von der Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim. Prof. Dr. Christiane Maaß, wissenschaftliche Leiterin Forschungsstelle Leichte Sprache:

Prof. Dr. Christiane Maaß
Prof. Dr. Christiane Maaß

Als Forschende interessieren wir uns für den Einsatz von KI-gestützten Übersetzungstools in der Erstellung von Texten in Leichte und Einfache Sprache. Es besteht hier ein enormes Potenzial. Die Interaktion zwischen Menschen und Maschinen verändert sich durch den Einsatz von künstlicher Intelligenz. Das hat große Auswirkungen auf die Art und Weise, wie Texte jeglicher Art zukünftig entstehen werden.

Wir als Forschende sind daran sehr interessiert, solche Prozesse zu untersuchen und zu begleiten. Wir sehen, wie Forschung hier in die Gesellschaft hineinwirken kann und zu mehr Verständlichkeit beiträgt.

Die Forschungsergebnisse aus dem Bereich Barrierefreie Kommunikation fließen unmittelbar in die redaktionellen Prozesse ein.

Die Forschungsstelle Leichte Sprache am Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation der Universität Hildesheim gibt es bereits seit 2014. Sie wird von Prof. Dr. Christiane Maaß geleitet. Sie ist auch Studiengangsleiterin des Masterstudiengangs „Barrierefreie Kommunikation“.

Erklärtes Ziel ist es, einen Beitrag zur Erforschung und Etablierung der Leichten Sprache und weiterer Formen der Barrierefreien Kommunikation zu leisten.

Übersetzungswerkzeug wurde von SUMM AI entwickelt

Das Münchner Startup-Unternehmen SUMM AI GmbH hat bereits ein KI-System entwickelt, das Textinhalte automatisch in Leichte Sprache vereinfacht. Diese innovative Technologie kommt deutschlandweit in diversen Kommunen zum Einsatz.

Das Technologie-Unternehmen wird sein KI-System für Einfache Sprache im Rahmen eines gemeinsamen Forschungs- und Entwicklungsprojekts mit der Universität Hildesheim und der Wort & Bild Verlagsgruppe weiterentwickeln. Dabei liegt der Fokus auf der Anpassung an leicht verständliche Texte im medizinischen Kontext und den individuellen Bedürfnissen verschiedener Zielgruppen.

Flora Geske, Geschäftsführerin und Mit-Gründerin der SUMM AI GmbH:

Unser Ziel ist es, dass verständliche und barrierefreie Informationen in der Breite zur Verfügung stehen, indem sie hochqualitativ und effizient mittels KI erstellt werden. Mit dem Produktiveinsatz des hier entwickelten KI-Tools für verständliche Gesundheitsinformationen kommen wir diesem Ziel einen entscheidenden Schritt näher.

Mit der Integration in die Redaktionsabläufe schaffen wir zudem wichtige Best Practices, wie KI-Tools schon heute jenseits von Prestigeprojekten Mehrwert in realen Arbeitsprozessen liefern.

SUMM AI wurde im April 2022 von drei Absolventen der TU München gegründet, die mit ihrer KI-Expertise aus Forschung und Praxis einen gesellschaftlichen Mehrwert erbringen möchten.

Ihr Tool übersetzt ähnlich wie „Google Translate“ auf Knopfdruck, aber statt in eine Fremdsprache in Leichte und Einfache Sprache.

Flora Geske
Flora Geske, Geschäftsführerin und Mitgründerin der SUMM AI GmbH. – Bild: SUMM AI

Apotheken-Umschau hat rund 17 Millionen Leser

In Deutschland haben über 10 Millionen Menschen Probleme, Texte zu verstehen – und noch sehr viel mehr Menschen haben Schwierigkeiten, Informationen zur Gesundheit, zu Krankheiten oder ärztlichen Behandlungen und Medikamenten so aufzunehmen, dass sie daraus den besten Nutzen für die eigene Gesundheit ziehen können.

Die Apotheken-Umschau mit ihren rund 17 Millionen Lesern (AWA 2024) und über sieben Millionen Unique Usern (agma digital daily facts 3/2023) hat es sich in ihrer fast 70-jährigen Geschichte zur Aufgabe gemacht, breite Bevölkerungsschichten in Sachen Gesundheit aufzuklären.

Hoher Bedarf an barrierefreier Gesundheitskommunikation

Das Gesundheitsmagazin arbeitet seit fast fünf Jahren daran, den hohen Bedarf nach barrierefreier Gesundheitskommunikation zu decken. So stellte sie als erstes deutschsprachiges Gesundheitsportal umfängliche Informationen rund um die Gesundheit in Einfacher Sprache zur Verfügung.

Die Informationen sind etwas komplexer gestaltet als Texte in Leichter Sprache. Sie richten sich an Menschen, die bei fachlichen, zum Beispiel medizinischen Texten Verständnisschwierigkeiten haben.

Die Umsetzung erfolgt seit 2019 in Zusammenarbeit mit der Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim und wurde auch gleich zu Beginn schon mit dem Siegel des europäischen Bildungsmedienpreises ComeniusEduMedia-Award 2020 ausgezeichnet.

Diese ganzen Erfahrungen fließen nun ein in das neue KI-Übersetzungstool, das ab 28. Mai 2024 erstmals zur Anwendung kommt und dann standardisiert im Redaktionsalltag eingesetzt werden soll.

Finanzielle Förderung durch Land Niedersachsen

Das Land Niedersachsen unterstützt seit Mai 2024 im Rahmen seines Förderprogramms „Zukunftsdiskurse“ das Forschungsprojekt „KI-GesKom“ (KI-gestützte Gesundheitskommunikation in Einfacher Sprache) mit rund 120.000 Euro. In dem Projekt kooperieren die Forschungsstelle Leichte Sprache an der Universität Hildesheim mit der Wort & Bild Verlagsgruppe, vertreten durch ihr auflagenstarkes Gesundheitsmagazin Apotheken-Umschau, und dem Startup-Unternehmen SUMM AI.

Das Projekt will die Grundlagenforschung zur maschinellen Übersetzung in Einfache Sprache mit Künstlicher Intelligenz vorantreiben. Der Fokus liegt auf der Verbesserung der Zugänglichkeit von Gesundheitsinformationen. Das Projekt fördert den Austausch von praxisnahem Wissen zwischen Wirtschaft, Wissenschaft und Technik und bietet einen direkten gesellschaftlichen Nutzen.

Unterschied zwischen Leichter und Einfacher Sprache

Die Begriffe Leichte Sprache und Einfache Sprache bezeichnen nicht dasselbe, obwohl es sich in beiden Fällen um eine verständlichere Variante der deutschen Standardsprache handelt.

Einfache Sprache

Bei der Einfachen Sprache handelt es sich um eine auf beliebige Weise moderat vereinfachte Form der Standardsprache. Dabei verzichtet man zum Beispiel auf Fremdwörter, Schachtelsätze, doppelte Verneinungen und den Konjunktiv. Es gibt dafür aber kein festes Regelwerk.

Zielgruppe sind zum Beispiel ältere Menschen, Personen mit geringer Schulbildung oder auch diejenigen, die die deutsche Sprache erst in Grundzügen beherrschen. So bemühen sich Behörden zunehmend, ihre Schreiben allgemeinverständlich zu formulieren, da diese von allen Bürgern verstanden werden müssen.

Leichte Sprache

Bei der Leichten Sprache wird die Komplexität der Standardsprache wesentlich stärker, nämlich größtmöglich reduziert. Und es gibt dafür klare Regeln, nach denen alle Eigenschaften von Texten, die Schwierigkeiten bereiten könnten, eliminiert werden.

So gibt es in der Leichten Sprache zum Beispiel

  • keinen Genitiv,
  • keine Nebensätze,
  • kein Präteritum und
  • keinen Konjunktiv.

Zielgruppe sind hier funktionale Analphabeten, Menschen mit einer schweren Lese- und Rechtschreibstörung oder einer geistigen Behinderung.

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red