Folgen des Outsourcing-Wahns in der Wirtschaft: Keine Terminologiearbeit, mangelndes Verständnis für Übersetzer

In der Übersetzer-Mailingliste U-Forum hat neulich ein als technischer Redakteur in einem Industrieunternehmen angestellter Diplom-Übersetzer geschildert, wie in seinem Unternehmen Übersetzungen nach außen vergeben werden und welches Image die externen Übersetzer unter der Belegschaft haben.

Erschreckend ist, wie im Zuge des Outsourcing-Wahns der letzten Jahrzehnte das übersetzerische Know-how innerhalb der Unternehmen verlorengegangen ist und daraus gravierende Missverständnisse in der Zusammenarbeit mit Einzelübersetzern und größeren Sprachdienstleistern resultieren. (Auch wenn seit einigen Jahren eine Trendumkehr erkennbar ist und wieder vermehrt Angestelltenstellen für Übersetzer angeboten werden.)

Nachfolgend die Darstellung des Kollegen, der verständlicherweise anonym bleiben möchte:

Wut
„Das liest sich komisch. Das ist doch kein korrektes Englisch!“

Ich möchte mal ein bisschen aus dem Nähkästchen plaudern, wie die Tätigkeit des Übersetzers bei uns in der Firma wahrgenommen wird.

Habe lange überlegt, ob ich euch diesen Einblick gewähren soll/darf. Ich denke schon, da ich niemanden beleidigen und namentlich erwähnen werde und glaube, dass dieser Einblick für den ein oder anderen durchaus interessant sein dürfte.

Ich selbst darf mich Diplom-Übersetzer nennen, arbeite aber seit mehreren Jahren in Festanstellung als technischer Redakteur. Mein Arbeitgeber ist ein sehr erfolgreiches mittelständisches Unternehmen, dessen Hauptprodukt ein absolutes Nischenprodukt ist und daher weder weitläufig bekannt noch leicht zu verstehen ist.

Bevor ich euch nun schildere, wie es um das Ansehen des Übersetzers bei uns bestellt ist, muss ich etwas ausholen, damit klar wird, wo wir herkommen und warum wir da sind, wo wir jetzt sind.

Früher gab es Übersetzungsabteilungen innerhalb der Unternehmen

Vor vielen Jahren hatten wir im Unternehmen eine eigene kleine Übersetzungsabteilung mit vier Übersetzern, die angefangen bei geschäflicher Korrespondenz über Verträge bis hin zu Flyern und Betriebsanleitungen so ziemlich alles übersetzt haben. Nebenbei wurden Glossare erstellt und auch mal für Kunden gedolmetscht.

Ich selbst war nicht Teil dieser Abteilung, kenne aber die später erwähnte Kollegin sehr gut. Nach dem biologisch bedingten Ausscheiden von drei dieser vier Kollegen wurden diese Stellen nicht nachbesetzt, so dass am Ende eine sehr geschätzte Kollegin übrig blieb, die bis vor ein paar Jahren die alleinige übersetzerische Anlaufstelle für mehrere Tausend Mitarbeiter war.

Verständlicherweise verlagerte sich ihre Tätigkeit immer mehr zur reinen Koordination und Vergabe an externe Übersetzer, da weder Zeit, Auftragsvolumen noch der Vorgesetzte eigenes Übersetzen zugelassen haben.

Outsourcing um jeden Preis

Outsourcing war der Vorgesetzten neues Lieblingswort. Denn warum selbst übersetzen, wenn es dafür Dienstleister gibt, denen man bequem den schwarzen Peter zuschieben kann, wenn mal eine vermeintlich falsche Übersetzung abgeliefert wird? „Sie schauen dann halt mal schnell drüber, ob alles passt, Frau XYZ“, hieß es fortan und immer öfter.

Das Übersetzungsvolumen nahm stetig zu und so wuchs der Stamm an Übersetzern (sowohl Freelancer als auch Agenturen) immer weiter an. Für die wichtige Pflege und den Ausbau der Glossare blieb fortan keine Zeit mehr.

Terminologie wird intern nicht abgestimmt, Übersetzungsfehler nehmen zu

So war es dann auch nicht verwunderlich, dass sich bei der immer größer werdenden Anzahl an teilweise sehr komplizierten Fachtexten Fehler in den Übersetzungen einschlichen, die aufgrund der immer kürzeren Deadlines von der Kollegin nicht alle erkannt wurden. Fachtermini wurden in verschiedenen Dokumenten plötzlich nicht mehr konsistent übersetzt und man gab der Kollegin die Schuld dafür.

Vom völlig desinteressierten Vorgesetzten (kein Übersetzer) wurde der Druck ungefiltert an sie weitergegeben und auf Geheiß von eben diesem wurden bei Fehlern die Übersetzer einfach durch neue ersetzt: „Ist doch alles kein Problem, es gibt ja genug, schauen Sie doch mal ins Internet.“ Kurzum, es wurde alles immer schlimmer, die Stimmung immer schlechter und die Fehler nahmen zu.

Frust

Translation-Memory-System? Nein danke

Die von mir vorgeschlagene Einführung eines Translation-Memory-Systems zur Sicherung konsistenter Übersetzungen und Fachbegriffe mit einhergehender Kosten- und Zeitersparnis wurde damals mit den Worten „aber da würden wir ja mit Kanonen auf Spatzen schießen“ als Spinnerei abgetan und abgewiesen.

Als nun vor ein paar Jahren der Renteneintritt dieser Kollegin immer näher rückte, entschied man sich, auch diese Stelle nicht neu zu besetzen. Warum auch? Die zu übersetzenden Texte könne man doch schließlich gleich direkt zum Übersetzer schicken, da brauchen wir doch niemanden, der das koordiniert. Und dabei sparen wir uns eine Stelle. Toll! Gesagt, getan.

Und so schicken heute mehrere Tausend Mitarbeiter ihre selbstverfassten, teils schon im Deutschen schlechten Texte kreuz und quer zum Übersetzen und wundern sich, warum (für mich völlig verständlich) manchmal fehlerhafte Übersetzungen dabei herauskommen. Und somit sind wir in der Gegenwart.

Die Situation heute

Ich sitze in einem Großraumbüro, das sich mehrere Abteilungen teilen. Es ist sehr laut, mir wäre ein kleineres Büro lieber. Aber so bekomme ich doch einiges mit. Gerade beim Thema Übersetzungen höre ich dann schon mal genauer hin. Auch beim Essen oder über den Flurfunk erfährt man einiges.

So, und wie ist es nun um den Ruf des Übersetzers bei uns bestellt? Nicht gut, leider. Das liegt aber größtenteils nicht an den Übersetzern, sondern an uns, den Auftraggebern.

Wobei ich meine direkten Kollegen in der technischen Dokumentation und mich ausschließen möchte, ja ausschließen muss. Bei uns läuft es nämlich gut. Wir sind zufrieden mit unseren Übersetzern. Wie kann das denn sein? Weil wir selbst eine Menge dafür tun, dass am Ende des Tages eine vernünftige Übersetzung herauskommt:

  • Wir sind stets bemüht, gleiche Komponenten und Bauteile in unseren Dokumenten gleich zu benennen.
  • Wir erstellen Glossare, die unseren Übersetzern sozusagen in Echtzeit zur Verfügung stehen, da die Übersetzer an unser TMS angeschlossen sind (mittlerweile haben wir eins).
  • Wir haben einen Redaktionsleitfaden, an den wir uns auch meistens halten.
  • Wir sind stets bemüht, verständliches Deutsch zu schreiben und klären einen schwierigen Sachverhalt schon im Vorfeld mit den Übersetzern.
  • Wir nehmen Rückfragen seitens der Übersetzer zum Anlass, unsere Texte zu hinterfragen und zu verbessern.
  • Wir setzen vernünftige Deadlines und wissen auch, dass eine gute Übersetzung ihr Geld wert ist.

Und uns ist völlig klar, dass es bei unserem Nischenprodukt wahrscheinlich keinen Übersetzer gibt, der das alles zu 100 % versteht, was wir da schreiben. Sollte es den geben, dann sollten wir ihn schnellstmöglich einstellen. Nun aber genug des Selbstlobes.

Wie läuft es in anderen Abteilungen?

Kollege XY verfasst einen deutschen Text. Genauer gesagt, was er halt unter Deutsch versteht. Inkonsistente Verwendung und Schreibweise von Fachbegriffen, komplizierte Satzkonstrukte, die er nach dem dritten Durchlesen selbst nicht mehr versteht und interne Abkürzungen, die kein Externer kennt.

Und genau diesen Text schickt er nun zum Übersetzen und ist erstaunt, dass er die zwanzig Seiten nicht morgen schon zurückbekommt. Nach etwas Verhandeln mit dem Übersetzer einigt man sich dann auf einen in den Augen des Kollegen immer noch zu großzügigen Abgabetermin. In freudiger Erwartung der Übersetzung ist die Enttäuschung dann groß, wenn die Übersetzung zurückkommt und man die erwarteten Fachbegriffe nicht durchgängig wiederfindet.

Denglisch statt Englisch

Auch scheint das Englisch nicht gut zu sein, zu viele Wörter und grammatische Konstruktionen, die man im zweiwöchigen Urlaub oder auf Dienstreise beim abendlichen Bier noch nie gehört hat. Da war doch nicht etwa der Google Translator im Spiel?

Empört über die schlechte Qualität wird dann auf den Übersetzer geschimpft und wild ausgebessert, so dass am Ende ein schöner denglischer Text auf unserer Website oder sonst wo veröffentlicht wird, der von den deutschen Kollegen aufs höchste gelobt wird. Schließlich erkennt man sein eigenes, erst kürzlich in einer Videokonferenz runderneuertes Denglisch wieder.

Auftraggeber an mangelnder Übersetzungsqualität oft selbst schuld

Oft spreche ich die schimpfenden Kollegen an, erkläre ihnen, dass sie an der angeblich schlechten Übersetzung zum Großteil selbst schuld sind:

– „Wieso denn das? Ich dachte, der Übersetzer kann Englisch.“
– „Kann er ja. – Aber du kein Deutsch und schon gar nicht Englisch.“
– „Und die Fachbegriffe müssten ihm doch bekannt sein.“
– „Wenn du sie durchgängig konsistent im Ausgangstext verwendet hättest und ihm ein kleines Glossar mitgeschickt hättest, dann ja.“
– „Ach so, ich dachte die verwenden euer Glossar aus der technischen Doku.“
– „Ja, tun sie ja auch, aber da stehen die für uns wichtigen Termini drin, nicht deine.“
– „Ja warum denn nicht?“
– „Weil wir keine zentrale Anlaufstelle für Übersetzungen mehr haben und auch keinen Terminologen.“
– „Termi was?“
– „Egal, erklär ich dir ein andermal.“
– „Aber jetzt schau mal hier, das ist doch kein korrektes Englisch!“
– „Warum?“
– „Na das liest sich komisch.“
– „Komisch ist keine Begründung. Was genau ist falsch?“
– „Man, mit dir kann man da nicht drüber reden. Du verteidigst deine Übersetzerkollegen doch nur.“

So oder so ähnlich laufen dann die Diskussionen. Dieses arrogante Getue nervt. Ständig zu meinen, das eigene Englisch wäre das beste und alle Übersetzer sind Vollidioten. Und selbst nichts für eine gute Übersetzung tun.

Man wechselt die Sprachdienstleister wie die Hemden

Besonders ärgerlich ist, wenn unser Übersetzungsdienstleister, den wir in der technischen Doku beauftragen und mit dem wir voll zufrieden sind, von anderen in Frage gestellt wird, die ihn auf unsere Empfehlung hin auch beauftragt haben:

– „Ihr habt doch gesagt, die sind gut.“
– „Ja, sind sie auch.“
– „Aber schau, hier haben sie falsch übersetzt. Unser gängiges Wort ist doch …“
– „Aha, und woher sollen die das wissen?“
– „Ja dachte, das sind professionelle Übersetzer?“
– „Ja, aber keine Hellseher.“
– „Ach so, ich dachte die verwenden euer Glossar aus der technischen Doku.“
– „Ja, tun sie ja auch, aber da stehen nur die für uns wichtigen Termini drin, nicht deine.“
– „Ja, warum denn nicht?“
– „Weil wir keine zentrale Anlaufstelle für Übersetzungen mehr haben und auch keinen Terminologen.“
– „Termi was?“
– „Egal, erklär ich dir ein ander Mal.“
– „Das geht so nicht, vielleicht müssen wir uns nach einem neuen Dienstleister umsehen.“

Mangelndes Verständnis für die Arbeit der Übersetzer

  • Den meisten Mitarbeitern in Unternehmen ist nicht ansatzweise klar, welche intellektuellen Herausforderungen an Übersetzer gestellt werden.
  • Den meisten ist nicht ansatzweise klar, dass sie selbst einen großen Einfluss auf die spätere Übersetzungsqualität haben.
  • Den meisten ist nicht ansatzweise klar, dass sie durch ihre Arroganz sprachlich einwandfreie Übersetzungen richtig schlecht machen, was dann auf den Übersetzer zurückfällt.
  • Den meisten ist nicht ansatzweise klar, dass ein externer Übersetzer nicht das interne Fachwissen haben kann und somit Fehler unvermeidbar sind.
  • Vielen Entscheidungsträgern ist nicht ansatzweise klar, dass eine zentrale Anlaufstelle für Übersetzungen Gold wert ist.
  • Vielen Entscheidungsträgern ist nicht ansatzweise klar, dass abteilungsübergreifende Terminolgiearbeit extrem wichtig ist.
  • Vielen Entscheidungsträgern ist nicht ansatzweise klar, dass es auf Dauer billiger und besser wäre, wieder Übersetzer einzustellen und nicht alles extern zu vergeben.

Aber woher sollen sie es auch wissen? Es handelt sich ja um übersetzungstechnische Laien, die nur Einsparungen und Zahlen im Kopf haben und lieber den Dienstleister nach Belieben austauschen, anstatt interne, nachhaltige Veränderungen herbeizuführen. Und auf Profis zu hören, die von der Sache was verstehen, geht natürlich gar nicht. Der Prophet gilt schließlich nichts im eigenen Lande.

So, nun bin ich am Ende angekommen. Ein bisschen Frustbewältigung war sicher auch dabei. Ich hoffe aber, dass es für den einen oder die andere interessant war und sich vielleicht Schlüsse daraus ziehen lassen, wie man als Übersetzer zukünftig mit seinen Kunden bei Reklamationen umgehen könnte.

[Text: Anonym, Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Quelle: Mailingliste U-Forum, 2013-07-25. Bild: olly / Fotolia.de, alphaspirit / Fotolia.de.]