Studie: Zweisprachigkeit verfeinert das Gehör

Wer zweisprachig aufwächst, kann nicht nur vielseitiger kommunizieren, sondern schult auch sein Gehör. Bilingualen Menschen fällt es leichter, Klangfarben menschlicher Sprache von Störgeräuschen zu unterscheiden. Zu diesem Ergebnis sind US-amerikanische Forscher von der Northwestern University in Evanston auf Grundlage eines Experiments gelangt.

Die Wissenschaftler untersuchten die Hörfähigkeit von 23 mit Englisch und Spanisch aufgewachsenen Jugendlichen und 25 Altersgenossen, die lediglich Englisch sprechen. Im ersten Teil des Experiments hörten die Teilnehmer mehr als 6.000 Mal in unterschiedlichen Abständen die Silbe „da“ über einen Kopfhörer. Über Elektroden zeichneten die Forscher das typische Hirnstrommuster der am Hören beteiligten primitiveren Hirnbereiche auf.

Der zweite Teil des Versuchs bestand darin, dass diese Silbe erneut eingespielt wurde – einmal ohne Störgeräusche, einmal inmitten eines Stimmengewirrs von weiblichen und männlichen Sprechern, die sinnlose englische Sätze durcheinanderredeten. Über Elektroden registrierten die Forscher, wie oft und wie gut oder schlecht die untersuchten Gehirnbereiche der Jugendlichen unter diesen erschwerten Bedingungen noch auf die Silbe reagierten.

Das Resultat: „Der Hirnstamm der zweisprachigen Teenager reagierte deutlicher auf den Schlüsselreiz in Form der Silbe als jener der einsprachigen“, berichtet Nina Kraus (Bild rechts), die Studienleiterin. Diese Fähigkeit gehe über die bislang bekannten Folgen der Zweisprachigkeit hinaus, da sie auf einer effektiveren Verarbeitung von Lauten im Hirnstamm, dem primitivsten Hirnteil, beruhe, erklärt das Forscherteam um Kraus im Fachmagazin Proceedings of the National Academy of Sciences. Bis dato war eine derartige Hörfähigkeit nur bei Profimusikern bekannt. Besonders ausgeprägt sei dieser Unterschied während des Stimmengewirrs gewesen. „Die größere Erfahrung mit verschiedenen Klängen hat das Hörsystem der Zweisprachigen effektiver, fokussierter und flexibler gemacht, es arbeitet daher vor allem unter schwierigen Bedingungen besser“, so Kraus.

„Zweisprachige Menschen sind natürliche Jongleure“, erklärt sie. Das Gehirn von bilingualen Menschen jongliere ständig mit verschiedenen sprachlichen Reizen. Ein Synergieeffekt sei eine größere Aufmerksamkeit für relevante gegenüber nicht relevanten Geräuschen. Wer von Kindheit an zwei Sprachen lernt, muss stets die Klänge zweier Sprachen erkennen und differenzieren. Dies führe offensichtlich dazu, dass das Gehirn aufmerksamer für alle sprachtypischen Reize werde. Dadurch werde also die Fähigkeit geschult, den Klang menschlicher Sprache aus der Umgebung herauszupicken.

Es handelt sich um keine neue Erkenntnis, dass sich die Zentren für die Sprachverarbeitung und das Gedächtnis in der Großhirnrinde von Menschen verändern, wenn sie eine bilinguale Erziehung genießen. Die Neuheit bestehe nun jedoch darin, dass sich diese neuronale Spezialisierung ferner auf untergeordnete, grundlegendere Fähigkeiten und auf Gehirnbereiche erstrecke.

Interessant wäre es des Weiteren, zum einen der Frage nachzugehen, ob dieser Effekt auch eintritt, wenn nicht in der Kindheit, sondern später weitere Fremsprachen erlernt werden. Zum anderen wäre es sicherlich spannend, herauszufinden, ob es Zweisprachigen leichter fällt, simultan zu dolmetschen, als Personen, die eine oder weitere Fremdsprachen erst in der Schule oder im Studium erlernt haben.

[Text: Jessica Antosik. Quelle: welt.de, 01.05.2012. Bild: communication.northwestern.edu.]