Die Kosten für Dolmetscher in den zehn Gefängnissen des Bundeslandes Rheinland-Pfalz haben sich innerhalb von fünf Jahren annähernd verzwölffacht. Das geht aus einer Antwort des Justizministeriums auf eine Große Anfrage der CDU-Landtagsfraktion zur Situation im Strafvollzug hervor.
Dazu erklärt der stellvertretende Vorsitzende der CDU-Landtagsfraktion, Christian Baldauf:
In allen Justizvollzugseinrichtungen ist eine deutliche Zunahme an Gefangenen festzustellen, die sich in der deutschen Sprache oder einer anderen gängigen europäischen Sprache nicht ausreichend verständigen können.
Waren es im Jahr 2012 noch 6.654,81 Euro landesweite Kosten für Dolmetscherleistungen, so stieg diese Zahl im Jahr 2016 auf 84.662,09 Euro an.
Kostensenkung durch Ferndolmetschen per Video?
„Nach ihren Angaben in der Beantwortung unserer Großen Anfrage prüft die Landesregierung zurzeit, ob der Einsatz des in der Justiz vorhandenen Videokonferenzsystems für Übersetzungszwecke möglich ist“, so Baldauf. Im Jahr 2010 waren alle Gefängnisse mit Videokonferenzsystemen ausgestattet worden, die aber offenbar bisher nur von der Verwaltung genutzt werden. (Siehe Link zu Uepo-Artikel ganz unten.)
Gesamtkosten immer noch relativ gering – Tendenz aber erschreckend
Kaum zu glauben, dass in einem Bundesland mit immerhin 4 Millionen Einwohnern und rund 3.600 Haftplätzen 2012 landesweit in allen Gefängnissen zusammengenommen nur 6.654 Euro für Dolmetscher ausgegeben wurden. Auch die 84.662 Euro für das Jahr 2016 erscheinen vergleichsweise gering, hält man sich vor Augen, dass alleine die Stadtverwaltung Rostock im vergangenen Jahr 433.018 Euro für Dolmetscher und Übersetzer ausgegeben hat.
In der JVA Frankenthal sitzen 439 Straftäter ihre Haftstrafen ab. 2016 fielen dort Dolmetschkosten von 3.985 Euro an – das sind lediglich 9,07 Euro pro Knacki und Jahr. Im mit 900 Haftplätzen landesweit größten Gefängnis Wittlich sind es mit 25.464 Euro (28 Euro pro Häftling) zwar dreimal soviel, aber was sind 25.464 Euro im Vergleich zu den Gesamtbetriebskosten der Einrichtung?
Zahlen unvollständig?
Man könnte vermuten, dass die Zahlen unvollständig sind. In einer industriell geprägten Großstadt wie Ludwigshafen mit hohem Ausländeranteil soll in den vergangenen fünf Jahren im Knast kein einziger Cent für Dolmetscher angefallen sein? Das ist möglich, denn die JVA Ludwigshafen ist keine gewöhnliche Strafanstalt, sondern eine sozialtherapeutische Einrichtung. Auch Schifferstadt ist ein Sonderfall, dort werden ausschließlich Jugendliche betreut (Jugendstrafanstalt, JSA).
Löwenanteil der Dolmetschkosten entsteht bei Gerichten und Polizei
Die auf den ersten Blick überraschend niedrigen Zahlen lassen sich plausibel erklären: Der weitaus größte Teil der Dolmetscherkosten im Verlauf einer Verbrecherkarriere entsteht bei den Gerichtsverhandlungen. Ein etwas geringerer Anteil entfällt auf die vorangehende Ermittlungsarbeit und polizeiliche Vernehmung.
Während der Haft selbst gibt es dann kaum noch etwas zu dolmetschen: Das Interesse von Strafverfolgungsbehörden und Justiz ist erloschen. Die Gefangenen bleiben sich selbst überlassen. Ob sie sich untereinander verständigen können, ist dem Staat egal. Im Zweifel gilt das Recht des Stärkeren.
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Richard Schneider