Der Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft der Universität Mainz in Germersheim (FTSK Germersheim) kann dieses Jahr sein 70-jähriges Bestehen feiern. Aus diesem Anlass fand am 07.07.2017 im Audimax ein zweistündiger Festakt statt.
Prof. Dr. Michael Schreiber begrüßte als Dekan des Fachbereichs die zahlreich erschienenen Gäste und vermittelte einige Rück- und Ausblicke auf die Entwicklung des weltweit größten universitären Instituts zur wissenschaftlichen Ausbildung von Dolmetschern und Übersetzern.
Nachfolgend die Ansprache des Dekans im Wortlaut:
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Begrüßung – Rückblick – Ausblick
Ich möchte im Rahmen meiner kurzen Begrüßung keine umfangreiche historische Abhandlung präsentieren, jedoch einige Schlaglichter auf die Entstehungszeit werfen und kurz auf die heutige Situation und die vor uns liegenden Herausforderungen eingehen.
Rückblick
Für die frühen Jahre hat Peter Schunck, einer meiner Vorgänger als Dekan, hochinteressante Dokumente zusammengetragen und ausgewertet, auf die ich mich im Folgenden stütze.
Die Dolmetscher-Hochschule in Germersheim wurde Anfang 1947 von den französischen Besatzungsbehörden gegründet. Bereits im Dezember 1946 gab Raymond Schmittlein, der in der französischen Besatzungszone für das Bildungswesen zuständig war, eine Pressemitteilung heraus, die folgendermaßen begann:
Eröffnung einer Staatlichen Dolmetscher-Hochschule in Gemersheim-am-Rhein
In Germersheim wird im Januar 1947 eine Dolmetscherschule eröffnet. Die Dolmetscherschule Germersheim, die unter dem Protektorat den Universitäten Freiburg i. B., Mainz und Tübingen steht, wird das einzige Institut dieser Art in der französischen Besatzungszone sein. Sie ist den Universitäten und sonstigen Hochschulen grundsätzlich gleichgestellt.
Ihre Aufgabe besteht in der Ausbildung hochqualifizierter Übersetzer und Handelskorrespondenten, bzw. Dolmetscher, die nach Abschluß ihres Studiums einen freien Beruf ergreifen oder in eine Beamtenlaufbahn übergehen können. […]
Die Dolmetscherhochschule Germersheim wird ein Institut von der Art eines englischen College sein. Der größte Teil der Studierenden kann in der Hochschule selbst untergebracht und verpflegt werden. […] Gelehrt werden zunächst Französisch, Englisch und Russisch als Haupt- und Nebensprachen, Spanisch und Italienisch nur als Nebensprache.
(Peter Schunck: Dokumente zur Geschichte der Dolmetscherhochschule Germersheim aus den Jahren 1946-1949. Mainz 1997, S.55)
Die kleine Stadt Germersheim mit damals nur etwas mehr 4.000 Einwohnern war als Sitz der Hochschule u.a. deshalb ausgewählt worden, weil es dort ein gut geeignetes Gebäude gab, die ehemalige Seyssel-Kaserne, ein Teil der Germersheimer Festungsanlagen aus dem 19. Jahrhundert.
Zu den besonders interessanten Dokumenten der Gründerzeit zählt ein Bericht eines Mainzer Professors für Volkswirtschaft, Montaner, der in Germersheim das Ergänzungsfach Wirtschaft unterrichtete, und den französischen Besatzungsbehörden seine Einschätzung über die Unterschiede zwischen den Mainzer und Germersheimer Studierenden mitteilte:
Vergleich der Studierenden von Mainz und Germersheim
– Die Germersheimer Studenten haben sich ein klares Ziel gesetzt und unternehmen alle Anstrengungen, um es zu erreichen; allzuviele Mainzer Studenten studieren ohne Berufung und nur aus dem Grund, weil sie keine bessere Verwendung für ihre Zeit und ihr Geld haben.
– Die Studenten leben in Germersheim im Internat und können sich ausschließlich ihren Studien widmen; die Mainzer Studenten sind dagegen der Versuchung von Zerstreuungen ausgesetzt und müssen zum großen Teil zusätzlich arbeiten, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen;
– Die Studenten von Germersheim sind besser ernährt als die von Mainz. […]
(Peter Schunck: Dokumente zur Geschichte der Dolmetscherhochschule Germersheim aus den Jahren 1946-1949. Mainz 1997, S.117)
Trotz dieser nicht ganz unerheblichen Unterschiede zwischen den Germersheimer und Mainzer Studierenden wurde die Germersheimer Dolmetscherhochschule im November 1949 der Universität Mainz angegliedert, allerdings mit einer gewissen Selbständigkeit, wie aus den Dokumenten hervorgeht:
Die Staatliche Dolmetscherhochschule Germersheim wird mit dem Namen AUSLANDS- UND DOLMETSCHERINSTITUT DER UNIVERSITÄT MAINZ IN GERMERSHEIM als selbständiges Institut an die Universität Mainz angegliedert. Die Selbständigkeit des Instituts besteht darin, daß es
1.) einen eigenen, von dem Haushalt der Universität Mainz unabhängigen Haushalt hat,
2.) den Lehrplan nach eigenem Ermessen aufstellen kann,
3.) seine pädagogische Eigenart wahrt.
(Peter Schunck: Dokumente zur Geschichte der Dolmetscherhochschule Germersheim aus den Jahren 1946-1949. Mainz 1997, S.150)
Die besondere Atmosphäre der Gründerjahre war aber auch sehr stark von dem Internatscharakter des Instituts geprägt. Ein Teil des heutigen Altbaus diente als Wohnheim. In den 1950er Jahren wurden dann das so genannte neue Wohnheim auf dem Campus errichtet.
Soweit ein Blick auf die heroischen Anfangsjahre. Die weitere Entwicklung werde ich nur ganz kurz streifen. Nicht uninteressant ist z. B. ein Blick auf die zahlreichen Umbenennungen, die Außenstehen möglicherweise rätselhaft erscheinen:
Umbenennungen
- 1947: Staatliche Dolmetscher-Hochschule
- 1949: Auslands- und Dolmetscherinstitut der Universität Mainz (ADI)
- 1972: Fachbereich Angewandte Sprachwissenschaft (FAS), (Fachbereich 23)
- 1992: Fachbereich Angewandte Sprach- und Kulturwissenschaft (FASK), (ab 2005: Fachbereich 06)
- 2009: Fachbereich Translations-, Sprach- und Kulturwissenschaft (FTSK)
Die ersten beiden Namen haben wir bereits kennen gelernt. 1972 wurde das Institut zu einem eigenen Fachbereich der Universität Mainz aufgewertet, zunächst Fachbereich 23, seit 2005 Fachbereich 06.
Die Umbenennungen der letzten Jahrzehnte waren nicht nur institutionell, sondern auch fachlich begründet. Die Lehre vom Übersetzen und Dolmetschen galt in den 1970er Jahren noch als Teil der Sprachwissenschaft, daher der Name „Angewandte Sprachwissenschaft“, später wurde immer stärker betont, dass Übersetzer und Dolmetscher nicht nur Sprachmittler, sondern immer auch Kulturmittler sind, was die Kulturwissenschaft in den Namen des Fachbereichs beförderte. In jüngerer Zeit hat sich auch die Translationswissenschaft immer mehr als eigenständige wissenschaftliche Disziplin etabliert, wodurch auch sie in den Namen aufrückte. Translation dient dabei als Oberbegriff für Übersetzen und Dolmetschen.
Dass bei der letzten Umbenennung das Adjektiv „Angewandte“ wegfiel, ist übrigens kein Zufall, denn schließlich wird hier im Hause nicht nur angewandte Wissenschaft betrieben, sondern auch Grundlagenforschung, und zwar sowohl in theoretischer als auch in empirischer und historischer Hinsicht.
Das Studium war Jahrzehnte lang durch die Studiengänge Diplom-Übersetzer und Diplom-Dolmetscher geprägt. Seit dem Jahr 2006 haben wir Bachelor- und Master-Studiengänge. Neben dem grundlegenden Bachelorstudiengang „Sprache, Kultur, Translation“ bieten wir zwei Masterstudiengänge an: den MA Konferenzdolmetschen und den MA Translation, in dem man sich im Wahlpflichtbereich auf unterschiedliche Formen des Übersetzens und z. T. Dolmetschens spezialisieren kann.
In Germersheim können heute 13 Sprachen studiert werden
Je nach Studiengang bzw. Sprachkombination können aus unserem aktuellen Sprachangebot von 13 Studiensprachen gewählt werden: Arabisch, Chinesisch, Deutsch (als Fremdsprache), Englisch, Französisch, Italienisch, Neugriechisch, Niederländisch, Polnisch, Portugiesisch, Russisch, Spanisch, Türkisch (bisher nur als Grundsprache, d.h. Muttersprache). Hinzu kommen Sprachkurse zu verschiedenen Sprachen an unserem Sprachenzentrum.
Studierendenzahlen wegen Umstellung auf BA/MA-Abschlüsse rückläufig
Hier noch ein Blick auf die aktuellen Studierendenzahlen
- BA-Abschluss: 804
- MA Translation: 513
- MA Konferenzdolmetschen: 105
- Promotion: 99
- Austausch: 81
Insgesamt sind es derzeit also etwa 1.600 Studierende, davon ca. 500, also fast ein Drittel, aus dem Ausland (zur Zeit aus ca. 65 Ländern).
Ausblick
Wir haben in den letzten Jahren einen Rückgang der Studierendenzahlen zu verzeichnen. Dieser hat unterschiedliche Gründe: Wir haben z. B. inzwischen keine Studierende in den Diplomstudiengängen mehr. Außerdem ist die Verweildauer der Studierenden am Fachbereich geringer als früher, da nicht alle Bachelor-AbsolventInnen einen Master anschließen, und dann auch nicht unbedingt in Germersheim.
Außerdem fragen sich vielleicht auch einige Studieninteressierte, wie es um die Zukunft von Übersetzern und Dolmetschern bestellt ist. Ich bin zuversichtlich, dass AbsolventInnen unserer Studiengänge auch in Zukunft gute Berufsaussichten haben werden.
Allerdings befinden sich die Berufsfelder aufgrund der zunehmenden Digitalisierung in einer Umbruchphase. Bereits heute arbeiten einige unserer Absolventen nicht nur in den klassischen Berufsfeldern des Fachübersetzens und Konferenzdolmetschens, sondern u. a. in Bereichen wie Projektmanagement, Post-editing (d. h. Korrektur maschinell übersetzter Texte), Übersetzung und Lokalisierung von Videospielen, Fachdolmetschen im sozialen und medizinischen Bereich, interkulturelles Training usw. usf.
Zu den meisten dieser Tätigkeiten bieten wir bereits jetzt einzelne Lehrveranstaltungen, Wahlpflichtmodule oder Studienschwerpunkte an. Wir werden im Rahmen der derzeit laufenden Strukturplanungen jedoch auch die Frage stellen müssen, wie wir diese und andere Tätigkeitsbereiche verbindlicher in unser Studienangebot integrieren können, evtl. auch durch die Einführung neuer Studiengänge. Dies wird sicher eine spannende Aufgabe, vor allem vor dem Hintergrund der angespannten Haushaltslage.
Da das Thema Haushalt jedoch kein erbauliches Thema für einen Festakt ist, möchte ich an dieser Stelle schließen, allerdings nicht ohne noch einige Dankesworte loszuwerden:
Für die Unterstützung dieser Veranstaltung danke ich der Stadt Germersheim, dem Freundeskreis des Fachbereichs sowie der Musikschule und Musikakademie. Ein besonderes Dankeschön geht an die Referenten des heutigen Festaktes sowie an unsere Öffentlichkeitsbeauftragte, Frau Dr. Doris Kinne, die die Organisation der heutigen Veranstaltung koordiniert hat.
Kurzbiographie Prof. Dr. Michael Schreiber
- Geboren 1962 in Fritzlar. Verheiratet, zwei Kinder.
- Übersetzerdiplom (1988) und Promotion (1993) in Germersheim. Habilitation (1998) in Heidelberg. Vertretung von Professuren in Stuttgart, Graz und Innsbruck. Professor für Französische Sprach- und Übersetzungswissenschaft an der FH Köln (2004-2005).
- Seit Wintersemester 2005/2006: Professor für Französische und Italienische Sprach- und Übersetzungswissenschaft am Fachbereich 06 der Universität Mainz in Germersheim.
- Gastprofessuren/-dozenturen an den Universitäten Montpellier, Triest, Gent und Antwerpen.
- Vertreter des FTSK Germersheim im Transforum (Koordinierungsausschuss Praxis und Lehre im Bereich Übersetzen und Dolmetschen).
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Weiterführender Link
[Text: Prof. Dr. Michael Schreiber. Wiedergabe mit freundlicher Genehmigung. Bild: FTSK Germersheim. Die historischen Aufnahmen stammen aus: „20 Jahre A.D.I. Germersheim“, herausgegeben vom Bund der Germersheimer e. V. aus Anlass des Jubiläums am 20. Januar 1967, eingescannt von Richard Schneider.]