Olympia: Dolmetschpanne bei Eröffnung – DasErste ist überrascht, dass Südkoreas Präsident Koreanisch spricht

Olympia 2018, Moon Jae-in
Südkoreas Präsident Moon Jae-in bei der Eröffnung der olympischen Winterspiele. Was er dabei sagte, wissen wir nicht. DasErste hatte vergessen, einen Koreanisch-Dolmetscher zu bestellen. Links oben ist Bundespräsident Steinmeier zu sehen.

Wie konnte das nur passieren? Das fragten sich viele Zuschauer am frühen Nachmittag des 9. Februars 2018 bei der Direktübertragung der Eröffnungsfeier für die Olympischen Winterspiele im koreanischen Pyeongchang. DasErste übertrug die weltweit beachtete Veranstaltung in einer Sondersendung der Sportschau. Was war geschehen? Warum herrschte auf Twitter helle Aufregung?

Nach einem eineinhalbstündigen, farbenfrohen Spektakel mit beeindruckenden, digital per Mobilfunk gesteuerten Licht-Effekten („5G-Technologie“, wie stolz verkündet wurde) hält der Vorsitzende des nationalen Organisationskomitees, Lee Hee-beom, eine längere Ansprache – auf Koreanisch.

Sportschau hatte nur einen Dolmetscher für Englisch und Französisch bestellt

In der Kabine im Studio saß der renommierte, in der Sprachmittlerbranche bekannte und oft im Fernsehen zu hörende Simultandolmetscher Jürgen Stähle. Dieser hatte offenbar eine Rede auf Englisch oder Französisch erwartet. Einen Dolmetscher für die koreanische Sprache hatte DasErste fahrlässigerweise gar nicht erst aufgeboten, wie sich herausstellen sollte.

Stähle ist überrascht, dass Lee Hee-beom Koreanisch spricht, lässt sich das aber zunächst nicht anmerken. Erst stellt er noch sein in jahrzehntelanger Übung erworbenes Improvisationstalent unter Beweis und sagt voller Überzeugung, aber vermutlich frei erfunden:

Verehrte First Lady der Republik Korea, Herr IOC-Präsident Thomas Bach und liebe Mitglieder der weltweiten olympischen Familie! Exzellenzen, Majestäten, königliche Hoheiten! Liebe Athleten und Offizielle aus den teilnehmenden NOKs, liebe Zuschauer, meine Damen und Herren. Wie schön, euch alle hier zu sehen und zu begrüßen.

Nach diesen Begrüßungsfloskeln war der Dolmetscher mit seinem Latein allerdings am Ende. Der genau fünfminütigen Rede des Olympia-Funktionärs mussten die deutschen Zuschauer im koreanischen Originalton lauschen.

Und dann wird auch noch Pyeongchang mit Pjöngjang verwechselt

Vorsitzender des OK
Lee Hee-beom leitet das südkoreanische olympische Organisationskomitee. Er spricht fünf Minuten in seiner Muttersprache, ohne dass die Zuschauer erfahren, was er gesagt hat.

Zwischendrin setzt Stähle noch einmal kurz an und formuliert:

Einen herzlichen … Einen herzlichen Willkommensgruß zu den olympischen Winterspielen von Pjöngjang.

Pjöngjang ist allerdings die Hauptstadt von Nordkorea. Die Spiele finden im südkoreanischen und recht ähnlich klingenden Pyeongchang statt.

Den letzten Satz des Vorsitzenden des Organisationskomitees überträgt der Dolmetscher wie folgt – vermutlich wieder frei erfunden bzw. gut geraten, weil der Name „Thomas Bach“ auch im Koreanischen zu verstehen war:

Ich bitte nun den Vorsitzenden des Internationalen Olympischen Komitees, Thomas Bach, um seinen Willkommensgruß.

Direkt danach entschuldigt er sich:

Liebe Zuschauer, wir waren nicht darauf eingerichtet, dass diese Rede auf Koreanisch kommt und sind nicht in der Lage gewesen, Ihnen die ins Deutsche zu übersetzen.

Jürgen Stähle ist ein Könner – bei der falschen Sprache aber machtlos

Die sich anschließende längere Ansprache des deutschen IOC-Vorsitzenden Thomas Bach, die dieser auf Englisch hält, überträgt Stähle wie gewohnt locker und souverän. Er dolmetscht seit Jahrzehnten für die öffentlich-rechtlichen Sender bei Sportsendungen und Olympischen Spielen, zuletzt in Rio de Janeiro.

In seinen Arbeitssprachen Englisch und Französisch gilt Stähle wegen seiner angenehm ruhigen, sonoren und nie gehetzt wirkenden Stimme als Virtuose und Altmeister des Simultandolmetschens. Für seine Arbeit wurde er 1999 mit dem Grimme-Preis ausgezeichnet.

Eröffnung durch koreanischen Präsidenten wird ebenfalls nicht übersetzt

Nach der Rede von Thomas Bach folgt eine sehr kurze Ansprache des im Lande beliebten südkoreanischen Präsidenten Moon Jae-in. Vermutlich erklärt dieser die Olympischen Winterspiele von Pyeongchang für eröffnet – jedenfalls jubeln danach alle Zuschauer und Sportler im Stadion. Sein Redebeitrag kann mangels Koreanisch-Dolmetscher aber ebenfalls nicht ins Deutsche übersetzt werden.

DasErste: Dass Koreanisch gesprochen wird, „war leider nicht vorherzusehen“

Per Twitter fragt UEPO-Herausgeber Richard Schneider umgehend bei der ARD nach, ob zu dieser Panne noch eine Erklärung herausgegeben wird. Doch die Antwort fällt knapp aus:

Tweets

In der Tat waren die Programmpunkte der Eröffnungsfeier vor und nach den beiden koreanischen Ansprachen von den Stadionsprechern stets neben Koreanisch auch auf Englisch und Französisch angekündigt worden. Die Sprachen des Internationalen Olympischen Komitees (IOC) sind Englisch und Französisch.

Dass man sich auf die beiden koreanischen Ansprachen aber nicht habe vorbereiten können, ist nur schwer nachvollziehbar. Alle Reden wurden vom Blatt abgelesen. Für spontane Äußerungen ist in einer derart perfekt durchgeplanten Veranstaltung kein Platz.

Sind die Texte nicht vorab an die Medien verteilt worden? Hätte man das nicht in aller Ruhe übersetzen lassen und einfach vorlesen können? So haben es offenbar alle anderen nationalen Sender (BBC usw.) gemacht, bei denen keine derartigen Pannen bekannt geworden sind.

Immerhin hatte DasErste den auf Koreanisch von einem Athleten, einem Trainer und einem Kampfrichter vorgetragenen olympischen Eid sauber mit deutschem Text untertitelt. Allerdings bleibt dessen Wortlaut bei jeder Olympiade gleich.

Eurosport hatte sich besser vorbereitet und besaß eine Übersetzung

Der kleine Spartensender Eurosport, der ebenfalls die Übertragungsrechte besitzt, war offenbar besser vorbereitet und konnte seinen Zuschauern mitteilen, was auf Koreanisch von Orga-Chef und Präsident gesagt wurde. Das berichtete eine Eurosport-Zuschauerin auf Twitter.

Hohn und Spott im Internet

Anfangs waren viele irritierte Zuschauer noch davon ausgegangen, dass der Dolmetscher der ARD-Sportschau seinen Einsatz einfach verpasst hatte oder aus dem Konzept gekommen war. Auf dem Kurznachrichtendienst Twitter gaben sie ihrer Verwunderung Ausdruck:

Tweets

Dann machte sich jedoch die Erkenntnis breit, dass der Sender gar keinen Dolmetscher für die koreanische Sprache bestellt hatte, was schließlich auch in der Sendung bestätigt wurde.

Tweet

Tweet

Am Geld kann es nicht gelegen haben

Das Budget der deutschen öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten (ARD und ZDF), die sich tageweise bei der Übertragung der olympischen Winterspiele abwechseln, beläuft sich pro Jahr auf zusammen rund 9,1 Milliarden Euro.

Da hätte man eigentlich zur Sicherheit auch noch einen Koreanisch-Dolmetscher in die Kabine setzen können. Es müssen doch ohnehin Sprachmittler für die Landessprache vor Ort sein.

Möglich, dass der Sportschau nicht bewusst war, dass die Grußworte des Vorsitzenden des Organisationskomitees und des Staatspräsidenten nur auf Koreanisch gesprochen werden sollten. Trotzdem hätte man darauf vorbereitet sein können und müssen.

Angesichts der politisch hochbrisanten Lage auf der koreanischen Halbinsel und der positiven Signale bei den Spielen (gemeinsame Mannschaft von Nord und Süd) wäre es sicher auch für die deutschen Zuschauer interessant gewesen zu erfahren, welche Akzente die koreanischen Offiziellen in ihren Ansprachen setzten.

BDÜ-Präsident ärgert sich über blamable Leistung des Staatsfernsehens

Dass es nicht gelang, die Worte der koreanischen Gastgeber den deutschen Fernsehzuschauern zu vermitteln, ärgert auch den Präsidenten des mit 7.500 Mitgliedern größten Übersetzer- und Dolmetscherverbandes BDÜ. Auf Twitter und Facebook erklärte André Lindemann:

Lindemann auf Facebook

Mehr zum Thema

Richard Schneider