Unwörter des Jahres 2018: Anti-Abschiebe-Industrie, Menschenrechtsfundamentalismus, Ankerzentrum

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Bild: Aktion Unwort des Jahres

(1) Anti-Abschiebe-Industrie

„Anti-Abschiebe-Industrie“ ist das Unwort des Jahres 2018. Das gab die Jury der sprachkritischen Aktion „Unwort des Jahres“ am 15. Januar 2019 in Darmstadt bekannt.

Der Ausdruck wurde im Mai 2018 durch Alexander Dobrindt, den Vorsitzenden der CSU-Landesgruppe im Deutschen Bundestag, als „offensichtlicher Kampfbegriff“, so die Jury, in die politische Diskussion eingeführt: Eine „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“, so Dobrindt damals, sabotiere die Bemühungen des Rechtsstaates und gefährde die öffentliche Sicherheit.

In der Pressemitteilung Aktion heißt es weiter:

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Der Ausdruck unterstellt denjenigen, die abgelehnte Asylbewerber rechtlich unterstützen und Abschiebungen auf dem Rechtsweg prüfen, die Absicht, auch kriminell gewordene Flüchtlinge schützen und damit in großem Maßstab Geld verdienen zu wollen. Der Ausdruck Industrie suggeriert zudem, es würden dadurch überhaupt erst Asylberechtigte „produziert“.

Wir stimmen einem/einer der Einsendenden zu, dass es sich hierbei um ein Unwort handelt, weil „mit diesem Begriff das geltende Gesetz verhöhnt wird, welches Grundlage unserer Wertegemeinschaft ist“.

Als das Unwort 2018 gilt es uns, weil die Tatsache, dass ein solcher Ausdruck von einem wichtigen Politiker einer Regierungspartei prominent im Diskurs platziert wird, zeigt, wie sich der politische Diskurs sprachlich und in der Sache nach rechts verschoben hat und sich damit auch die Sagbarkeitsregeln in unserer Demokratie in bedenklicher Weise verändern.

Der Ausdruck Anti-Abschiebe-Industrie wurde zehn Mal eingesandt.

Außerdem kritisieren wir als Unwörter im Jahr 2018:

(2) Menschenrechtsfundamentalismus

Dieser zynische Ausdruck wurde von Boris Palmer, Oberbürgermeister von Tübingen und Grünen-Politiker, anlässlich einer Debatte um die Seenotrettung von Flüchtlingen aus dem Mittelmeer verwendet, um damit die politische Haltung von ihm sogenannter „moralisierender Kreuzzügler“ in der Flüchtlingspolitik zu kritisieren.

Der Ausdruck zeigt in erschreckender Weise (ähnlich wie eine dazu in den Medien geführte Pro- und Contra-Debatte), dass es in Deutschland diskutabel geworden zu sein scheint, ob ertrinkende Menschen gerettet werden sollen oder nicht. Menschenrechte sind fundamentale Rechte – sie zu verteidigen, ist mehr als eine bloße Gesinnung, die als „Fundamentalismus“ diskreditiert werden könnte.

Wir kritisieren den Ausdruck, weil er in besonderem Maße zeigt, dass wir – wie der ehemalige Bundestagspräsident Wolfgang Thierse schon 2016 auf dem Katholikentag in Leipzig mahnte – „Humanität neu zu lernen“ haben und „elementare Regeln des politisch-menschlichen Anstands, des Respekts vor der persönlichen Ehre und der Menschenwürde […] für nicht wenige im Lande nicht mehr zu gelten [scheinen]“.

Der Ausdruck Menschenrechtsfundamentalismus wurde zwei Mal eingesandt.

(3) Ankerzentrum

Der Ausdruck „Ankerzentrum“ findet sich im Koalitionsvertrag von CDU, CSU und SPD und bezeichnet besondere Aufnahmeeinrichtungen für Flüchtlinge, die dort eine „Bleibeverpflichtung“ haben, bis sie auf die Kommunen verteilt oder abgeschoben werden oder freiwillig in ihre Heimat zurückkehren.

Im Koalitionsvertrag wird durch die Schreibweise noch verdeutlicht, dass der erste Bestandteil des Ausdrucks eigentlich eine Abkürzung ist: „AnKER“ steht dort für „Ankunft, Entscheidung, kommunale Verteilung bzw. Rückführung“.

Durch die inzwischen fast durchgängige Klein- und Zusammenschreibung (= Ankerzentrum) wird der Ausdruck zu einem aus unserer Sicht unangemessenen Euphemismus, der die komplizierten Prüfverfahren in diesen Zentren und zudem die strikte Aufenthaltspflicht für Flüchtlinge verschleiert, indem die positiven Assoziationen des Ausdrucks Anker (u. a. Festmachen in einem Hafen, Sicherheit, zudem christliches Symbol der Hoffnung) gezielt ausgenutzt werden.

Der Ausdruck Ankerzentrum wurde 13 Mal eingesandt.

Unwort-Statistik 2018

Die Jury erreichten 2018 insgesamt 902 Einsendungen. Darunter waren 508 verschiedene Ausdrücke, von
denen knapp 70 den Unwort-Kriterien der Jury entsprachen.

Die zehn häufigsten Einsendungen aus den Zuschriften an die Jury, die allerdings nicht zwingend den Kriterien der Jury entsprechen, waren:

  • Asyltourismus (122 Mal)
  • Vogelschiss/Fliegenschiss (22 Mal)
  • DSGVO (Datenschutzgrundverordnung) (22 Mal)
  • Hetzjagd (17 Mal)
  • (bedauerlicher) Einzelfall (14 Mal)
  • Ankerzentrum (13 Mal)
  • Biodeutsche (11 Mal)
  • Anti-Abschiebe-Industrie (10 Mal)
  • Deal (10 Mal)
  • mutmaßlich (9 Mal)

Die Jury der institutionell unabhängigen und ehrenamtlichen Aktion „Unwort des Jahres“ besteht aus folgenden Mitgliedern: den vier SprachwissenschaftlerInnen Prof. Dr. Nina Janich/Sprecherin (TU Darmstadt), PD Dr. Kersten Sven Roth (Universität Düsseldorf), Prof. Dr. Jürgen Schiewe (Universität Greifswald) und Prof. Dr. Martin Wengeler (Universität Trier) sowie dem Autor und freien Journalisten Stephan Hebel. Als jährlich wechselndes Mitglied war in diesem Jahr der Autor und Kabarettist Jess Jochimsen beteiligt.

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