Nachgefragt: Was ist denn da am IALT Leipzig los, Herr Professor Czulo?

Prof. Dr. Oliver Czulo
"Das IALT ist in seiner Existenz nicht bedroht", sagt Prof. Dr. Oliver Czulo. Im Hintergrund das Geisteswissenschaftliche Zentrum, in dem die Institutsverwaltung untergebracht ist.

Siegel Uni Leipzig„Was ist denn da in Leipzig los?“ – Das haben sich wahrscheinlich viele gefragt, die in den letzten Wochen und Monaten die beunruhigenden Nachrichten aus dem Institut für Angewandte Linguistik und Translatologie (IALT) vernommen haben.

Dort ist der Sprachschwerpunkt Russisch durch Sparvorgaben der vorherigen Landesregierung gefährdet. Die IHK Leipzig und die Landtagsfraktion der Linken haben sich für den Erhalt ausgesprochen. Die Online-Petition einer Studentin hat innerhalb von vier Wochen beachtliche 2.500 Unterstützer gefunden. Und vorgestern berichtete sogar die Moskauer Deutsche Zeitung über die Entwicklung.

Fragen wir einmal nach bei Prof. Dr. Oliver Czulo, dem geschäftsführenden Direktor des IALT an der Universität Leipzig.

IALT in Existenz nicht bedroht – Bemühungen für Erhalt der Russisch-Abteilung

Geht es in der aktuellen Debatte „nur“ um eine einzelne – wenn auch sehr bedeutende – Sprache im Lehrangebot? Oder steht das Institut insgesamt zur Disposition?

Das IALT ist in seiner Existenz nicht bedroht. Die Russisch-Abteilung, unsere kleinste Abteilung, ist aber von den vor bereits einigen Jahren beschlossenen Sparmaßnahmen betroffen. Russisch wird am IALT nach unserer Planung weiterhin eine Rolle spielen, in möglicherweise veränderter Form.

Der Schwerpunkt Russisch – „Schwerpunkt“ bedeutet ein sehr umfangreiches Angebot – steht für die insgesamt drei Studiengänge, die wir grundständig am IALT anbieten, in der Diskussion. Diese Studiengänge sind der Bachelor Translation, der Master Translatologie und der Master Konferenzdolmetschen.

Uni hat bereits mehr als 100 Stellen eingespart

Die Sparvorgaben der Landesregierung bestehen bereits seit 2010. Wie hat sich das in den Jahren danach auf das IALT ausgewirkt?

Die Sparmaßnahmen hatten auf viele Bereiche in Sachsen sehr negative Auswirkungen, z. B. auf die Polizei, die Schulen und Hochschulen. In ersteren beiden Bereichen hat die Politik bereits gegengesteuert, im letzteren nicht. Die aktuelle Landesregierung hat den Stellenabbau bei den Hochschulen zwar gestoppt, aber die Lücken sind bereits gerissen.

Durch die Kürzungen haben viele Institute und Studiengänge gelitten. Die Universität Leipzig musste über 100 Stellen einsparen. Es wurden keine Vorgaben gemacht, was genau wegfallen soll, das auszusuchen hat die Politik an andere weitergegeben.

Im Falle von Russisch am IALT bedeutete dies, dass durch Verrentung weggefallene und verfallende Stellen nicht neu besetzt wurden bzw. werden und die Stellenausstattung des IALT fürs Russische dadurch bald auf Null gefahren sein wird.

Die anderen Abteilungen sind von den jüngsten Kürzungen nicht betroffen. Allerdings hat das IALT seit der Wende bereits eine Reihe von Schwerpunkten verloren.

Innenansicht GWZ
Innenansicht des Neubaus für die Geisteswissenschaften, der 2002 eröffnet wurde.

Kooperationsgespräche für Erhalt der russischen Sprache stehen noch am Anfang

Gegenüber der Leipziger Volkszeitung haben Sie angedeutet, dass das Lehrangebot für Russisch möglicherweise durch Kooperationen innerhalb der Universität erhalten werden kann. Wie sähen solche Kooperationen konkret aus?

Hier Konkretes zu nennen ist kaum möglich, da wir noch am Anfang der Gespräche stehen. Die derzeit bestehende Kooperation mit der Ostslawistik baute auf der Annahme auf, dass es am IALT eine neu geschaffene Stelle für die Russisch-Lehre geben würde, was aber nicht umgesetzt wurde.

Auch bei einer Kooperation gilt aber, dass die translatorische Seite durch personelle Ressourcen abgedeckt sein muss. Ein reines Sprachenlernen ersetzt keinen Übersetzungs- oder Dolmetschunterricht, weder theoretisch noch praktisch. Diese Abdeckung ist nach derzeitigem Stand für Russisch bald kaum mehr der Fall.

Die Kooperationsstudiengänge fürs Tschechische mit der Westslawistik und fürs Arabische mit der Arabistik fußen auf einer ebensolchen personellen Verankerung, allerdings hauptsächlich an den Partnerinstituten.

Dolmetschübungsraum
Das IALT verfügt über sehr gute technische Voraussetzungen für die Ausbildung von Konferenzdolmetschern.

IALT in Sachen Internationalität und Digitalität „sehr gut aufgestellt“

In einem Zeitungsartikel war von einem „geordneten Übergang zum neuen IALT“ die Rede. Heißt das, dass alle Sprachschwerpunkte und das Institut insgesamt umgestaltet und fit für die Zukunft gemacht werden sollen?

Wir sind fit für die Zukunft: Wir sind in der Digitalisierung sehr gut aufgestellt und haben eine Kooperation mit den Digital Humanities begonnen.

Durch Kooperationen mit der Westslawistik und der Arabistik können wir Studiengänge fürs Übersetzen Tschechisch-Deutsch und Arabisch-Deutsch anbieten, die in ihrer Form ein Alleinstellungsmerkmal sind. Ich weiß, dass wir noch mehr können.

Ich kann dem Land und der Universität nur nahelegen, ein Institut zu fördern, das wie kein anderes für Internationalität steht und für das Digitalität selbstverständlich ist. Mit „-isierung“ geben wir uns nicht mehr ab. Unser weiterer Weg wurde in den letzten Jahren nur durch die Sparmaßnahmen blockiert.

Gesamtentwicklung des IALT im Auge behalten

Die von Ihnen zitierte Aussage ist übrigens ein Hinweis darauf, dass wir das Institut in seiner Gesamtentwicklung sehen müssen.

Wir haben zukunftsträchtige und in meinen Augen ausbaufähige Kooperationen, aber auch dafür brauchen wir Ressourcen. Und Russisch wurde in den letzten Jahren durch viel Mithilfe der anderen Abteilungen am Leben erhalten.

Der wie auch immer geartete Erhalt von Russisch muss so gestaltet werden, dass bestehende wie angestrebte Kooperationen nicht gefährdet werden und das Institut nicht in die Erschöpfung getrieben wird. Wo wir mit Russisch am Ende genau landen, kann man jetzt noch nicht sagen, das müssen wir noch austarieren.

Wie sieht der zeitliche Horizont für die Umgestaltung aus? Muss bis zum nächsten Wintersemester eine neue Struktur stehen oder handelt es sich um einen fortlaufenden Prozess ohne konkrete Terminvorgaben?

Es gibt keinen genauen Fahrplan, aber in diesem Sommer werden sicher wichtige Weichen gestellt werden.

Ist der Eindruck richtig, dass sich an den finanziellen Vorgaben nichts mehr ändern lässt und sich das Institut innerhalb des bestehenden Finanzrahmens neu aufstellen muss?

Das müssen Sie die Universitätsleitung und die zukünftige Landesregierung nach der Wahl im September fragen.

GWZ, Uni-Bibliothek
Direkt gegenüber dem Geisteswissenschaftlichen Zentrum befindet sich die rechts im Hintergrund zu sehende Universitäts-Bibliothek.

Leipzig als „Germersheim des Ostens“

Wo sehen Sie das Institut in fünf Jahren? Bleibt das IALT Leipzig in der Spitzengruppe der universitären Ausbildungsstätten für Übersetzer und Konferenzdolmetscher?

Ich sehe das IALT zukünftig als das Germersheim des Ostens, nur anders: Stärker in der Digitalisierung, ein ganz eigenes Sprachenangebot, eine Dolmetschabteilung, die ein höheres Gewicht hat, und vieles mehr.

IALT und Leipzig als Studienort: „Ich finde uns sehr attraktiv“

Können Sie Abiturienten, die sich für einen Studiengang im Bereich Übersetzen und Dolmetschen interessieren, das IALT Leipzig weiterhin empfehlen? Was spricht für Leipzig?

Leipzig ist eine sehr junge, dynamische Stadt. Hier passieren Experimente für die Gesellschaft der Zukunft. Die Philologische Fakultät, zu der wir gehören, bildet dies großartig ab. Am IALT arbeiten die Studierenden mit aktuellsten Techniken und Technologien wie dem Postediting oder dem Ferndolmetschen, sie können auch Sprachen wie Katalanisch, Baskisch, Galicisch lernen und sie können sich für unseren Kuba-Schwerpunkt bewerben. Und das sind nur einige der Möglichkeiten.

Ich finde uns sehr attraktiv.

Neues Augusteum
Die Dolmetschtrainingsanlage befindet sich im Neuen Augusteum, dem 2012 fertig gestellten neuen Hauptgebäude der Universität am Augustusplatz.

„Ingenieure werden dazu nicht in der Lage sein“ – Digitalisierung eröffnet Übersetzern neue Betätigungsfelder

Bei der Gelegenheit noch eine Frage zu einem anderen Thema: Wie stehen Sie zu der These von SPD-Generalsekretär Lars Klingbeil, dass die Berufsgruppe der Sprachmittler durch Künstliche Intelligenz und Maschinelle Übersetzung vom Aussterben bedroht ist?

Entgegen der Behauptung, dass es in fünf Jahren keine Dolmetscher und Übersetzer mehr geben würde, ist unser Studienangebot auch für die Zukunft hochrelevant. Gerade die Digitalisierung unserer Welt eröffnet uns neue, spannende Möglichkeiten, neben der voranschreitenden Internationalisierung.

Zum Beispiel durfte ich erst jüngst in Kooperation mit Prof. Nathalie Mälzer vom Institut für Übersetzungswissenschaft und Fachkommunikation in Hildesheim eine Abschlussarbeit betreuen, in der es um die Übertitelung für Hörgeschädigte mittels Augmented-Reality-Brillen ging. Diese Brillen projizieren die Übertitel für die Träger quasi ins Bühnengeschehen hinein.

Da gibt es ganz eigene sprachliche und translatorische Problemstellungen überhaupt erst einmal zu verstehen und dann zu bearbeiten. Ingenieure werden dazu nicht in der Lage sein.

Über Oliver Czulo

Univ.-Prof. Dr. Oliver Czulo ist seit 2017 Professor für Translationswissenschaft am IALT der Universität Leipzig. Darüber hinaus ist er geschäftsführender Direktor des Instituts.

Von 2007 bis 2017 war er am FTSK Germersheim der Universität Mainz tätig, zunächst als wissenschaftlicher Mitarbeiter, später als Juniorprofessor. Sein Studium der Computerlinguistik absolvierte Czulo an der Universität des Saarlandes in Saarbrücken, wo er auch zu einem Thema der Maschinellen Übersetzung promoviert hat.

Mehr zum Thema auf UEPO.de

Weiterführender Link

[Die Fragen stellte Richard Schneider. Bildmaterial: Medienservice Universität Leipzig.]

Leipziger Buchmesse 2024