Mitgliedsausweis der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) aufgetaucht

RfD-Stempel

Auf den Seiten eines Prager Auktionshauses wurde im Dezember 2019 der nachfolgend abgebildete Mitgliedsausweis der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) angeboten.

Wir dokumentieren den Ausweis hier, weil er für diejenigen interessant sein könnte, die zur Geschichte der Berufsgruppe der Übersetzer und Dolmetscher in der Zeit des Nationalsozialismus forschen.

RfD-Ausweis Eugen Chramosta

Die Beschriftung lautet:

[Logo der RfD]
Dolmetscher-Bereitschaftsdienst
bei der Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen
in der Deutschen Rechtsfront
Mitgliedsausweis Nr. 6611
Für das Jahr 1940
für Herrn Eugen Chramosta, Wien.

[Rundstempel:]
RfD
Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen i. d. Deutschen Rechtsfront
Reichsfachschaftsleiter

[unleserliche Unterschrift]
Eigenhändige Unterschrift des Mitgliedes

[Unterschrift „Monien“]
Reichsfachschaftsleiter und Leiter des Dolmetscher-Bereitschaftsdienstes

Dieser Ausweis ist Eigentum der RfD und auf Anforderung sofort zurückzugeben.

[Stempel links am Rand:]
Gültig für 1941

Entstehung und Bedeutung der RfD

Zur Entstehungsgeschichte der RfD schreibt Miriam Winter in ihrem 2012 erschienenen Buch Das Dolmetscherwesen im Dritten Reich – Gleichschaltung und Indoktrinierung:

Die Reichsfachschaft für das Dolmetscherwesen (RfD) ging 1933 im Zuge der Gleichschaltung aus den bereits in der Weimarer Republik bestehenden Verbänden der Gerichtsdolmetscher hervor und wurde in den der NSDAP angeschlossenen Nationalsozialistischen Rechtswahrerbund der Deutschen Rechtsfront eingegliedert, in dem alle Berufsgruppen organisiert waren, die sich mit der Rechtspflege beschäftigten. Anders als der Name vermuten lassen würde, war sie nicht allein für Dolmetscher, sondern auch für Übersetzer zuständig.

Die RfD gewann unter Reichsfachschaftsleiter Otto Monien bis 1945 innerhalb der Branche zunehmend an Einfluss. Sie betrieb Reichsfachschulen, gab Lehrmaterialien und Fachwörterbücher heraus, stellte Mitgliedsausweise aus und ihre Vertreter saßen als Beisitzer im Prüfungsausschuss des damaligen Dolmetscher-Instituts der Universität Heidelberg.

Die RfD hatte gut 13.000 Mitglieder, also deutlich mehr als alle heutigen Sprachmittlerverbände in Deutschland und Österreich zusammengenommen. Und das, obwohl sie keine Monopolstellung bei der Vermittlung von Übersetzern und Dolmetschern besaß und kein Zwang zur Mitgliedschaft bestand, denn sie war keine Kammer.

Ihr Erfolg dürfte in erster Linie auf die Möglichkeiten zur Fortbildung und Vernetzung zurückzuführen sein. Großer Beliebtheit erfreuten sich die heute noch antiquarisch erhältlichen, der Fortbildung dienenden und weitgehend unpolitischen Lehrhefte für Übersetzer, die für verschiedene Sprachen monatlich erschienen.

Durch die marktbeherrschende Größe der RfD und fehlende berufsverbandliche Konkurrenz dürfte für Sprachmittler aber ein gesellschaftlicher und wirtschaftlicher Druck entstanden sein, ihr beizutreten.

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Richard Schneider