Bundestag: Die Linke stellt Kleine Anfrage zur Situation der deutschen Sprache in Russland

Andrej Hunko
Andrej Hunko ist Europapolitischer Sprecher der Fraktion Die Linke im Bundestag und Mitglied der Parlamentarischen Versammlung des Europarates. - Bild: Linke Bundestag

Auf Anregung des Abgeordneten Andrej Hunko hat die Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag die Bundesregierung mit einer so genannten Kleinen Anfrage um Auskunft zur Situation der deutschen Sprache in Russland gebeten. Mit einer Antwort wird im Lauf des Monats April gerechnet.

Nachfolgend der vollständige Text der Drucksache, der eine Reihe interessanter Daten und Fakten enthält. Zur besseren Lesbarkeit haben wir lediglich zusätzliche Absatzeinteilungen, Zwischenüberschriften und einige Hervorhebungen durch Fettschrift eingefügt.

*

Deutscher Bundestag, 19. Wahlperiode
Drucksache 19/26692, 15.02.2021

Kleine Anfrage

der Abgeordneten Andrej Hunko, Simone Barrientos, Dr. André Hahn, Brigitte Freihold, Żaklin Nastić, Dr. Alexander S. Neu, Helin Evrim Sommer, Sabine Zimmermann und der Fraktion DIE LINKE.

Situation der deutschen Sprache in Russland

Im Bericht des Auswärtigen Amts „Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2020“ wird festgestellt, dass 15,45 Millionen Menschen auf der Welt aktuell Deutsch als Fremdsprache lernen. Die meisten Deutschlernenden weltweit zählt Polen (1,95 Millionen), auch wenn die Gesamtzahl an Deutschlernenden dort im Vergleich zu 2015 um 14 Prozent zurückgegangen ist. Der
Höchstwert der Deutschlernenden in Russland beträgt laut dem Bericht etwa 1,8 Millionen Menschen. Insofern ist der Negativtrend in der Russischen Föderation gestoppt: „die in den Vorjahren rückläufige Anzahl der Deutschlernenden [ist] um circa 20 Prozent gestiegen“.

DAAD beobachtet moderaten Rückgang der Deutschlerner

Auch wenn der Gesamttrend in Russland aktuell als positiv gewertet werden kann, beobachtet Deutscher Akademischer Austauschdienst e. V. (DAAD) an den russischen Universitäten einen moderaten Rückgang der Deutschlernenden um etwa zehn Prozent in den letzten fünf Jahren. 2015 wurde die Situation der deutschen Sprache im universitären Bereich in Russland in der Publikation des Auswärtigen Amts „Deutsch als Fremdsprache weltweit. Datenerhebung 2015“ (S. 23) wie folgt charakterisiert: „im Zuge der Bildungsreform [werden] zahlreiche Universitäten zusammengelegt oder geschlossen. Gewinner sind dabei naturwissenschaftlich ausgerichtete Universitäten, klare Verlierer die geisteswissenschaftlichen, schwach finanzierten Hochschulen.

Rückbau der Lehrstühle für Germanistik führt zu Mangel an Deutschlehrern

Das führt aktuell zu einem drastischen Abbau der Philologien und Deutschabteilungen und zu einem Rückgang der Studierenden mit Deutsch als Hauptfach. Hinzu kommt die deutliche Reduzierung von staatlich finanzierten Studienplätzen im Bereich Germanistik.“ Der Bericht aus dem Jahr 2020 bestätigt, dass die im Jahr 2015 erwähnte Problematik in Russland weiterhin besteht: „die Lehrstühle für Germanistik und Deutsch als Fremdsprache [sind] teilweise abgeschafft beziehungsweise mit anderen Lehrstühlen zusammengelegt worden. Gerade für die Didaktik von DaF ist die Anzahl der Studienplätze begrenzt und geht tendenziell zurück. Die Folge ist ein eklatanter Lehrkräftemangel, der besonders ins Gewicht fällt, wenn es um die eingangs erwähnte Einführung der zweiten Fremdsprache an Schulen geht.“

Germanistenstipendium eingestellt

Zu dem Kontext der prekären Situation der deutschen Sprachen an russischen Hochschulen und Universitäten gehören die im Folgenden genannten Tatsachen: Im Jahr 2011 wurde das sogenannte Semesterstipendienprogramm (Germanistenstipendium – Ein-Semester-Stipendium für ausländische Germanistikstudenten) des DAAD eingestellt. Dieses (inzwischen gestrichene) Germanistenstipendium hat nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragsteller die Motivation der russischen Germanistikstudierenden erheblich beflügelt.

Deutsch-Lektorate an Universitäten werden geschlossen oder nicht neu besetzt

2017 wurde das DAAD-Lektorat am Staatlichen Moskauer Institut für Internationale Beziehungen (MGIMO) geschlossen (siehe Bundestagsdrucksache 18/13698, Fr. 24). Zum Studienjahr 2018/2019 wurde der Lektoratsstandort Omsk geschlossen (siehe Bundestagsdrucksache 19/7308, Frage 37). Die Lektorate an den Universitäten Saratow, Tscheljabinsk, Samara sowie der Polytechnischen Universität St. Petersburg bleiben zum Bedauern der Fragestellerinnen und Fragestellern seit Jahren nicht besetzt (vgl. https://www.daad.ru/ru/o-nas/lektory-daad/).

Im Jahre 2017 wurde nach Kenntnis der Fragestellerinnen und Fragesteller das Lektorenprogramm der Robert Bosch Stiftung für Osteuropa auf die Staaten Asiens umorientiert. Im Zuge dessen wurden auch Lektorate an russischen Hochschulen und Universitäten eingestellt. Ebenfalls wurde das Programm der Robert Bosch Stiftung „Kulturmanager in der Russischen Föderation“ beendet. Beide Programme haben die Teilnahme deutscher Mutterspachlerinnen und Muttersprachler in Russland vorgesehen.

Deutsch als Sprache der deutschen Minderheit in Russland

Deutsch ist die Sprache der deutschen Minderheit in Russland. Die Bundesregierung betrachtet die Stärkung der deutschen Minderheiten im Ausland, unter anderem auch in der Russischen Föderation, „in ihrem Selbstverständnis und ihrer kulturellen Identität und dem Erhalt ihrer Sprache“ als ein wichtiges Anliegen (siehe https://www.bmi.bund.de/DE/ministerium/beauftragte/beauftragter-aussiedlerfragen/beauftragter-aussiedlerfragen-artikel.html).

Zur Erhaltung und Pflege der angestammten Sprache der deutschen Minderheit in Russland gehören nach Ansicht der Fragestellerinnen und Fragesteller sowohl der Zugang zu deutschsprachigen Medien als auch die Möglichkeit, in ihrem Heimatland eine deutschsprachige Medienlandschaft selbst zu gestalten. In Russland existiert eine ganze Reihe deutschsprachiger Zeitungen und Zeitschriften wie beispielsweise die Moskauer Deutsche Zeitung, der Königsberger Express oder die Zeitschrift vitamin de.

Die Sprache dieser Medien ist für die Germanistik von wissenschaftlichem Interesse. So stehen beispielsweise auch in Deutschland unter anderem die sprachlichen Besonderheiten der Moskauer Deutschen Zeitung im Fokus des Projekts „Deutsche Mediensprache im Ausland – am Beispiel der deutschen Minderheitenpresse in Mittel- und Osteuropa“ unter der Leitung von Prof. Dr. Dr. Csaba Földes (siehe dazu Leitung von Prof. Dr. Dr. Csaba Földes (siehe dazu https://www.pressesprache.de/).

Fremdsprachenerwerb außenpolitisches Instrument für Völkerverständigung

Aus Sicht der Fragestellerinnen und Fragesteller benötigt die deutsche Sprache in Russland Pflege und Stärkung genauso wie die russische Sprache in Deutschland (siehe dazu Bundestagsdrucksache 19/16386).

Die Fragestellerinnen und Fragesteller betrachten den Fremdsprachenerwerb grundsätzlich als nachhaltiges außenpolitisches Instrument zugunsten des Friedens, der Völkerverständigung und der internationalen Kooperation. Insbesondere im Zusammenhang mit den bereits seit einigen Jahren andauernden Irritationen in den deutsch-russischen Beziehungen wollen die Fragestellerinnen und Fragesteller die Relevanz des Erlernens der gegenseitigen Muttersprache betonen.

Von August 2020 bis Juli 2021 findet in Russland ein Deutschlandjahr statt. Zur Themenpalette des Jahres gehört neben den Themen Ökologie, Nachhaltigkeit, Digitalisierung, Innovation und Zukunft der Arbeit, Forschung, Wissenschaft und Bildung auch die deutsche Sprache.

26 Fragen an die Bundesregierung

Wir fragen die Bundesregierung:

  1. Welche Entwicklung sieht die Bundesregierung in der Nachfrage nach Deutschlehrerinnen und Deutschlehrern an russischen Schulen?
  2. Wie viele Spezialschulen mit erweitertem Deutschunterricht existieren nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell in Russland? Welche Entwicklung sieht die Bundesregierung in diesem Bereich?
  3. Wie viele Schülerinnen und Schüler haben seit 2010 in Russland an den Prüfungen zum Deutschen Sprachdiplom (DSD) teilgenommen und wie viele davon haben diese Prüfungen bestanden (bitte nach Art der Prüfung, Jahren und Regionen aufschlüsseln)?
  4. An welchen Schulen in Russland wird Deutsch nicht als Fremdsprache, sondern als Muttersprache unterrichtet?
  5. Mit welchen Mitteln hat die Bundesregierung bzw. haben die durch die Bundesregierung finanzierten Organisationen die Schulen im Deutschen Nationalkreis in der Region Altai unterstützt (bitte nach Schulen und Jahren aufschlüsseln)?
  6. Mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung die Deutscholympiaden für Schülerinnen und Schüler in Russland seit 2010 (bitte nach Jahren und Orten der Durchführung aufschlüsseln)?
  7. Welche Möglichkeiten gibt es nach Kenntnis der Bundesregierung für russische Deutschlehrerinnen und -lehrer, eine berufliche Fortbildung in Deutschland zu absolvieren (bitte konkrete Programme nennen)?
  8. Welche Auswirkungen hatte nach Kenntnis der Bundesregierung die Einführung des Staatlichen Einheitsexamens in Russland als Zugangsprüfung für die Hochschulausbildung auf die Situation der deutschen Sprache in Russland?
  9. Welche Auswirkungen hatten die Bologna-Reformen in Russland auf die Situation der deutschen Sprache an russischen Hochschulen und Universitäten?
  10. An wie vielen russischen Hochschulen und Universitäten wird nach Kenntnis der Bundesregierung Deutsch als Hauptfach angeboten?
  11. An welchen russischen Hochschulen und Universitäten werden nach Kenntnis der Bundesregierung bzw. nach Kenntnis der durch die Bundesregierung geförderten Organisationen wie z. B. DAAD Dolmetscherinnen und Dolmetscher sowie Übersetzerinnen und Übersetzer für Deutsch ausgebildet?
  12. Wie viele deutsch-russische Hochschulpartnerschaften bestehen nach Kenntnis der Bundesregierung aktuell?
  13. Mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung folgende Organisationen in Russland seit 2010: Germanistenverband (http://www.germanistenverband.ru/), Germanisten- und Deutschlehrerverband Russland (https://www.linguanet.ru/agpnya/), Interregionale Vereinigung der Deutschlehrerin-nen und Deutschlehrer (http://dlv-rus.ru/) (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?
  14. Wie evaluiert die Bundesregierung die 18. Tagung des Germanistenverbands im November 2020 in Twer (siehe http://germanistenverband.ru/dejatelnost/meropriyatiya/germanistentage/8-syezd)?
  15. Mit welchen Mitteln hat die Bundesregierung das Erscheinen germanistischer Fachliteratur (z. B. Fachzeitschriften, Sammelbände usw.) in Russscher Fachliteratur (z. B. Fachzeitschriften, Sammelbände usw.) in Russland seit 2010 gefördert (bitte nach Jahren aufschlüsseln)?
  16. Welche Impulse, Initiativen, Schritte oder Aktivitäten deutscher Unternehmen beziehungsweise der deutschen Wirtschaft sind der Bundesregierung in Russland zur Erhaltung des Interesses für die deutsche Sprache (unter anderem als Berufssprache und -grundlage) bei Deutschlernenden bekannt?
  17. Welche deutschsprachigen Medien (Zeitungen, Zeitschriften, TV- und Ra-diosender sowie YouTube-Sender usw.) sind der Bundesregierung in Russland bekannt?
  18. Welche deutschsprachigen Medien in Russland wurden aus den Mitteln der Bundesregierung bzw. durch die Bundesregierung geförderten Organisationen seit 2010 unterstützt (bitte nach Jahren und Medien aufschlüsseln)?
  19. Welche wissenschaftlichen Projekte zur Untersuchung deutschsprachiger Medien in Russland neben dem Projekt „Deutsche Mediensprache im Ausland – am Beispiel der deutschen Minderheitenpresse in Mittel- und Ost-europa“ wurden aus den Mitteln der Bundesregierung seit 2010 gefördert?
  20. Inwiefern ist nach Kenntnis der Bundesregierung die deutsche Minderheit in Russland in der Föderalversammlung der Russischen Föderation sowie in der russischen föderalen Regierung aktuell vertreten?
  21. Mit welchen Mitteln unterstützt die Bundesregierung Deutsch als Muttersprache der deutschen Minderheit in Russland seit 2010 (bitte nach Jahren, Empfängern und Regionen aufschlüsseln)?
  22. Wann wurde die Situation der deutschen Sprache in Russland zwischen den Regierungen Deutschlands und Russlands zuletzt thematisiert und mit welchen Ergebnissen (bitte das Datum und die Umstände nennen)?
  23. Inwiefern hält die Bundesregierung das Beherrschen der deutschen Sprache durch russländische Staatsangehörige für den politischen, wirtschaftlichen und zivilgesellschaftlichen Dialog zwischen Deutschland und Russland fördernd?
  24. Welchen Stellenwert misst die Bundesregierung den Deutschkenntnissen von Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern öffentlicher bzw. staatlicher Stellen der Russischen Föderation im Rahmen der deutsch-russischen Beziehungen bei?
  25. Welche Relevanz sieht die Bundesregierung im Erlernen der deutschen Sprache in Russland?
  26. Welche Auswirkungen sieht die Bundesregierung in der COVID-19-Pandemie auf die Situation der deutschen Sprache in Russland?

Berlin, den 28. Januar 2021

Amira Mohamed Ali, Dr. Dietmar Bartsch und Fraktion

* * *

Mehr zum Thema

red