Die seltsamsten Sprachen der Welt – Von Klicklauten und hundert Arten, ‚ich‘ zu sagen

Die seltsamsten Sprachen der Welt
Die Umschlagabbildung zeigt ein mythisches Wesen der australischen Aborigenes (Höhlenmalerei aus Kimberley, Nordwestaustralien). - Bild: akg-images / De Agostini Picture Library / N. Cirani

Viele Sprachen erscheinen uns fremdartig, weil wir ihre Schnalzlaute nicht hervorbringen oder ihren Satzbau mit den vertrauten gramma­tischen Rastern nicht erfassen können. Der bekannte Sprachwissenschaftler Harald Haarmann beschreibt in seinem neuen Buch Die seltsamsten Sprachen der Welt – Von Klicklauten und hundert Arten, ‚ich‘ zu sagen kurzweilig und kenntnisreich 49 Sprachen mit seltsamen Eigenheiten.

Hierzu gehören ungewöhnliche Lautsysteme, fremdartige Grammatiken, sonderbare Wortschätze, seltsame Zählweisen, Sprachen, die sich je nach sozialer Beziehung ändern, spezielle Sakralsprachen, rätselhafte Schriften sowie Plansprachen.

Haarmann will seine Zusammenstellung aber ausdrücklich nicht als Kuriositätenkabinett verstanden wissen:

Vielmehr will das Buch vor Augen führen, wie vielfältig die kulturellen Muster sind, aus denen die Sprachen hervorgehen, und wie nahezu grenzenlos das menschliche Potenzial, mit Lauten zu kommunizieren und Gedanken sprachlich zu organisieren.

Die Vielzahl sprachlicher Sonderformen ist als Reichtum zu begreifen und als Einladung, die Welt mit anderen Augen – oder besser: mit anderen Sprachen – zu sehen. Das Seltsame in seinem Eigenwert und als Bereicherung zu verstehen, dazu will dieses Buchs anregen.

Wer das scheinbar Seltsame so versteht, der blickt zugleich in einen Spiegel, in dem er sich selbst und seine eigene Sprache neu wahrnehmen und verstehen kann.

Was heißt hier seltsam?

In der Einleitung beschreibt Harald Haarmann, in welchem Sinn der Ausdruck „seltsam“ hier gemeint ist:

Das Wort «seltsam» bedeutete im frühen Mittelalter neutral «selten zu sehen», hat aber im Laufe der Jahrhunderte vielerlei wertende Nuancen bekommen. Heute meinen wir damit meist «eigenartig, sonderbar, merkwürdig, fremdartig, befremdlich, ungewöhnlich, komisch» oder auch «wunderlich». Das Gegenteil wäre «normal», «nicht weiter auffällig».

Was «normale» und was «seltsame» Sprachen sind, kann man auf zweierlei Weise bestimmen. Erstens hängt es subjektiv von der eigenen Vorkenntnis und Perspektive ab, ob man etwas Fremdes seltsam findet. In diesem Sinne liegt das Seltsame immer im Auge des Betrachters, dem die eigene Muttersprache normal vorkommt. Das Seltsame ist nicht immer das Seltene.

Zweitens kann man Sprachen vergleichen und seltene Merkmale in der Lautbildung, im Satzbau oder im Vokabular bestimmen. Amerikanische Linguisten haben versucht, nach zwanzig Kriterien eine Rangliste der merkwürdigsten Sprachen zu erstellen (Bach 2013). Von den 239 untersuchten Sprachen landete ein mexikanischer Dialekt auf Platz 1, weil man hier zum Beispiel weder an der Wortstellung noch an der Betonung erkennen kann, ob ein Satz eine Frage oder eine Aussage ist. Auf Platz 10 folgte bereits Deutsch. Hindi stellte sich als die normalste Sprache heraus.

Wie objektiv solche Rankings sind, bleibt freilich offen, denn die untersuchten Sprachen bilden nur einen sehr kleinen Ausschnitt aus der Vielfalt der heute gesprochenen Sprachen und Dialekte, und auch die Auswahl der Kriterien ist bereits eine Vorentscheidung.

Das vorliegende Buch versucht einen Mittelweg. Es behandelt Sprachen, die uns aus der Perspektive des Deutschen seltsam vorkommen, aber auch Sprachen, die seltene Merkmale aufweisen, etwa besondere Baupläne, und in diesem Sinne seltsam genannt werden können.

Die Schnittmenge zwischen der subjektiven Seltsamkeit und der objektiven Seltenheit ist groß, aber thematisiert werden auf diese Weise auch Sprachen, die uns subjektiv gar nicht seltsam vorkommen, etwa das Deutsche, Französische oder Englische, eben weil wir sie kennen.

Inhaltsverzeichnis

Einleitung: Was heißt hier seltsam?

1. Eigenartige Lautsysteme

  • Urtümliche Klicklaute in den Khoisan-Sprachen
  • Ubychisch: Achtzig Konsonanten und zwei Vokale
  • Ein Geisterfahrer im Französischen: Das behauchte h
  • Warum Vietnamesen in zwitschernden Tonhöhen sprechen
  • Eine konzertierte Aktion: Finnische Vokalharmonie
  • Wie schreit der Hahn in den Sprachen der Welt?

2. Seltsamkeiten in Grammatik und Satzbau

  • Hopi: Auf der Suche nach der erlebten Zeit
  • Das Baskische und seine zwölf Kasusformen
  • Erster oder zweiter Hand: Erlebnisformen im Jukagirischen
  • Die spinnen, die Finnen: Vom Stufenwechsel und der Schwierigkeit, «nein» zu sagen
  • Haben oder nicht haben: Was alte Sprachkontakte im Russischen bewirkt haben
  • Die Welt in Schubladen: Nominalklassen im Thailändischen
  • Sprache als Navigator: Das Orientierungspotentials ibirischer Eskimosprachen
  • Archaische Sprachrelikte: Der Sonderfall des Ainu
  • Wortketten im Yupik
  • Pidgin: Kleine kanakendeutsche Grammatik
  • Ajándékképpen: Die ungarische Kunst, mit Suffixen zu sprechen
  • Von den Ursprüngen deutscher Bandwurmsätze

3. Wortschätze

  • Kamelzucht auf Somali
  • Wenn es regnet auf Hawaii
  • Baskische Verwandtschaftsverhältnisse
  • Das Gespür der Saamen für Schnee
  • Maltesisch: Ein Hybrid auf arabischer Grundlage
  • Die zeitlose Sprache der japanischen Teezeremonie
  • Hethitisch: Die älteste multikulturelle Sprache
  • Das Vokabular der Traumzeit: Schlüssel zur Welt der australischen Aborigines

4. Seltsame Arten, zu zählen

  • Zählsysteme in Korea und im Himalaya
  • Die heilige 13 und die Zahlenschreibung im Maya
  • Zählen in einer fremden Sprache: Spanische Zahlwörterbei den Filipinos

5. Status und Sozialverhalten sprachlich markieren

  • Wenn Göttinnen sprechen: Die Frauensprache im Sumerischen
  • Frauen bevorzugt: Verwandtschaftsterminologie im Crow
  • Im Land der rituellen Harmonie: Höfliche Sprache in Japan
  • Das Khmer und die hundert Arten, «ich» zu sagen
  • Wer mit wem sprechen darf: Kommunikationsregeln bei den Dyirbal
  • Per Du oder per Sie? Höflichkeitscodes im Englischen
  • Visualisierte Hierarchie: Die Schriftsysteme des Altägyptischen

6. Sakral-, Ritual- und Tabu-Sprachen

  • Der Bär als Urahn: Die mythologische Sondersprache der Westsibirier
  • Tautaua gegen Darmverstopfung: Zur Öffnung des geheimen Heilwissens der Maori
  • Mit den Ahnen sprechen: Parallelwelten der Katu
  • Das Wirken der Geister: Namengebung im Grönländischen
  • Koptisch: Altägyptisches Erbe in einer christlichen Nischensprache

7. Merkwürdige Schriften

  • Ein Politikum: Schriftgebrauch in Süd- und Nordkorea
  • Fossil der Sprachgeschichte: Die Bildzeichenschrift der Naxi in Südchina
  • Der Geheimcode der Osterinsel: Die Rongorongo-Tafeln
  • Rätsel um die glagolitische Schrift: Von der Slawenmission bis zu Video Games in Kroatien
  • Die Abur-Schrift der Komi: Heidnische Zeichen im Dienst der christlichen Überlieferung

8. Geplante Sprachen

  • Phönix in neuem Glanz: Die Wiederbelebung des Hebräischen
  • Esperanto: La sola lingvo, kiun ciu komprenas
  • Klingonisch für Anfänger: Kommunikation mit den Aliens

Literaturhinweise
Register

Haarmann hat in Japan gelehrt, lebt seit 20 Jahren in Finnland

Prof. Dr. Harald Haarmann (geboren 1946) hat allgemeine Sprachwissenschaft mit diversen Nebenfächern studiert und lehrte und forschte an verschiedenen deutschen und japanischen Universitäten. Seit mehr als 20 Jahren lebt er in Finnland.

Nach eigenen Angaben beherrscht der polyglotte Gelehrte folgende Sprachen aktiv: Deutsch, Englisch, Französisch, Italienisch, Katalanisch, Spanisch, Portugiesisch, Finnisch, Japanisch. Passive Sprachkenntnisse besitzt er darüber hinaus im Schwedischen, Niederländischen, Estnischen, Russischen, Bulgarischen, Serbischen, Rumänischen, Altgriechischen, Lateinischen, Okzitanischen und Walisischen.

Durch seine rege Publikationstätigkeit – mehr als 50 Bücher, gut 200 Aufsätze – gehört zu den weltweit bekanntesten Sprachwissenschaftlern. Er wurde unter anderem mit dem Prix Logos der Association européenne des linguistes, Paris, sowie dem Premio Jean Monnet ausgezeichnet. Seine Bücher wurden in viele Sprachen übersetzt. Bei C. H. Beck erschienen u. a. Geschichte der Schrift (5. Auflage 2017), Weltgeschichte der Sprachen (3. Auflage 2016) sowie zuletzt Vergessene Kulturen der Weltgeschichte (2. Auflage 2019).

Bibliografische Angaben

  • Harald Haarmann (2021): Die seltsamsten Sprachen der Welt – Von Klicklauten und hundert Arten, ‚ich‘ zu sagen. München: C. H. Beck. 206 Seiten, 18,00 Euro, ISBN 978-3406767265. Auf Amazon ansehen/bestellen.

Mehr zum Thema

Weiterführender Link

red, C. H. Beck