Oscar Brandstetter Verlag abgewickelt – Anja Hagel Verlag will digitale Wörterbücher fortführen

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Am 31.12.2021 gingen beim Oscar Brandstetter Verlag die Lichter aus. - Bild: Brandstetter

Nach 72 Jahren kam zum Jahresende 2021 still und leise das Aus: Der in Wiesbaden beheimatete renommierte Wörterbuchverlag Oscar Brandstetter wurde aufgelöst. Die digitalen Ausgaben der Wörterbücher werden vom Anja Hagel Verlag (A:Ha) weitergeführt. Vertriebspartner für die elektronischen Produkte bleibt die Acolada GmbH in Nürnberg.

Wer die Website www.brandstetter-verlag.de aufruft, wird bereits zu www.anja-hagel-verlag.de weitergeleitet.

Nach dem Langenscheidt Verlag, der seit 2019 nur noch als Marke weiterexistiert, geht damit ein weiteres bekanntes Haus unter, dessen Name allen in der Übersetzungsbranche Tätigen ein Begriff ist. Wobei man Brandstetter im Gegensatz zu Langenscheidt nicht vorwerfen kann, die Digitalisierung verschlafen zu haben.

Brandstetter Verlagsliquidation
Im „Börsenblatt – Wochenmagazin für den Deutschen Buchhandel“ erschien im Dezember 2021 dieser Hinweis auf das bevorstehende Verlagsende.

Mehr als 150 Jahre Verlagsgeschichte gehen zu Ende

Die Anfänge der Verlagsgeschichte reichen bis 1844 zurück. Als offizielles Gründungsjahr gilt 1862, wobei das Unternehmen zunächst in erster Linie eine Druckerei war, die erst ab 1880 den Namen Brandstetter trug.

Das Unternehmen nimmt nach dem Einstieg von Oscar Brandstetter und den von ihm eingebrachten Geldmitteln eine rasante Aufwärtsentwicklung, bei der die Produktionsstätten fortlaufend erweitert werden müssen. Unter dem technischen Leiter Otto Säuberlich positioniert es sich als Innovationsführer, greift technische Neuerungen wie die Setzmaschine umgehend auf, entwickelt selbst neue Druckverfahren und kann sich so mehrfach einen Vorsprung vor der behäbigeren Konkurrenz verschaffen.

In der Hochphase der Unternehmensgeschichte vor dem Zweiten Weltkrieg beschäftigte das Druck- und Verlagshaus in der Bücher- und Messestadt Leipzig mehr als 1.500 Mitarbeiter. Nach den im Internet abrufbaren Angaben von Wirtschaftsauskunfteien lag die Zahl der Beschäftigten in Wiesbaden zuletzt bei weniger als zehn.

Porträt Oscar Brandstetter
Oscar Brandstetter (1846 – 1915) im mittleren Lebensalter auf einem Gemälde, das in der Festschrift zum 75-jährigen Bestehen des Hauses im Jahr 1937 abgebildet ist. – Bild: UEPO.de
Mitarbeiterzahl Brandstetter
Diagramm zur Entwicklung der Mitarbeiterzahlen aus dem bereits erwähnten Jubiläumsband. – Bild: UEPO.de

Spezialisierung auf Wörterbücher erst nach Neugründung in Wiesbaden

Die Spezialisierung auf Wörterbücher erfolgte erst mit der Neugründung im westlichen Teil Deutschlands 1950 in Wiesbaden. Das Unternehmen musste sich „neu erfinden“, weil es am alten Standort in Leipzig von Fliegerbomben schwer getroffen wurde. Die verbliebenen Druckmaschinen wurden demontiert, die Unternehmerfamilie enteignet.

Auf der Website des Anja Hagel Verlags wird die Nachkriegsgeschichte kurz skizziert:

Der Oscar Brandstetter Verlag wurde 1950 in Wiesbaden gegründet. Aufbauend auf verbliebenen Wörterbuchresten des Tauchnitz-Verlags begann der Gründer, Wolfgang Brandstetter, mit der Herausgabe hauptsächlich technischer Übersetzungswörterbücher, ein Fachgebiet, auf dem der Verlag in den folgenden Jahrzehnten eine führende Position einnahm.

Der Oscar Brandstetter Verlag gehörte zu den Pionieren bei der Bearbeitung und Herausgabe von Wörterbüchern in digitaler Form. Schon in den frühen 1970er Jahren wurden die Wörterbücher des Verlags in elektronischen Datenbanken erfasst, und bereits 1989 kam die erste CD-ROM in Zusammenarbeit mit einer Gruppe von zehn internationalen Verlagen heraus. Die digitalen Produkte wurden stetig weiterentwickelt, so dass ein Großteil der Wörterbuch auch als Download, App und Online-Anwendung verfügbar war.

2022 beendet der Oscar Brandstetter Verlag seinen Geschäftsbetrieb nach 72 Jahren. Die gedruckten Wörterbücher werden aufgegeben, die Rechte an den digitalen Ausgaben vom Anja Hagel Verlag übernommen.

Brandstetter-Wörterbücher
Ernst, Potonnier, Slabý/Grossmann/Illig: Wörterbuch-Klassiker von Brandstetter. – Bild: Brandstetter

Nur die digitalen Wörterbücher werden fortgeführt

Der Anja Hagel Verlag hat in Harxheim bei Mainz seinen Sitz und wurde eigens für die Übernahme der Brandstetter-Bestände gegründet. Diese wurden bereits zum Jahreswechsel übertragen: „Zum 01.01.2022 hat der Anja Hagel Verlag die Rechte an den digitalen Ausgaben (Downloads, Online-Abos, Apps) der Brandstetter-Wörterbücher übernommen.“

Hagel will sich als „Spezialist für digitale Fachwörterbücher“ positionieren und die seit Jahrzehnten eingeführten Fachwörterbücher fortführen und weiterentwickeln.

Zum Produktportfolio heißt es:

Im Mittelpunkt steht die große und in der ganzen Welt verbreitete zwölfbändige Reihe von Richard Ernst: Wörterbuch der industriellen Technik, deren Bände in den Sprachen Englisch, Französisch, Spanisch und Portugiesisch eine fachlich fundierte Auswahl von Termini der Technik und Naturwissenschaften bringen. Großes Renommee auf dem Gebiet der Fachwörterbücher genießt auch das Wörterbuch der exakten Naturwissenschaften und der Technik von Antonín Kučera.

Spezialwörterbücher liegen u. a. vor für Bildtechnik, Chemie, Kraftfahrzeugtechnik und Umwelttechnik.

Eine feste Marktstellung hat das Wörterbuch für Wirtschaft, Recht und Handel von Georges Ed. und Brigitte Potonnier, bearbeitet von Danièle Vernet, in den Sprachrichtungen Deutsch-Französisch und Französisch-Deutsch.

Ein bedeutendes Wörterbuch der Allgemeinsprache rundet das Verlagsprogramm ab: das Wörterbuch der spanischen und deutschen Sprache von Rudolf Slabý und Rudolf Grossmann, neu bearbeitet von Carlos Illig, das umfangreichste Wörterbuch dieses Sprachpaars, das zur Zeit auf dem Markt ist.

Brandstetter-Logo
Im Vorkriegslogo hält der Greif noch kein Buch in der Hand, sondern er musiziert auf einer der beiden Harfen, die seine Flügel bilden. Ein Hinweis auf den Beginn des Unternehmens als hochgradig spezialisierte „Notenstecherei und Musikaliendruckanstalt“. – Bild: UEPO.de

Für Übersetzer ändert sich erst einmal nichts, aber Brandstetter ist Geschichte

Durch den bereits erfolgten fließenden Übergang zu A:Ha ändert sich für Fachübersetzer, die Brandstetter-Produkte gekauft oder abonniert haben, erst einmal nichts. Die digitalen Ausgaben des Ernst, Kučera oder Potonnier können nach wie vor über Acolada bezogen und aktualisiert werden.

Das Verlagshaus Brandstetter, das Generationen von Übersetzern ein Begriff war, ist aber Geschichte. Der eingeführte und bekannte Name wird offenbar nur als Marke für die bereits existierenden elektronischen Wörterbücher fortgeführt. Diese sollen auch weiter aktualisiert werden.

Literaturhinweis

  • Walter Lange (1937): Der harfende Greif. Dreiviertel Jahrhundert im Dienste der Schwarzen Kunst. Leipzig: Oscar Brandstetter. Festschrift zum 75-jährigen Bestehen (1862 – 1937).

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Richard Schneider