Die 74. Frankfurter Buchmesse (19.-23. Oktober 2022) hat sich nach Ansicht der Veranstalter erneut als wichtigster internationaler Treffpunkt der Buch- und Medienbranche erwiesen.
Ungewöhnlich: mehr Fach- als Privatbesucher
Mit 93.000 Fachbesuchern (2021: 36.000 Fachbesucher) und 87.000 Privatbesuchern (2021: 37.500) war die Frankfurter Buchmesse wieder erfreulich stark frequentiert, auch wenn sie noch deutlich von alter Größe entfernt ist.
Über 4.000 Aussteller aus 95 Ländern präsentierten sich in den Hallen, im Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) und an den neuen Workstations. Rund 6.400 Medienvertreter berichteten über die Veranstaltung. Das Literary Agents & Scouts Centre (LitAg), das Herz der Fachmesse, war mit mehr als 450 Arbeitsplätzen und rund 300 Agenturen sogar überbucht.
Zunehmende Politisierung in Kriegs- und Krisenzeiten
Die Messe zeigte sich so politisch wie nie, was sich vor allem in ihrem mit Partnern kuratierten Veranstaltungsprogramm widerspiegelte. Im Frankfurt Pavilion diskutierten Politiker, Kulturschaffende, Autoren und Übersetzer engagiert über die Protestbewegung im Iran, über die Situation der Menschen in der Ukraine, über Spaltungstendenzen in der Gesellschaft und über die russische Opposition.
Die Politisierung aller Lebensbereiche mit dem Trend zur Einheitsmeinung wird von Kriegstreibern und Aktivisten gefeiert, ist für andere aber ein unheilvolles Indiz dafür, dass die deprimierende Gegenwart Europas möglicherweise in eine noch schrecklichere Zukunft führen wird.
Motto „Translate. Transfer. Transform.“ rückte Übersetzungen ins Blickfeld
Mit dem Motto „Translate. Transfer. Transform.“ stellte die diesjährige Buchmesse die Arbeit von Übersetzern in den Mittelpunkt. Rund 1.500 Besucher kamen zum Bühnenprogramm des „Internationalen Zentrums für Übersetzung“, um dort an einer der fast 30 Veranstaltungen teilzunehmen.
„Gegenmittel zur Polarisierung“, „Fest der Buchbegeisterung“
Juergen Boos, Direktor der Frankfurter Buchmesse, zeigt sich zufrieden:
Inmitten einer bedrückenden weltpolitischen Lage sendete diese Messe wichtige Signale: Das persönliche Gespräch ist in Zeiten aufgeheizter Debatten ein Gegenmittel zur Polarisierung.
Es zeigt sich, wie wichtig die Frankfurter Buchmesse als Treffpunkt der internationalen Publishing-Community ist: Hier werden an wenigen Tagen wertvolle Beziehungen gepflegt und geknüpft. Wir ziehen eine positive Bilanz und freuen uns über fünf erfolgreiche Messetage.
Auch Karin Schmidt-Friderichs, Vorsteherin des Börsenvereins des Deutschen Buchhandels, freut sich, dass es nach dem Corona-Tiefpunkt 2020 wieder aufwärts geht:
Die Frankfurter Buchmesse war ein großes Fest der Buchbegeisterung und der Demokratie. In vollen Messegängen und bei lebendigen Debatten spürte man deutlich die Kraft von Büchern, die Freude des Wiedersehens und den Willen zur konstruktiven Auseinandersetzung mit den Themen der Zeit.
Drängende Fragen der Gegenwart standen auf der Tagesordnung – von der Situation in der Ukraine und im Iran bis hin zu Themen wie Diversität und dem Zusammenleben in unserer Gesellschaft.
Die Frankfurter Buchmesse gab so wichtige Anstöße angesichts der aktuellen Herausforderungen in Branche, Gesellschaft und Weltpolitik. Damit konnte die Frankfurter Buchmesse ihre Bedeutung als wichtigster Handelsplatz für Bücher sowie als Ort der Vielfalt und des friedlichen Austauschs unterstreichen.
Ehrengast Spanien mit vielfältigen literarischen Stimmen
Unter dem Motto „Sprühende Kreativität“ präsentierte sich der Ehrengast Spanien mit sprachlicher und kreativer Vielfalt. Insgesamt sind seit Projektbeginn im Jahr 2019 rund 400 neue Bücher in deutscher Sprache sowie zahlreiche Titel in anderen europäischen Sprachen erschienen.
Spanien hat auf der diesjährigen Frankfurter Buchmesse mit zahlreichen Veranstaltungen auf der Messe und vielen weiteren über das Messegelände hinaus gezeigt, wie greifbar die Theorie der spanischen Schriftstellerin Carmen Martín Gaite ist: Geschichten sind wie Kirschen – wenn du an einer ziehst, bekommst du eine weitere dazu. Weltstars wie Rosa Montero, Arturo Pérez-Reverte und Fernando Aramburu waren in Frankfurt zu Gast.
Und so zieht auch Maria José Gálvez für den Ehrengast Spanien eine positive Bilanz:
Wir haben die große spanische Literatur geehrt und neuen vielversprechenden Stimmen eine Bühne geboten. Wir hoffen, dass die in und um Frankfurt neu geknüpften und vertieften Verbindungen zu Lesenden, Verlagen und Buchfreunden aus aller Welt noch lange Bestand haben.
Lebhafter Rechte- und Lizenzhandel, LitAg-Zentrum ausgebucht
Der Hauptgrund nach Frankfurt zu kommen, besteht für die Verlage im schwunghaften Rechtehandel, der sich hinter geschlossenen Türen in von der Öffentlichkeit abgeschotteten Räumen vollzieht. Es gibt weltweit keinen wichtigeren Marktplatz für die Bücherbranche.
Die im Literary Agents & Scouts Centre (LitAg) vertretenen Agenturen waren 2022 mit ihren Geschäften sehr zufrieden. Literaturagentin Maria Cardona Serra von Aevitas Creative Management (UK/USA) fasst zusammen: „Es war großartig, auf eine pulsierende Messe zurückzukommen. Das LitAg war voll, man spürte die positive Energie und es fanden zahlreiche Vertragsabschlüsse statt.“
Massive Erhöhung der Eintrittspreise: Fachbesucherticket um 61 Prozent teurer
Der Eintritt zur Buchmesse kostete 2022 an den Fachbesuchertagen 79 Euro. Im Vorjahr waren es 49 Euro. Das entspricht einer Verteuerung um 61,22 % innerhalb eines Jahres. Privatbesucher mussten am Wochenende (Fr.-So.) 25 Euro für ein Tagesticket berappen (Vorjahr 19 Euro), das sind 31,58 Prozent mehr als 2021.
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Richard Schneider