„Zwischen alter ego und ego“ – Dörte Andres über die Memoiren von Schmidt, Jacob, Dollmann und Kusterer

Paul Schmidt
Dolmetscher Dr. Paul Schmidt (2. von rechts) mit Chamberlain, Mussolini und Hitler auf der Münchner Konferenz zur Beilegung der Sudetenkrise am 29.09.1938

„Sprachautomat, Blitzableiter, Abladeplatz für schlechte Laune, alter ego, sprechendes
Werkzeug – so beschreiben sich Dolmetscher in ihren Memoiren. Weshalb? Was waren ihre Erfahrungen? Wie sah ihre Arbeit aus und was erfahren wir über den Dolmetscher als Mensch?“ Dieser Frage geht die Germersheimer Professorin Dörte Andres in einem Aufsatz mit dem Titel „Dolmetscher-Memoiristen – zwischen alter ego und ego“ nach.

Andres stellt die Memoiren von vier Dolmetschern unter verschiedenen Gesichtspunkten einander gegenüber. Alle vier haben gemeinsam, dass sie beim Auswärtigen Amt beschäftigt waren: Hans Jacob von 1926-1932, Dr. Paul Schmidt von 1923-1945, Dr. Eugen Dollmann von 1937-1945 und Hermann Kusterer von 1951-1971.

Alle arbeiten für denselben Arbeitgeber, sind jedoch völlig andere Charaktere:

Im Gegensatz zu seinen Kollegen findet man bei Schmidt nichts Anekdotisches, keine Ironie, keine Situationskomik, keinen Humor. […] Schmidts nüchterner Stil und seine persönliche Bescheidenheit kontrastieren mit Dollmanns „Unernst“ und Eigenmächtigkeit. Um Streit zu vermeiden, verfälscht Dollmann komplett ganze Ausführungen seines Gesprächspartners. […] Unbekümmert beschreibt Dollmann seine Eigenmächtigkeit, nüchtern beschreibt Schmidt sein Wirken und Erleben, humorvoll schreibt Jacob über seine Kollegen und die Arbeit beim Völkerbund.

Auch mit der Dolmetschethik halten sie es unterschiedlich:

„Mir [Kusterer] ist, Gott sei Dank, der Gewissensnotstand erspart geblieben“. Schmidt nicht. Dollmann nicht. Jacob nicht. Schmidt wurde nach dem Krieg von seinen Kollegen gemieden, weil er unter Hitler [im Sprachendienst] blieb. […] [Kusterer] hält jedoch Schmidt zugute, daß dieser, wie auch Jacob selbst in seinen Memoiren schreibt, [dem Juden] Jacob das Leben gerettet habe. […] Im übrigen beschränkte sich Schmidt nach seinen eigenen Worten auf seine „eigentliche, neutrale Dolmetschertätigkeit“.

Für Jacob setzt hingegen sein Gewissen die moralische Grenze in seiner unparteiischen Mittlerfunktion. Im Gegensatz zu Schmidts Verhalten gibt es für ihn „kein Paktieren“ mit dem nationalsozialistischen System. So sagt er zu Schmidts Verhalten: „Schmidt […] war in meinen Augen zum Feind übergelaufen“.

Das obige Video (2:37 Minuten) zeigt Dr. Paul Schmidt, wie er bei den Nürnberger Prozessen als Zeuge aussagt.

Auf der Website des FTSK Germersheim können Sie den undatierten Aufsatz von Dörte Andres als zwölfseitige PDF-Datei herunterladen.

Mehr zum Thema

[Text: Richard Schneider. Quelle: FTSK Germersheim. Bild: Vermutlich Auswärtiges Amt oder Propagandaministerium.]

Leipziger Buchmesse 2024