In Österreich ist in den vergangenen Jahren die Zustimmung zum Gendern gesunken, wie eine Studie des Linzer Meinungsforschungsinstituts IMAS (Institut für Markt- und Sozialanalysen Ges.m.b.H.) ergab, die vom 10. Januar bis 5. Februar 2024 durchgeführt wurde. Gleichzeitig nahm der Anteil derjenigen zu, die diese vermeintlich geschlechtergerechte Sprache ablehnen.
Genderdiskussion allgegenwärtig
Zu den Beweggründen für die Studie schreibt das IMAS (das auf seiner Website mit dem Doppelpunkt gendert):
Nicht nur in der Wissenschaft, sondern auch in anderen Bereichen der österreichischen Sprachwelten, ist die Anwendung geschlechtsneutraler Formulierungen immer stärker präsent.
In der Öffentlichkeit wurde in den letzten Jahren beispielsweise nicht nur durch die adaptierte Version der Bundeshymne, die Überarbeitung von Schulbüchern usw. eine kontroversielle Diskussion über die Notwendigkeit des Gebrauchs einer geschlechtsneutralen und geschlechtergerechten Sprache geführt, sondern mittlerweile füllt diese Entwicklung auch Wahlprogramme von Parteien. In manchen Bereichen der Verwaltung ist sie indessen untersagt.
Diese Diskussion weckte zum wiederholten Male seit 2016 die demoskopische Neugier des IMAS-Forschungsstabs, um der Frage innerhalb einer Eigenstudie nachzugehen, ob die geschlechtergerechte Sprachwelt auch ein wichtiges Ziel – das stärkere „Sichtbarmachen“ von Frauen durch die Sprache – erreichen kann.
Drei wesentliche Studienergebnisse
Das Institut fasst die Erkenntnisse der Umfrage in drei Punkten zusammen:
- Geschlechterneutrale Sprache: Kenntnis relativ hoch, aber Verwendung gering
Mehr als drei Fünftel der Österreicher:innen haben schon einmal etwas von der geschlechterneutralen Sprache gehört oder gelesen, dies entspricht einem Plus von sechs Prozentpunkten seit 2016. Das Gendern wird aber kaum angewandt, nur vier Prozent gendern immer, zwölf Prozent manchmal. - Dynamik spricht gegen Gendern: 63 Prozent gehen nicht von einer richtigen Richtung aus
Mittlerweile halten mehr als drei Fünftel die Entwicklungen der geschlechterneutralen Sprache alles in allem für nicht richtig. Im Trend zeigt sich ein eindeutiges Bild: Seit 2016 legt die Kontraposition um 17 Prozentpunkte zu, der Eindruck der richtigen Richtung ging um acht Prozentpunkte zurück. - Halbgruppen-Experiment zeigt: Trotz Genderns werden Frauen nicht „sichtbarer“
Das Halbgruppen-Experiment in drei gesellschaftlichen Bereichen zeigt: Trotz genderneutraler Formulierung in der Frage der spontanen Bekanntheit von Persönlichkeiten werden Frauen nicht häufiger genannt. Die Ergebnisse in beiden Halbgruppen bringen kaum Unterschiede zwischen der Gruppe mit und ohne geschlechtsneutraler Fragestellung.
Im Alltag wird kaum gegendert
Anteil Befürworter in 8 Jahren minus 8 Prozentpunkte, Gegner plus 17
Gendern „eher unwichtig“ bis „überhaupt nicht wichtig“
Knapp zwei Drittel der Befragten halten die „geschlechterneutrale“ Sprache für eher unwichtig oder überhaupt nicht wichtig, um die Stellung der unterschiedlichen Geschlechtergruppen in der Gesellschaft zu fördern, wie die nachfolgende grafische Auswertung zeigt:
Werden Frauen durchs Gendern „sichtbarer“? Nicht nachweisbar
Um zu überprüfen, ob Frauen durch das Gendern tatsächlich sichbarer werden, wurde ein so genanntes Split-Ballot-Experiment durchgeführt:
Das gesamte österreichweite Sample von n=1.025 Personen wurde in zwei nahezu gleich große, repräsentative Halbgruppen aufgeteilt. In beiden Halbgruppen ging es darum, spontan Persönlichkeiten des öffentlichen Lebens aus drei Kategorien zu nennen, nämlich aus Politik, Sport und Popmusik.
Es wurde eine offene Frage nach der spontanen Bekanntheit dieser Persönlichkeiten gestellt: In einer Halbgruppe (n=510) wurde die geschlechtsneutrale Formulierung verwendet, in der anderen Halbgruppe (n=516) nicht – dort wurde die männliche Form verwendet. Das Experiment wurde anhand von persönlichen Interviews face-to-face durchgeführt, wobei die Stichprobenbildung durch das Quotaverfahren erfolgte.
Die Ergebnisse der konkreten spontanen Bekanntheitsgrade waren ein erster Zwischenschritt, um sich der Forschungshypothese „Eine geschlechtsneutrale Formulierung erhöht die Sichtbarkeit von Frauen“ zu nähern.
Insgesamt ist festzuhalten, dass in allen drei Kategorien in der spontanen Nennung kaum Unterschiede zwischen den beiden Halbgruppen auftauchen.
Es scheint, dass die geschlechterneutrale Sprache nicht nur in der Gesamtbevölkerung, sondern auch unter Frauen oder Männern zu keinem höheren Anteil an Nennungen von Frauen führt.
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Richard Schneider