
Am 1. April 2025 tritt das im Juli 2024 verabschiedete Gesetz zur Stärkung des Justizstandortes Deutschlands in Kraft. Das Bundesland Hessen hat jetzt mitgeteilt, dass es die dadurch geschaffene Möglichkeit zur Einrichtung so genannter Commercial Courts, die vollständig auf Englisch verhandeln dürfen, zügig nutzen will.
Die Umsetzung soll durch Verordnungen der Landesregierung erfolgen. Das einzige Oberlandesgericht (OLG) Hessens in Frankfurt am Main und das dortige Landgericht sind gehalten, „rechtzeitig und mit Nachdruck entsprechende organisatorische Maßnahmen“ zu ergreifen. Zum 1. Juli 2025 will die Justiz in Hessen dann mit einem eigenen Commercial Court am OLG sowie einer Commercial Chamber am Landgericht startbereit sein.
Auf seiner Website erläutert das hessische Justizministerium die Funktionsweise:
Was sind Commercial Courts und Commercial Chambers?
Commercial Courts sind spezialisierte Wirtschaftssenate an Oberlandesgerichten. Sie bieten die Möglichkeit, zivilrechtliche Streitigkeiten zwischen Unternehmerinnen und Unternehmern, zwischen einer Gesellschaft und ihren Vorstands-/Aufsichtsratsmitgliedern sowie Differenzen zu Unternehmenskäufen oder Anteilen an einem Unternehmen zu verhandeln. Hier können solche Wirtschaftszivilsachen ab einem Streitwert von 500.000 Euro erstinstanzlich bei entsprechender Parteivereinbarung geführt werden.
Commercial Chambers können bei Landgerichten als Zivilkammern und Kammern für Handelssachen eingerichtet werden und verhandeln Wirtschaftszivilsachen ab einem Streitwert von 500.000 €.
Rechtliche Grundlage für die Errichtung von Commercial Courts und Commercial Chambers bildet das Justizstandortstärkungsgesetz, welches am 10. Oktober 2024 verkündet wurde und zum 1. April 2025 in Kraft tritt. Es enthält Ermächtigungsgrundlagen, die es den Ländern ermöglichen, Commercial Courts und Commercial Chambers zu errichten.
In Umsetzung des Justizstandortstärkungsgesetzes sind in Hessen die Errichtung neuer Spruchkörper am Oberlandesgericht Frankfurt am Main (Commercial Court) sowie am Landgericht Frankfurt am Main (Commercial Chambers) vorgesehen.
Was sind die Vorteile?
-
- Verfahren können in der Verhandlungssprache Deutsch oder Englisch geführt werden.
- Effiziente und maßgeschneiderte Organisation des Verfahrens mittels eines frühzeitigen Organisationstermins zur Strukturierung der weiteren Verfahrensführung (§ 612 ZPO nF). Komplexe Verfahren können so – bei Bedarf auch per Videokonferenz – vorbesprochen und der Verfahrensstoff abgeschichtet werden.
- Alle Parteien haben die Möglichkeit, bei der Verhandlung über Geschäftsgeheimnisse die Öffentlichkeit auszuschließen und den Verfahrensgegner verstärkt zur Diskretion über die erlangten Erkenntnisse zu verpflichten (§ 273a ZPO nF).
- Optional kann ein Wortprotokoll über die Verhandlung geführt werden (§ 613 ZPO nF).

Commercial Courts existieren seit 2020 bereits in Stuttgart und Mannheim
Die Justiz in Baden-Württemberg ist bereits vor einigen Jahren vorangeprescht und hat im November 2020 im Rahmen der damaligen Möglichkeiten spezialisierte Zivilspruchkörper als Commercial Courts eingerichtet.
Inzwischen wurden vermutlich rund zwei Dutzend Verfahren geführt. Mitte 2022 hieß es in einer Pressemitteilung:
Seit Gründung des Stuttgart Commercial Court im Oktober 2020 hat sich die 31. Kammer für Handelssachen (Stand: Mai 2022) mit 13 Streitigkeiten aus beiderseitigen Handelsgeschäften mit Streitwerten über 2 Mio. EUR befasst, von denen bereits drei erledigt werden konnten (alle durch unstreitige Erledigung). Eines der noch anhängigen Verfahren enthält u.a. einen Zahlungsantrag über mehr als 68 Mio. EUR und überschreitet damit sogar die Streitwertgrenze bei den Gebühren. In den genannten 13 Verfahren streiten die Parteien insgesamt um über 180 Mio. EUR (im Durchschnitt pro Verfahren: rund 13,9 Mio. EUR).
Die Überschriften der Mitteilungen zu abgeschlossenen Verfahren zeigen, welche wirtschaftsrechtlichen Fälle typischerweise verhandelt werden:
- Mannheim Commercial Court verurteilt Automobilzulieferer zu umfangreichem Schadensersatz (17.07.2023)
- 31. Kammer für Handelssachen des Stuttgart Commercial Court schlichtet Streit eines Zulieferers der Automobilindustrie mit einem Lieferanten im Eilverfahren (15.08.2022)
- Entscheidung des Commercial Court of Appeal des Oberlandesgerichts Karlsruhe (05.08.2022)
- Landgericht Stuttgart erklärt mehrere Hauptversammlungsbeschlüsse der Heckler & Koch AG für nichtig [31. Kammer für Handelssachen ist in Stuttgart Commercial Court eingebunden] (05.08.2022)
- Erfolgreiche Konfliktschlichtungen bei der 31. Kammer für Handelssachen (17.05.2022)
- Internationaler Unternehmenskauf nach Verhandlung auf Englisch gütlicher Einigung zugeführt (14.01.2022)
- 2024-07-18: Englisch als Gerichtssprache – Bundestag beschließt Einführung von Commercial Courts
- 2022-07-04: FDP will Englisch als „zusätzliche Verwaltungssprache“ einführen
- 2018-03-03: Bundesrat unternimmt dritten Anlauf zur Einführung von Englisch als Gerichtssprache
- 2014-02-09: Neuer Anlauf: Hamburg und Nordrhein-Westfalen wollen Englisch als Gerichtssprache ermöglichen
- 2010-05-23: Im Namen der Globalisierung: Englisch als Gerichtssprache in Deutschland
- 2010-05-08: Bundesrat: Auch Englisch soll zulässige Gerichtssprache sein
Richard Schneider