Dolmetscherin live im Fernsehen: „Ich höre nichts. Ich hab kein Signal. Kein Bild und kein Ton.“

Putin, Scholz
Scholz musste am berühmten langen Tisch Platz nehmen, weil er sich weigerte, von russischen Ärzten einen Corona-Test durchführen zu lassen. - Bild: Pressebild Kreml

Die Nachrichtensender n-tv und Welt, seltener auch Phoenix, gehören zu den zuverlässigsten Lieferanten von Dolmetschpannen. So auch am 15. Februar 2022 bei der mit Spannung erwarteten Pressekonferenz von Bundeskanzler Olaf Scholz und Wladimir Putin.

Kurz nach Beginn der Direktübertragung ist klar, dass etwas mit der Verdolmetschung nicht stimmt. Ein offenbar des Russischen mächtiger Moderator gibt die Worte von Putin zusammenfassend wieder. Das ist hilfreich, aber keine Verdolmetschung.

Dann hören die Zuschauer eine Dolmetscherin angespannt ins Mikrofon sagen:

Ich höre nichts. Ich hab kein Signal. Kein Bild und kein Ton. Ich kann nicht übersetzen. [Und nach längerer Pause erneut:] Ich kann nicht übersetzen.

Der Hilferuf war nicht an die Zuschauer, sondern an die Regie gerichtet und hätte nicht über den Sender gehen sollen. Aber wenn schon einmal etwas schief läuft, dann richtig.

Nach einer gefühlten Ewigkeit, bei der es sich aber nur um zwei Minuten handelte, gelang es den Tontechnikern dann, die Frau in der Kabine mit Bild und Ton zu versorgen. Sie begann umgehend zu dolmetschen und konnte den Zuschauern in den restlichen 15 Minuten der Pressekonferenz vermitteln, was der russische Präsident der Weltöffentlichkeit mitzuteilen hatte.

Scholz, Putin, Pressekonferenz
Scholz und Putin auf der im Anschluss an die Gespräche ebenfalls mit viel Abstand durchgeführten Pressekonferenz, auf der sich die Panne ereignete. – Bild: Sergey Guneev / Kreml

Technische Pannen gehören zum Berufsalltag der Konferenzdolmetscher

Alle Konferenzdolmetscher erleben früher oder später Situationen wie diese. Das ohnehin schon hohe Stresslevel beim Simultandolmetschen wird dadurch zusätzlich erhöht.

Dennoch gilt es, einen kühlen Kopf zu bewahren. Wie man angemessen damit umgeht, sollte auch Gegenstand der Ausbildung sein.

Olaf Scholz
Olaf Scholz und sein Gegenüber waren verkabelt. Die Dolmetscher saßen in der Kabine und nicht mit am Tisch, obwohl dort mehr als genug Platz gewesen wäre. – Bild: Bildschirmfoto Direktübertragung

Putin und Scholz trugen Ohrhörer – Dolmetscher aus Kabine zugeschaltet

Entgegen früheren Konsultationen Putins mit dem ungarischen und dem iranischen Regierungschef nahmen am langen Tisch keine Dolmetscher Platz. Diese wurden stattdessen aus der Kabine zugeschaltet. Putin und Scholz trugen Ohrhörer auf der Seite, die der Kamera abgewandt war.

Sender schneidet Panne aus Aufzeichnung heraus

Auf dem YouTube-Kanal des Nachrichtensenders Welt steht eine Aufzeichnung der Pressekonferenz zur Verfügung. Die Panne zu Beginn hat man kurzerhand rausgeschnitten, sodass einige Minuten fehlen und die Pressekonferenz nicht vollständig dokumentiert ist.

Allerdings hat ein Twitter-Nutzer die entscheidenden Minuten mitgeschnitten und auf dem Kurznachrichtendienst veröffentlicht:

USA prognostizierten Einmarsch der Russen in die Ukraine

Anlass für das Treffen von Scholz und Putin war der von den USA für den 16. Februar auf der Grundlage nicht näher bezeichneter „Geheimdienstinformationen“ prognostizierte Einmarsch der Russen in die Ukraine.

Das Schreckensszenario war von Russland stets dementiert worden und selbst die Regierung der Ukraine hielt es nicht für wahrscheinlich. Aber immerhin hatte Russland in den Wochen zuvor entlang der Grenze zur Ukraine und in Weißrussland (Belarus) mehr als 100.000 Soldaten zu Manövern zusammengezogen. Eine Drohkulisse, die als Vorbereitung einer Invasion gedeutet werden konnte.

Ein Wort in eigener Sache

Immer wieder werfen Stimmen aus den Berufsverbänden UEPO.de vor, durch das Aufspießen derartiger Pannen dem Ansehen der Berufsgruppe zu schaden.

Während Berufsverbände durchaus die Aufgabe haben, für eine möglichst positive Außendarstellung der Berufsgruppe zu sorgen, ist UEPO.de aber eben kein Verband, sondern ein Nachrichtenportal.

Wir bemühen uns, die Berufspraxis so darzustellen, wie sie ist. Dazu gehören auch Dolmetschpannen, Übersetzungsfehler, windige Übersetzungsbüros, unfähige oder korrupte Dolmetscher und auch die Querelen und Intrigen in den Branchenverbänden.

Es geht uns nicht darum, Kollegen der Lächerlichkeit preiszugeben, sondern die Realität abzubilden und zu dokumentieren. Dazu gehören auch die negativen Aspekte der Berufsausübung und offensichtliche Missstände. Wer diese beheben will, darf vor ihnen nicht die Augen verschließen.

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Richard Schneider