Hessische Justiz hatte 2021 Dolmetschkosten von 9,68 Mio. Euro bei 3.854 Strafverfahren mit Dolmetscher-Beteiligung

Justitia Wuppertal
Die Justitia am Eingang des alten Rathauses von Wuppertal-Elberfeld. - Bild: Richard Schneider

Der Abgeordnete Dr. Dr. Rainer Rahn (AfD) hat im November 2022 im hessischen Landtag eine Kleine Anfrage mit dem Titel „Dolmetscher vor hessischen Gerichten und Behörden“ eingebracht. Der frühere Zahnarzt war damals noch Mitglied der Partei, im Dezember 2022 ist er ausgetreten und seitdem fraktionsloses Mitglied des Landtags.

Jetzt liegen die Antworten des Justizministeriums vor, aus denen Folgendes hervorgeht:

  • Die Dolmetschkosten für den Bereich der Gerichte beliefen sich 2021 auf 9,68 Millionen Euro.
  • Im Jahr 2021 fanden in Hessen 3.854 Strafverfahren mit Dolmetscherbeteiligung statt. Rechnerisch ergeben sich damit Dolmetschkosten von 2.500 Euro pro Verfahren.
  • Zu den zehn häufigsten Sprachen zählen Arabisch, Bulgarisch, Englisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Serbisch, Türkisch.
  • Dem Ministerium sind nur zwei Fälle bekannt, in denen es zunächst nicht gelang, einen Dolmetscher zu finden. Dabei ging es um die Sprache Nuer aus dem Süd-Sudan.
  • Der Landesregierung sind keine Fälle bekannt, in denen unqualifizierte Dolmetscher zum Einsatz kamen (ohne Prüfung oder Beeidigung).
  • Das Ministerium sieht im Gerichtsdolmetschergesetz (GDolmG) und der darin vorgesehenen Befristung der Beeidigung auf fünf Jahre „eine weitere Qualitätsverbesserung des Dolmetscherwesens“.
Dr. Dr. Rainer Rahn
Dr. Dr. Rainer Rahn – Bild: Rahn

Nachfolgend die Antwort auf die Kleine Anfrage im Wortlaut:

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Hessischer Landtag, Drucksache 20/9604, 15.02.2023

Kleine Anfrage

Dr. Dr. Rainer Rahn (AfD) vom 24.11.2022, „Dolmetscher vor hessischen Gerichten und Behörden“

und

Antwort

Minister der Justiz

Vorbemerkung Fragesteller:

Die Regelungen des § 185 GVG sowie des § 259 StPO bestimmen, dass in Gerichtsverfahren ein Dolmetscher hinzuzuziehen ist, wenn unter Beteiligung von Personen verhandelt wird, die der deutschen Sprache nicht mächtig sind. Der Bundesverband der Dolmetscher und Übersetzer (BDÜ) hat – insbesondere im Hinblick auf die Zuwanderung in den vergangenen Jahren – einen zunehmenden Bedarf an Dolmetschern festgestellt und beklagte, dass häufig kaum oder nicht qualifizierte Dolmetscher für sensible Einsätze – wie z. B. in der Justiz – herangezogen werden.

Vorbemerkung Minister der Justiz:

Dolmetscherinnen und Dolmetscher leisten einen überaus wichtigen Beitrag, um den grundgesetzlich garantieren Anspruch auf rechtliches Gehör und damit den Zugang zum Recht zu sichern. Das Dolmetschen ist eine anspruchsvolle Tätigkeit. Dolmetscherinnen und Dolmetscher müssen nicht nur die Sprache aus der übersetzt wird, sondern auch die deutsche Sprache sehr gut beherrschen. Hinzu kommt das Erfordernis der Kenntnis von Fachbegriffen in beiden Sprachen. Deshalb gelten hohe Qualitätsmaßstäbe.

Seit dem 1. Januar 2023 ist der Bereich des Dolmetscherwesens zur Qualitätssicherung erstmals durch den Bundesgesetzgeber geregelt. Inhaltlich ändert sich für die hessischen Dolmetscherinnen und Dolmetscher hierdurch nichts, da auch nach dem früheren Hessischen Dolmetscher- und Übersetzergesetz bereits sehr hohe Qualitätsstandards vorgegeben waren, vor allem durch die fachliche Prüfung durch die im Kultusressort angesiedelte Hessische Lehrkräfteakademie.

Neu ist eine Befristung der allgemeinen Beeidigung, so dass nach Ablauf ein Verlängerungsantrag gestellt werden muss, um dadurch regelmäßige Überprüfungen der Zuverlässigkeit sicher zu stellen. Dies stellt eine weitere Qualitätsverbesserung des Dolmetscherwesens dar. Da die bundesgesetzliche Regelung ausschließlich die allgemeine Beeidigung von Gerichtsdolmetscherinnen und Gerichtsdolmetschern regelt, bedurfte es daneben eines neuen Hessischen Dolmetscher- und Übersetzergesetzes, obschon sich das vorangegangene Hessische Dolmetscher- und Übersetzergesetz sowohl inhaltlich als auch praktisch bewährt hat.

Es versteht sich von selbst, dass sich im Rahmen eines gerichtlichen Verfahrens jede und jeder Verfahrensbeteiligte verständigen können und umgekehrt auch verstanden werden muss. Deshalb ist es ein ureigenes Interesse der Richterinnen und Richter, fähige Dolmetscherinnen und Dolmetscher in den Prozess einzubeziehen. Die Entscheidung, welche Dolmetscherin oder welcher Dolmetscher im jeweiligen Einzelfall herangezogen wird, treffen die Richterinnen und Richter in verfassungsrechtlich garantierter richterlicher Unabhängigkeit.

Diese Vorbemerkungen vorangestellt, beantworte ich die Kleine Anfrage im Einvernehmen mit dem Minister des Innern und für Sport wie folgt:

Frage 1: In wie vielen Verfahren haben hessische Gerichte in den Jahren 2019 bis 2021 jeweils aufgrund der zitierten Bestimmungen die Unterstützung von Dolmetschern in Anspruch genommen?

In der nachstehenden Tabelle ist die Anzahl der erledigten Strafverfahren aufgeführt, in denen an der Hauptverhandlung eine Dolmetscherin oder ein Dolmetscher teilgenommen hat.

2018

2020

2021

4.487

3.673

3.854

Eine weitergehende statistische Erfassung findet nicht statt. Eine händische Auswertung sämtlicher Vorgänge wäre in dem zur Beantwortung der Kleinen Anfrage vorgegebenen Zeitrahmen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich.

Frage 2: Welche Sprachen – die 10 häufigsten – betrafen die unter 1. aufgeführten Fälle vorwiegend?

Bei den verschiedenen Fachgerichtsbarkeiten wurden am häufigsten folgende Sprachen erfasst [in alphabetischer Reihenfolge]:

  • Hessisches Finanzgericht: Bulgarisch, Englisch, Chinesisch, Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Serbisch, Türkisch
  • Hessisches Landesarbeitsgericht: Arabisch, Bulgarisch, Englisch, Indisch (urdu, punjabi), Italienisch, Kroatisch, Polnisch, Rumänisch, Russisch, Türkisch
  • Hessischen Verwaltungsgerichtshof: Arabisch, Dari, Englisch, Farsi, Kurmanci und andere kurdische Dialekte (Sorani, Zaza), Oromo Paschtu/Paschto, Urdu, Somali, Tigrinya

Im Übrigen findet eine statistische Erfassung nicht statt. Eine händische Auswertung sämtlicher Vorgänge wäre in dem zur Beantwortung der Kleinen Anfrage vorgegebenen Zeitrahmen nur mit unverhältnismäßigem Aufwand möglich.

Frage 3: Sind der Landesregierung Fälle bekannt, in denen in einem Gerichtsverfahren kein geeigneter vereidigter Dolmetscher zur Verfügung stand, z. B. weil es sich um eine sehr selten gesprochene Sprache handelte?

Es wurde von zwei Fällen bei einem Amtsgericht berichtet, in denen zunächst keine geeignete Dolmetscherin bzw. kein geeigneter Dolmetscher zur Verfügung gestanden habe. In diesen beiden Betreuungsverfahren habe es sich um die im Süd-Sudan gesprochene Sprache Nuer gehandelt. Im ersten Fall habe die Verständigung rudimentär auf Englisch erfolgen müssen. Im zweiten habe ein gestellter Dolmetscher in der Sitzung beeidigt werden können, der über Flüchtlingshelfer vermittelt worden sei.

Frage 4: Wie häufig wurde in Verfahren vor hessischen Gerichten Dolmetscher herangezogen, die nicht die für Gerichtsdolmetscher erforderliche Qualifikation (Prüfung, Eidesleistung) besaßen, z. B. weil für die geforderte Sprache kein solcher zur Verfügung stand?

Der Landesregierung sind keine Fälle bekannt.

Frage 5: Wie häufig werden Dolmetscher von hessischen Ämtern und Behörden, z. B. Polizei, herangezogen, um eine Verständigung zu ermöglichen?

Frage 6: Welche fachliche bzw. formale Qualifikation müssen die unter 5. aufgeführten Dolmetscher aufweisen?

Frage 8: Wie hoch sind die jährlichen Gesamtkosten für die Jahre 2019 bis 2021, die das Land für Dolmetscher aufwendet, die vor Gerichten und Behörden in Hessen tätig sind?

Die Fragen 5., 6. und 8. werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Eine Abfrage von sämtlichen hessischen Ämtern und Behörden steht angesichts des zur Beantwortung der Kleinen Anfrage zur Verfügung stehenden Zeitrahmens außer Verhältnis.

Die Mindestanforderung an die Dolmetscherinnen und Dolmetscher ist der Nachweis über das Sprachniveau B2 betreffend die angebotene Sprache. Nachweise können bspw. erbracht werden durch B2-Zertifikate oder mindestens fünf Jahre dokumentierte professionelle Dolmetscherinnen- bzw. Dolmetscher- und/oder Übersetzungserfahrung. Weiterhin erforderlich sind deutsche Sprachkenntnisse, die ebenfalls einen Nachweis erfordern.

Für den Bereich der Gerichte ergibt sich folgende Auswertung:

EP 05

2019

2020

2021

8.885.272,69 €

7.684.692,91 €

9.680.895,94 €

Frage 7: Wer übernimmt die Kosten für die unter 1. bzw. 5. aufgeführten Dolmetscher?

Sofern die Möglichkeit besteht, werden diese Kosten von den Verfahrensbeteiligten eingezogen.

In der Praxis der Strafgerichte ist dabei die Bestimmung des Art. 6 Abs. 3 lit. e EMRK von zentraler Bedeutung. Danach hat jede angeklagte Person das Recht, unentgeltliche Unterstützung durch eine Dolmetscherin oder einen Dolmetscher zu erhalten, wenn sie die Verhandlungssprache des Gerichts nicht versteht oder spricht.

Daher werden den der deutschen Sprache nicht oder nicht hinreichend mächtigen beschuldigten Personen im Strafverfahren Übersetzungshilfen gewährt, die es ihnen ermöglichen, sich gegen den strafrechtlichen Vorwurf zur Wehr zu setzen und dadurch ihre Rolle als Subjekt des Verfahrens auszufüllen. Grundsätzlich werden die entstandenen Kosten von der Staatskasse getragen. Der Anspruch auf unentgeltliche Hinzuziehung einer Dolmetscherin oder eines Dolmetschers gilt auch dann, wenn kein Fall notwendiger Verteidigung vorliegt. Die entstehenden Kosten sind dem Freigesprochenen nicht und dem Verurteilten nur ausnahmsweise aufzuerlegen.

In zivilrechtlichen Verfahren sind die Kosten für die Sprachmittlung ein Teil der Kosten des Rechtsstreits bzw. des Verfahrens und werden nach allgemeinen Kostentragungsregelungen den Parteien auferlegt.

Im Verfahren vor den Gerichten für Arbeitssachen werden Kosten für vom Gericht herangezogene Dolmetscherinnen und Übersetzerinnen bzw. Dolmetscher und Übersetzer nicht erhoben, wenn eine Ausländerin oder ein Ausländer Partei und die Gegenseitigkeit verbürgt ist oder eine Staatenlose oder ein Staatenloser Partei ist.

Die Kosten bei der Polizei werden von der jeweils einsetzenden Polizeibehörde selbst übernommen.

Frage 9: Kann die Landesregierung den vom BDÜ genannten zunehmenden Bedarf von Dolmetschern, v.a. für den Einsatz vor Gerichten, bestätigen?

Frage 10: Falls 9. zutreffend: Was unternimmt die Landesregierung, damit auch in Zukunft eine ausreichende Zahl an geeigneten Dolmetschern bei Gerichtsverfahren zur Verfügung steht?

Die Fragen 9. und 10. werden aufgrund ihres Sachzusammenhangs gemeinsam beantwortet.

Zur Beantwortung wird auf die Antwort zu Frage 1. Bezug genommen.

Wiesbaden, 15. Februar 2023

Prof. Dr. Roman Poseck

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